1. Miscellaneeus
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#enosnn Popp stüderte Tohnverhalinisse
in verschiedenen Branchen und führte aus: In der Schaf¬
wollwirkerei, die jetzt sehr stark betrieben wird, hat ein
Mädchen, um einen Schulterkragen fertigzubringen, zwölf bis
dreizehn Stunden zu arbeiten und sie bekommt für einen solchen
Kragen 34 Heller. Erst wenn sie sehr geübt ist, bringt sie in
zwei Tagen drei sragen fertig, hat also einen Tagesverdienst
von 51 Hellern. Bei der Erzeugung von „Lockendrehern“
aus Leder, die das Haarbrennen ersetzen sollen, kann eine geübte
Arbeiterin sieben Heller in der Stunde verdienen.
In Schokolade= und Bonbonsfabriken renom¬
mierter Firmen verdienen Arbeiterinnen wöchentlich 6 bis
10 Kronen. Wo nicht eine starké Organisation der Arbeiterinnen
besteht, sind die Verhältnisse noch so schauderhaft, wie sie vor
zwölf Jahren in der Enquete über Frauenarbeit die ganze
Oeffentlichkeit kennen gelernt hat. Erst durch einen Streik haben
die Zuckerwarenarbeiterinnen einen Minimallohn von 8 Kronen
erzielt. In der Zigarettenpapiererzeugung ver¬
dient die Arbeiterin bei einer Arbeitszeit von 5 Uhr Früh bis
halb 9 Uhr Abends 10 bis 12 Kronen. Modistinnen be¬
kommen nach zweijähriger Lehrzeit 30 Kronen monat¬
lich. 40 bis 44 Kronen sind ein hoher Verdienst und
nur sehr hochqualifizierte haben Monatslöhne von 50 und
60 Kronen und darüber. Dabei muß in allen diesen Branchen
lange „ausgesetzt“ werden. Da die Ueberstunden in der Saison
nicht höher entlohnt werden als die normale Arbeitsstunde, so
können die Arbeiterinnen für die tote Zeit nichts zurücklegen
und verfallen in Schulden und Elend. Weil man in Wien
Arbeiterinnen verschiedener Branchen kennt, die durch die
Organisation ihre Löhne erhöht haben, kommen einem Schilde¬
rungen der Zustände in Branchen, wo keine Organisation be¬
steht, als Uebertreibung vor. Nichtsdestoweniger sind diese
Schilderungen Wahrheit. Furchtbar, niedrig ist die Entlohnung
der Frauenarbeit in der Provinz. In Budweis bekommen ge¬
lernte Näherinnen 60 Heller Taglohn und „Wohnung". Weil
sie davon nicht leben können, bekommen sie zu dem Lohne
noch die Belehrung, daß sie am Abend ausgehen können und in
Budweis eine Garnison liegt. In Leoben werden im Schneider¬
gewerbe nur 40 Heller Taglohn gezahlt. Was für die
Arbeiterinnen besonders verderblich ist, ist die Preisgabe infolge
Zwanges durch Vorgesetzte. Wenn irgend einer, der
Einfluß auf die Verteilung der Arbeit hat, die Arbeiterin
merken läßt, daß sie, wenn sie ihm Gunst erweist, ihre Stellung
verbessern, angenehmere und besser gezahlte Arbeit bekommen
und bessere Behandlung erfahren kann, wird niemand einen
Stein auf die Arbeiterin werfen, die dabei den ersten Schritt
tut, dem dann in der Zeit der Arbeitslosigkeit bald der zweite
folgt. Die Rednerin besprach dann die Verhältnisse, welche
Dienstboten und Kellnerinnen zur Prostitution
treiben, und kam dann auf die Choristinnen zu sprechen.
Da ist es festgestellt, daß der größte Teil als Elevinnen beginnt
und 30 Kronen im Monat bekommt. Diese „Gage“ steigt später
auf 40 und 50 Kronen und nur selten auf 80 Kronen. Man
glaubt nun nach dem Worte, daß die Elevinnen im Theater
singen lernen. Das ist nicht der Fall. Wer singen lernen will,
muß Privatunterricht nehmen und dafür so viel zahlen, als die
Entlohnung beträgt. Freilich glaubt man vielfach, daß alle
Choristinnen Ergänzung ihres Einkommens suchen. Diese An¬
nahme ist aber falsch. Man findet unter den Choristinnen sehr
viele Mädchen, die das nicht tun und die jeder für anständig
erklären muß.
Genossin Popp schloß: Was die Aenderungen, die diese
Enquete zur Folge haben soll, betrifft, bin ich sehr pessimistisch.
Als die entsetzenerregenden Tatsachen aus der Frauenarbeits¬
enquete im Jahre 1896 bekannt wurden, glaubten viele, daß
Parlament und Regierung eingreifen und helfen werden. Sie
wurden enttäuscht. Besser ist es nur insoweit geworden, als die
Organisation der Arbeiterinnen die Besserung herbeigeführt hat.
(Lebhafter Beifall.)
Nun wurde über Kunst, Literatur und
Pornographie als erregendes Moment gesprochen, und
zwar sehr viel, trotzdem diese Erscheinungen mit den Geschlechts¬
krankheiten nur sehr mittelbar zu tun haben. Es wurde manches
Gute gesagt, insbesondere von Dr. Brandweiner, Dr.
Himmelbauer, dem Vertreter des Volksbildungsvereines,
und dem Buchhändler Heller. Der Buchhändler Deuticke
versuchte eine so eingehende Behandlung des Themas, daß
ihn der Vorsitzende Professor Dr. Finger zur Beendigung
er äußerte
auffordern mußte. Der Dichter Arthur Sch
sich schriftlich. Er meint, daß, was oie Geschrichtsrrankheiten
betrifft, sowohl künstlerische Schöpfungen als obszöne Dar¬
stellungen gegenüber den vielfachen Verlockungen des täglichen
Lebens und dem steten physiologischen Wirken der Geschlechtlich¬
keit nicht in Betracht kommen. Ebenso wie ein Kunstwerk könne
die körperliche Schönheit sexuellen Reiz ausüben. Es sei verfehlt,
die Frage der Geschlechtskrankheiten von den Tatsachen aus zu
behandeln, die geschlechtliche Erregung bewirken. Der Kampf
gegen die Geschlechtskrankheiten müsse ein Kampf gegen Un¬
bildung, falsche Schamhaftigkeit und Heuchelei sein, dürfe aber
nicht in einen Kampf gegen die Sinnenfreude ausarten. Landes¬
ausschuß Bielohlawek, der ebenfalls das Wort ergriß,
erklärte, daß er als Referent über die Wohlfahrtsanstalten
spreche, der fünf Irrenhäuser zu verwalten habe, und führte aus:
Wir müssen hier nur über die Bekämpfung der Geschechts¬
krankheiten sprechen. Deshalb hat mich auch der Brief
Schnitzlers angenehm berührt, denn man kann nicht aus jedem
Geschlechtsverkehr gleich auf Syphilis schließen. Ich stamme
aus den niedrigsten Verhältnissen und war auch beim
Militär. Ich bin aber nicht krank geworden, denn ich
hatte vom Regimentsarzt die Aufklärung, wie ich mich zu ver¬
halten habe. Drei Viertel aller Menschen glauben aber, es genügt,
wenn man sich das Gesicht allein wäscht. Wir müssen Mittel
und Wege zur Abwehr der Krankheit suchen. Ich sehe in den
Irrenanstalten die schrecklichen Folgen der Syphilis, aber des¬
halb darf man nicht sagen, daß diese Krankheit schon Paralyse
AAA
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#enosnn Popp stüderte Tohnverhalinisse
in verschiedenen Branchen und führte aus: In der Schaf¬
wollwirkerei, die jetzt sehr stark betrieben wird, hat ein
Mädchen, um einen Schulterkragen fertigzubringen, zwölf bis
dreizehn Stunden zu arbeiten und sie bekommt für einen solchen
Kragen 34 Heller. Erst wenn sie sehr geübt ist, bringt sie in
zwei Tagen drei sragen fertig, hat also einen Tagesverdienst
von 51 Hellern. Bei der Erzeugung von „Lockendrehern“
aus Leder, die das Haarbrennen ersetzen sollen, kann eine geübte
Arbeiterin sieben Heller in der Stunde verdienen.
In Schokolade= und Bonbonsfabriken renom¬
mierter Firmen verdienen Arbeiterinnen wöchentlich 6 bis
10 Kronen. Wo nicht eine starké Organisation der Arbeiterinnen
besteht, sind die Verhältnisse noch so schauderhaft, wie sie vor
zwölf Jahren in der Enquete über Frauenarbeit die ganze
Oeffentlichkeit kennen gelernt hat. Erst durch einen Streik haben
die Zuckerwarenarbeiterinnen einen Minimallohn von 8 Kronen
erzielt. In der Zigarettenpapiererzeugung ver¬
dient die Arbeiterin bei einer Arbeitszeit von 5 Uhr Früh bis
halb 9 Uhr Abends 10 bis 12 Kronen. Modistinnen be¬
kommen nach zweijähriger Lehrzeit 30 Kronen monat¬
lich. 40 bis 44 Kronen sind ein hoher Verdienst und
nur sehr hochqualifizierte haben Monatslöhne von 50 und
60 Kronen und darüber. Dabei muß in allen diesen Branchen
lange „ausgesetzt“ werden. Da die Ueberstunden in der Saison
nicht höher entlohnt werden als die normale Arbeitsstunde, so
können die Arbeiterinnen für die tote Zeit nichts zurücklegen
und verfallen in Schulden und Elend. Weil man in Wien
Arbeiterinnen verschiedener Branchen kennt, die durch die
Organisation ihre Löhne erhöht haben, kommen einem Schilde¬
rungen der Zustände in Branchen, wo keine Organisation be¬
steht, als Uebertreibung vor. Nichtsdestoweniger sind diese
Schilderungen Wahrheit. Furchtbar, niedrig ist die Entlohnung
der Frauenarbeit in der Provinz. In Budweis bekommen ge¬
lernte Näherinnen 60 Heller Taglohn und „Wohnung". Weil
sie davon nicht leben können, bekommen sie zu dem Lohne
noch die Belehrung, daß sie am Abend ausgehen können und in
Budweis eine Garnison liegt. In Leoben werden im Schneider¬
gewerbe nur 40 Heller Taglohn gezahlt. Was für die
Arbeiterinnen besonders verderblich ist, ist die Preisgabe infolge
Zwanges durch Vorgesetzte. Wenn irgend einer, der
Einfluß auf die Verteilung der Arbeit hat, die Arbeiterin
merken läßt, daß sie, wenn sie ihm Gunst erweist, ihre Stellung
verbessern, angenehmere und besser gezahlte Arbeit bekommen
und bessere Behandlung erfahren kann, wird niemand einen
Stein auf die Arbeiterin werfen, die dabei den ersten Schritt
tut, dem dann in der Zeit der Arbeitslosigkeit bald der zweite
folgt. Die Rednerin besprach dann die Verhältnisse, welche
Dienstboten und Kellnerinnen zur Prostitution
treiben, und kam dann auf die Choristinnen zu sprechen.
Da ist es festgestellt, daß der größte Teil als Elevinnen beginnt
und 30 Kronen im Monat bekommt. Diese „Gage“ steigt später
auf 40 und 50 Kronen und nur selten auf 80 Kronen. Man
glaubt nun nach dem Worte, daß die Elevinnen im Theater
singen lernen. Das ist nicht der Fall. Wer singen lernen will,
muß Privatunterricht nehmen und dafür so viel zahlen, als die
Entlohnung beträgt. Freilich glaubt man vielfach, daß alle
Choristinnen Ergänzung ihres Einkommens suchen. Diese An¬
nahme ist aber falsch. Man findet unter den Choristinnen sehr
viele Mädchen, die das nicht tun und die jeder für anständig
erklären muß.
Genossin Popp schloß: Was die Aenderungen, die diese
Enquete zur Folge haben soll, betrifft, bin ich sehr pessimistisch.
Als die entsetzenerregenden Tatsachen aus der Frauenarbeits¬
enquete im Jahre 1896 bekannt wurden, glaubten viele, daß
Parlament und Regierung eingreifen und helfen werden. Sie
wurden enttäuscht. Besser ist es nur insoweit geworden, als die
Organisation der Arbeiterinnen die Besserung herbeigeführt hat.
(Lebhafter Beifall.)
Nun wurde über Kunst, Literatur und
Pornographie als erregendes Moment gesprochen, und
zwar sehr viel, trotzdem diese Erscheinungen mit den Geschlechts¬
krankheiten nur sehr mittelbar zu tun haben. Es wurde manches
Gute gesagt, insbesondere von Dr. Brandweiner, Dr.
Himmelbauer, dem Vertreter des Volksbildungsvereines,
und dem Buchhändler Heller. Der Buchhändler Deuticke
versuchte eine so eingehende Behandlung des Themas, daß
ihn der Vorsitzende Professor Dr. Finger zur Beendigung
er äußerte
auffordern mußte. Der Dichter Arthur Sch
sich schriftlich. Er meint, daß, was oie Geschrichtsrrankheiten
betrifft, sowohl künstlerische Schöpfungen als obszöne Dar¬
stellungen gegenüber den vielfachen Verlockungen des täglichen
Lebens und dem steten physiologischen Wirken der Geschlechtlich¬
keit nicht in Betracht kommen. Ebenso wie ein Kunstwerk könne
die körperliche Schönheit sexuellen Reiz ausüben. Es sei verfehlt,
die Frage der Geschlechtskrankheiten von den Tatsachen aus zu
behandeln, die geschlechtliche Erregung bewirken. Der Kampf
gegen die Geschlechtskrankheiten müsse ein Kampf gegen Un¬
bildung, falsche Schamhaftigkeit und Heuchelei sein, dürfe aber
nicht in einen Kampf gegen die Sinnenfreude ausarten. Landes¬
ausschuß Bielohlawek, der ebenfalls das Wort ergriß,
erklärte, daß er als Referent über die Wohlfahrtsanstalten
spreche, der fünf Irrenhäuser zu verwalten habe, und führte aus:
Wir müssen hier nur über die Bekämpfung der Geschechts¬
krankheiten sprechen. Deshalb hat mich auch der Brief
Schnitzlers angenehm berührt, denn man kann nicht aus jedem
Geschlechtsverkehr gleich auf Syphilis schließen. Ich stamme
aus den niedrigsten Verhältnissen und war auch beim
Militär. Ich bin aber nicht krank geworden, denn ich
hatte vom Regimentsarzt die Aufklärung, wie ich mich zu ver¬
halten habe. Drei Viertel aller Menschen glauben aber, es genügt,
wenn man sich das Gesicht allein wäscht. Wir müssen Mittel
und Wege zur Abwehr der Krankheit suchen. Ich sehe in den
Irrenanstalten die schrecklichen Folgen der Syphilis, aber des¬
halb darf man nicht sagen, daß diese Krankheit schon Paralyse
AAA