VII, Verschiedenes 11, 1906–1909, Seite 43


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1. Miscellaneons
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Die Wienerin.


Von Balduin Groller=Wien.


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heit brächten. Ob aber nun die Statistik
[ber die Wienerin plaudern? Aber bitte
will oder nicht, auf der Welt ist die Wiene¬
4 sehr, bitte gleich!
rin doch, und wenn ich's auch nicht bewei¬
Natürlich stimmt man da sofort zu. So
sen kann, so halte ich es doch mit dem Prü¬
habe auch ich getan. Kann es denn etwas
fungskandidaten, der auf die Frage, ob der
Angenehmeres, etwas Hüoscheres geben, als
Mond bewohnt sei, ruhig antwortete: „Er
sich mit der richtigen Wienerin zu beschäf¬
ich gebe Ihnen mein
ist bewohnt,
tigen? Also gut. Wird gemacht. Aber nun,
Ehrenwort.“
da ich mich anschicke, sofort mit Begeisterung
Es ist also wirklich nicht leicht, die Wie¬
loszulegen, stellen sich doch die Bedenken ein.
nerin herauszufinden. Bedenken Sie dann
Ja, gar so einfach ist die Geschichte denn
gütigst noch eins. Politisch liegen wir uns
doch nicht, wie man sich das im ersten Augen¬
immer nach allen Seiten hin in den Haaren,
blick gedacht hat. Immerhin. Versprochen ist
mit den Tschechen, den Slowenen, den Un¬
versprochen. Versuchen wir es also.
garn, den Kroaten, den Italienern, aber
Suchen wir zunächst die Wienerin. Den
privatim vertragen wir uns doch ganz gut,
fragenden Augenaufschlag werden Sie ge¬
und wir heiraten surchtbar viel durcheinan¬
fälligst zurücknehmen, auch will ich gleich be¬
der. Das gibt einen wunderschönen gemisch¬
merken, daß ich mit Ratschlägen reichlich
ten Salat. Es hat sich so mancher schon
versehen bin. Ich weiß, daß es sich empfiehlt,
in eine reizende Wienerin verliebt, und
nur hineinzugreifen in das volle Menschen¬
hinterher hat es sich herausgestellt, daß er
leben. Wenn Sie aber in Wien hineingrei¬
sich eigentlich in etwas ganz anderes verliebt
fen, können Sie nie wissen, was Ihnen in
hat. Hat auch nichts geschadet.
der Hand bleibt. Es ist ganz wie bei den
Man wird mir vorhalten, die Wienerin
Pariser Suppenverkäufern — au hasard de
eristiert, was ich ja zugebe, also muß sie auch
la fourchette.
herauszugreifen sein. Gut. Greifen wir heraus.
Wie bemerkte ich doch vorhin so treffend
Wünschen Sie die höhere Tochter, die
— die Geschichte ist nicht ganz einfach. Man
Hausfrau, das Großmütterchen, die Tennis¬
hat ja seine Studien gemacht mit aller Ge¬
spielerin, die Fabrikarbeiterin, die Gymna¬
wissenhaftigkeit durch so manches Semester,
siastin, die Universitätsstudentin, die Jour¬
hat auch pünktlich seine Kollegiengelder er¬
dame oder die wirkliche Aristokratin, die
legt, möchte aber doch nicht riskieren, hinter¬
Putzmacherin oder die Schneiderin, das
her mit dem infamen freundschaftlichen Rat
Ladenfräulein oder die Tippmamsell, das
beehrt zu werden, sich das Lehrgeld zurück¬
süße Mädel oder die Dame vom „Stand“.
erstatten zu lassen. Insam deshalb, weil
die Lehrerin, die Künstlerin, das Stuben¬
man es ja doch nie zurückkriegt.
mädel, die Köchin, das Extramädel, das
Ich fange also an. Bei allen wissen¬
Mädchen für alles, die Geschäftsfrau, die
schaftlichen Forschungen strapaziert man zu¬
Kontoristin, das Blitzmädel, will sagen die
nächst gern die Statistik, mit der man dann
Telegraphistin, die Telephondame, die Post¬
immer beweist, was man gerade zu beweisen
manipulantin? Genug! Es wird Ihnen ein
hat. Treiben wir also etwas Statistik. Zur
wenig schwül; mir auch. Jede Sorte ver¬
seßhaften Wiener Bevölkerung stellen die
diente ihr eigenes Kapitel. Das wäre Ihnen
Tschechen, Deutschböhmen und Mährer ein
zuviel. Ich glaub's. Ich soll nur die ge¬
Kontingent von etwa 20 Prozent, die Reichs¬
meinsamen Züge herausholen und aus diesen
deutschen von 10 Prozent, die Ungarn
dann das Bild konstruieren. Anders geht's
10 Prozent, die Juden 10 Prozent, dann
ja gar nicht. Natürlich nicht.
Niederösterreich, die Kronländer: Steiermark,
Auch so eine Sache, das mit den gemein¬
Kärnten, Krain, Salzburg, Oberösterreich,
samen Zügen! Ich weiß — Charles Dana
Schlesien, Triest und Küstenland, Dalma¬
Gibson und Du Mourier haben den angel¬
tien, Kroatien — ich sehe, es geht nicht. Ich
sächsischen Frauentypus meisterhaft beobach¬
geb's auf, das mit der Statistik. Denn wenn
tet und dann auch gleich festgelegt, stereo¬
ich so fortrechne, kommt's noch heraus, daß
typiert, klischiert. Was zeichnerisch möglich
für die Wienerin überhaupt keine Prozente
war, muß auch literarisch möglich sein. Aber
übrig bleiben, es wäre denn, daß wir unsere
Prozentrechnung auf das System Fahren= natürlich! Was ein rechter Journalist ist,
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Velhagen & Klasings Monatshefte. XXIII. Jahrg. 1908/1909. I. Bd.