VII, Verschiedenes 11, 1906–1909, Seite 59

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1. Miscellanceus
Seite 19
17. Oktober 1909
Fremden-Slatt.
Wien, Sonntag
Nr. 287
beschrieb das, als wolle er sich zu einem Emile Zola ausbilden.
Einmal ging er gar nach dem leibhaftigen Amerika und ich frage
Feuilleion.
mich noch heute, warum er seine vielen Feuilletons über dieses
Jenseits nicht als Band herausgegeben hat. Ludwig Fulda hat sich
gar nicht geniert, auch Paul Lindau nicht. Wittmann war überhaupt
Hugo Wittmann.
nie ein Büchermacher. Erstaunlich wenige Bändchen hat er in frühen
Es geht ein Gerücht durch Wien, daß Hugo Wittmann diesen
Jahren auf den Lesetisch gebracht. Zwei oder drei. Hoffentlich wird
Sonntag seinen siebzigsten Geburtstag feiert. Man pflegt ja das so
er das noch nachholen und auch seinen eigenen Nachlaß, nicht nur
auszudrücken. Natürlich feiert er ihn nicht, sondern wir anderen
den Ludwig Speidels, herausgeben. Jeder Pariser Feuilletonist
werden versuchen, seiner zu diesem Zwecke habhaft zu werden.
„sammelt“ alle derartigen Arbeiten und hinter jedem schart sich eine
Mündlich, schriftlich, telegraphisch, telephonisch. Zuvor aber werden
stattliche Bändereihe. Im Notfalle erfindet er eine neue Kategorie,
wir vorsichtig sein und doch erst im Konversationslexikon nachsehen,
wenn auch nur „L’esprit des antres“ oder gar „Un monsieur de
ob denn das vertrackte Daium auch stimmt. Denn mit seinem Aus¬
l’orchestre“. Diese Art Geschäftsgeist hat ihm immer gefehlt.
sehen stimmt es glücklicherweise nicht. Stramm wie ein Baum steht
Eher ließ er sich noch fürs Theater einspannen, schon weil ...
er mitten in der Wiener Literatur da. Das heißt, wenn er nicht!
Doch das sind Privatsachen; rühmliche, selbstverständlich. Er war
marschiert; denn er ist seit undenklichen Zeiten in steter Marsch¬
immer ein gutes Herz. In Operettensachen bin ich ja nicht bewandert;
bereitschaft, Pedometer in der Tasche, und geht tagtäglich seine zwanzig¬
ich habe nur den Eindruck, daß er es ernstlich unternahm, das
tausend Meilen unter dem Meer, wie Julius Verne sagen
literarische Niveau dieser leichten Texte zu heben. Seine gewandte
würde; in Wahrheit seine fünf Stunden, was ihm Leib
Verskunst und das Nachwirken bester deutscher Vorbilder konnten
und Seele im Schwung erhält. Eine markige Erscheinung,
freilich nicht hindern, daß die Ueberlebenden der Offenbach=Zeit
einer der beiden massiven Ulmerköpfe, die Anno dazumal
anfangs murrten. Selbst das perlende Quecksilber Julius Bauers
in Wien auftauchten und sich in dieser Atmosphäre so schön
und sein Griff für Gestalten aus dem Leben wogen in ihren Augen
angeraucht haben. Der andere selbstverständlich Ludwig Speidel,
diese starke Zumutung nicht auf. Uns etwas Besseres! Immerhin
dessen literarischen Nachlaß er jetzt unter der Hand hat. Ich höre
scheint aus der wachsenden Zahl dieser Texte hervorzugehen, daß er
eben, zu meiner größten Freude, daß diese Herzenssache unser aller
schließlich stärker war als die Ueberlebenden jener Ueberlebenden.
„bereits so weit ist" und der Anfang nicht lange mehr auf sich
Noch heute gibt es Reprisen. Sein Lustspiel: „Die Wilddiebe“, mit
warten lassen wird. Er ist ja auch der natürliche Vellstrecker dieses
Theodor Herzl, im Burgtheater, war entschieden ein Lacherfolg. Ich
literarischen Vermächtnisses. Der Landsmann, alte Freund, Mit¬
halte mir noch jetzt die Seiten, wenn ich an Herrn Schöne als
streiter, Gesinnungsgenosse des Meisters; und selbst ein Meister
pudelnassen Zähneklapperer denke. Für das ernste Schauspiel zeigte
neben ihm, der sein eigenes Maß hat und zu den ragenden Gestalten!
er sich lange nicht so begabt; aber er wäre der letzte gewesen, sich
des intellektuellen Wien gehört. Vierzig Jahre sind es nun, rund
eine solche Erfahrung zu Herzen zu nehmen.
gerechnet, daß er diesen alten Parnaß erstiegen, unseren geistigen
Was er unangefochten war, ist und bleiben wird, das ist ein
Kahlenberg, der denn doch einer der reizvollsten Punkte ist, so weit
Meister=Feuilletonist. Auch Ludwig Speidel war nichts anderes. Der
der deutsche Geist in die Runde reicht. Wittmann hat sich, wie
Feuilletonist von heute ist eben weit über den von einst hinaus¬
Speidel, vollständig eingewienert. Das ist das gewisse Schwäbische,
gewachsen. Er ist der universellste Prosaschriftsteller, Prosadichter.
historischer ausgedrückt Vorderösterreichische, das dem Oesterreichischen
Nicht mehr bloß der anmutige Plauderer, sondern ein Alles=in=Allem
an Art und Stimmung so nahe steht. Der Schwabe und der Wiener
von absonderlicher Virtuosität. Dramatiker, Lyriker, Epiker je
haben sich immer trefflich verstanden.
nachdem, immer in seiner Weise, ein Außenseiter aller dieser
Es ist gewiß bezeichnend für sein Wesen, daß er gleich als
literarischen Fachkünste, eine Art Universal=Spezialist. Kein einseitig
junger Mensch nach Paris gegangen und sich keck aus die Pariser
Vollkommener schreibt ihm nach, was auf mancherlei Gebieten
Schulbank gesetzt hat. Wie die damaligen deutschen Maler, die
hervorbringt. Das Feuilleton, zu Heines Zeit noch ein geduldeter
Feuerbach, Leibl und verschiedene Wiener ja auch, in die Schule
Lückenbüßer, für kleiner ausgefallene Gehirne, ist zu unseren Leb¬
Couture. Paris war so mondän und so bourgeois zugleich, die
zeiten eine Großmacht in der Großmacht geworden. Nämlich in jener
Eleganz seiner Ueberlieferung war nicht umzubringen. Jedenfalls er¬
anderen, der Presse. Seinen Reiz und seine praktische Methode suchen
heutete man dort ein gut Stück jener Schulgediegenheit, gegen die
selbst deutsche Professoren sich anzueignen; die französischen taten es
unsereins später geistreich loszieht, mit den Waffen, die wir uns
von jeher. Das Feuilleton ist eine neue Kunstgattung geworden.
dort geholt haben. Was freilich ganz in der Ordnung ist, denn das
Alle anderen stoßen, geographisch gesprochen, aus Meer und haben
Erlernte darf doch nur Mittel sein zu dem, was nicht gelehrt und
diese natürliche Grenze. Das Feuilleton aber ist eine Binnenmacht,
nicht gelernt werden kann. Wittmanns Lehrjahre fielen in das Paris
wie Deutschland, und stößt überall an fremde Gebiete, in die es
der Sainte Beuve und Francisque Sarcey. Die Phantasie war nicht
durch seinen verführerischen Geist gestaltend eingreift. So einer war
ausgeschlossen, aber der bon sens herrschte. Bei diesem großen
Speidel. Schilderer, Erzähler, Schwärmer, Kritiker, Denker, je
Bankett der Geister saß Monsieur Prudhomme zwischen Viktor Hugo
nachdem. Von dieser Rasse ist auch Hugo Wittmann. Innerhalb
und George Sand. Wittmann hatte ohne Zweifel das Zeug zum
seiner Grenzen, wie jeder andere auch, ist er der gediegene neu¬
französischen Schriftsteller, wie jene ganze stattliche Reihe von Deutsch¬
zeitliche Feuilletonist, ein klassisches Beispiel für den Nachwuchs, ein
franzosen, von Alexander Weill bis zu . . . sagen wir dem „Times“¬
lebendiger Mahner, sich nicht auf das verrauchende Temperament
korrespondenten Blowitz. Auch seine Musik trug wesentlich dazu bei,
allein zu verlassen, sich nicht bloß täglich den Tag zu verdienen,
ihn so international zu machen. Die wörterbuchlose Sprache, die alle
sondern in rastloser ernster Arbeit sich die Zukunft zu sichern.
L. H—i.
Völker verlindet, die jeder versteht, selbst wer sie nicht sprechen kann.
So begegneten sich in der Seele dieses jungen Schwaben mehrere
fruchtbare Kräfte und wirkten ein geistiges Gemisch, das sich bald
Die Komödie der Asra.
genug zu einem eigenartigen und höchst anziehenden literarischen
(Deutsches Volkstheater: „Jene Asra ...“, Komödie in vier
Charakter ausgegoren hat.
Aufzügen von Max Burckhard.)
Gewiß war es der Blick Etiennes, der in ihm frühzeitig das
Ist das wirklich Burckhard, der Meister=Frondeur, der Rüge¬
erkannte, was dem Feuilleton der jungen „Neuen Freien Presse“
dramatiker und scharfe Berichtiger, der jedes Stück gleichsam mit
frommen konnte. Ein kerndeutsches Talent, das sich in der Pariser
Berufung auf Paragraph 19 einzusenden pflegte? Akt um Akt
Intimität nicht verwelscht hatte, wohl aber zum Sinn für das
handwerklich Solide und künstlerisch Geschliffene gelangt war. Jenes
ohne das es kein Machenkönnen aibt, hat sich Witt=] vergeht, man wartet: Wann kommt denn endlich die samose Szene
beim Verwaltungsgerichtshof ...