VII, Verschiedenes 11, 1906–1909, Seite 58

box 41/2
Mi
Aiscellaneous
——
S u
Pick, der Autor des Fiakerliedes, zur Seite gesehzt Frage aufgeworfen oder doch gestreift. Die Wiener
sen= agrarisch Fühlenden, aller, die als Söhne von
wird. Und so habe sich der Sänger des Praters Volksmusik, merkwürdigerweise, ist liberal. Wol
schen Ackerbürgern eine atavistische Liebe zum Landleben
Ener hegen und in den Tiefen ihres Herzens das Idegl und des Wienerwaldes allgemach zum Sänger sie erschallt, fühlt sich noch alles als „Brüderlein
der Ringstraße, zum mondänen Großstadtwiener und Schwesterlein“.
Unlängst habe ich ein paar Tage in der
osse der grünen Wiese tragen, gegen die unverblümten
umgewandelt. Schade, daß Spocht die transleithani¬
ider Großstadtinstinkte des Juden. Auch im geistigen
Leben kommen sie überall zum Vorscheine. Heine ists'sche Tendenz des „letzten“ Strauß nicht in seinen schönen Vorderbrühl verbracht. An einem Sonntag¬
en¬
geistreichen Calcul mit einbezogen hat. Man denke: norgen weckt mich da die vor den Fenstern postierte
der Großstadtromantiker. Und nicht umsonst ist der
gver
Der Komponisi der zweiten Volkshymne, des Mödlinger Stadtkapelle aus dem Schlafe. Ja, trau'
Dichter der Großstadt Wien heute Artur Schnitzler.
Donauwalzers komponiert einen Zigeunerbaron“ ich meinen Ohren? Wo bin ich denn eigentlich?
In Offenbach gewann die Großstadt Paris, deren
das
ein Werk das Wien, das Oesterreich als das Land Die befrackten Jünger Apolls dort unten spielen!
Bevölkerung mit ihrer heimlichen Sehnsucht nicht
der Reaktion gegenüber Ungarn, dem Lande der wahrhaftig — „Kde domov müj?“ Dann einige
mehr ins Hinterland gravitierte, ihren tönenden
weg
Freiheit verspoltet und verhöhnt. Man denke sich, tschechische Volkslieder im Potpourri. „Fehlt nur
Ausdruck. Und die großstädtische Wiener Mit#kt
daß ein Franzose, ein Italiener, ein Tscheche, ein noch das „Hej Slované!“ denke ich. Aber kaum
hat Krakauer kreiert.
Ungar solches täte. Ausgeschlossen. Johann Strauß, gedacht, ist's auch schon gescheh'n und fanatisch don¬
Und Johann Strauß Sohn??
der Komponist unserer zweiten Volkshumne, des nert das „Hrom a peklo“ durch das grüne, arg¬
den,
Es ist jetzt ein Buch über ihn erschienen von
Richard Specht.*] Ein glanzend geschriebenes Buch, Donauwalzers, hat es getan und, was am allet= lose Tal, über dem dichten Gedränge der Kurgäste.
kali¬
merkwürdigsten ist: es ging ihm durch, man schlug Man denke sich die „Wacht am Rhein“ in einer
daß
ihm in Wien nicht die Fenster ein, sondern jubede tschechischen Sommerfrische gespielt und male sich
das dem Autor in Wien sehr übel vermerkt wird.
der
eben darum verdient es gelesen zu werden. Es ent¬
ihm mit Enthusiasmus zu. Ja, das ist Wienerisch, die Folgen aus. Hier, bei Wien, nahm Niemand
tete.
Dieser eingefleischte Lokalpatriotismus, dieser Anstoß daran. Hier steht man auf dem, an sich nicht
hält so manche bittere Wahrheit. Es zeigt Strauß
veise
Götzendienst mit dem alten Steffel einerseits, diese unrichtigen Standpunkt, daß die Geschicke der Völker
als das echte Wiener Genie, das von Frauen ge¬
gleit
nationale Charakterlosigkeit und Apathie bis zur nicht in den Musikpavilions entschieden werden.
gängelt jedem augenblicklich einwirkenden Reiz und
au Einfluß untertan, nicht die Kraft hat, das Genie
Selbst, reisgebung und Selbstverhöhnung auf der Aber Lennzeichnend ist die kleine Episode dich
der zum wahren Künstler zu läutern, das aus uner¬
anderen Seite. Aber man darf als Milderungsgrune Hier in Wien ist keine Musik an sich gut oder bose,
Er=,schöpflicher Fülle immer neue Motive erfindet und
eben den endemischen Musikdusel des Wiener ins die Worte machen sie erst dazu. Und um die Worte
ganz
aneinander reiht, statt wenige zu reichster Mannig¬
Feld führen. Wenn er eine Musik hört, hört er kümmert sich der glückliche Phäake nicht, so lange er
nicht
faltigkeit zu entwickeln. Ein Genie, das aus dunklen
überhaupt zu denken auf. Dann ist es dem unent= unter der Suggestion des Tons steht, so wie sich
urmusikalischen Trieben schafft, das vom Worte
wegtesten Christlichsonalen sogar gleicheiltig, ob Johann Strauß um den Text seiner Operetten nie
55
nicht beflügelt, sondern gehemmt wird. Das Beste,
ein †*7 Jude die Musik gemacht hat. Wien hat bekümmerte. Noch immer ruft er, wenn wo eine
Dem
Gefündeste dieser Kunst sei ihr steirisches Erbe.
Parteiorgane, aber noch keine Parteiohren. Daher Geige klingt: „Verkauft's mei' G’wand, 4 bin im*
erne,
In dem, was als spezisisch Wienerisch gelten kann,
der unbehinderte Ruhm von Oskar Strauß, Leo Himmel!“
Gib Acht, lieber Wiener Michel, Du könntest
Mai
sei auch Strauß sehr viel von Kralauer beeinflußt.
Fall usw. bis in die schwärzesten Bezirke. Nur im
i den Von Krakauer, dem als zweiter Dioskure Gustav
Gebiet der höheren Musik — siehe Mendelssohn, mal aus Deinen immeln fallen, wenn' sie Dir Dein
iesem
Goldmark, Mahler — wird gern die konfessionelle Gewand allbereits wirklich verkauft haben.
e
aller *) Berlin, Marquardt & Co.