VII, Verschiedenes 11, 1912–1913, Seite 37

1. Miscellaneous
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Vertretungel:
in Berlin, Basel, Budapest, Chicago, Clevela.
Genf, Kopenhagen, London, Madrid, Mailand
gree
New-Vork, Paris, Rom, San Francisco, Stockho.
burg, Toronto.
(Quellenangabe ohne Gewähr.)
Ausschnitt aus:
## Frager Tagblatt
vom:
1
Ein Gespräch
mit Gerhart Hauptmann.
Wien, 19. November.
Die ganze Welt blickt in biesen Tagen auf den
großen schiesischen Dichter Gerhart Hauptmann
dessen Werie dreimal mit dem Grillparzerpreis
und nun an seinem fünfzigsten Geburtstag mit dem.
Nobelpreis gekrönt wurden. Von überall stürmten“
Gratulationen auf ihn ein, und in den wenigen
Stunden seines Wiener Aufenthaltes löst ein
Freund den anderen ab, dem Poeten aratulierend —
die Hand zu drucken. Gerhart Hauptmann liebt
Wien, die Stadt aus der ihm wie er sagt, immer
ein warmer Hauch von Liebe und Anerkennung
der Menschen und alter Kultur entgegenströmt. Icht
hatte heute die Freude, eine Weile mit dem Dichter,
der mit seiner Gemahlin gekommen ist, sprechen zu
dürsen. Hauptmann erzählte von Wiener Dichtern
und Taienten von seinen nächsten Absichten, von
seinem ietzten eben erschienenen Roman „Atlantis“.
„Ich liebe Schöuherr, ich schätze Sehnitzler, ich
verehre Hoffmannsthal und Wassermann, die großen
Wiener Talente, die für mich nicht nur Wiener,
sondern deutsche Dichter sind, denn ich kann nach
ihrem Geburtsort oder ihrem Wohnsitz keinen Un¬
terschied machen. Wien und Berlin haben ja in
geistiger Hinsicht viele Wechselbeziehungen. Man#
ist immer beilammen und die Grenzpfähle trennen
das Geistesleben nicht. Wien, die Kunststadt, die
Stadi der dramatischen Kunst und Wissenschaften,
die deutsche Stadt, wer möchte sie sich nicht zum
dauernden Wohnsitz erwählen? Ich würde gern in
Wien dauernd sein, ich bin aber mehr auf die stille
Zurückgezogenheit angewiesen. Mein ruhiges Heim
ist Agnetendorf im Riesengebirge. Es hat einen
eigenen Reiz, das Tun und Treiben der Menschen
aus der Vogelperspektive zu beehachten. Man ge¬
winnt in der wohinenden Abgeschiedenheit für alle
Vorgänge viel mehr Interesse, als wenn man selbst
mit ihnen lebt.
Zwei Herbstmonate sind nun bald ständig für
Berlin bestimmt. Dorthin wird auch Rudolf
Rittner aus seiner Zurückgezogenheit wiederkehren.
Im September 1914 hoffen wir in Berlin das
„Theater der Sozietät“ zu eröffnen. Dieses soll die
Tradition von Brahm forisetzen und im übrigen,
durch junge und frische Kräfte gestärkt, sie auch er¬
weitern. Ich werde immer die Monate Oktober und
November mich persönlich an der Führung d##
Theaters, insbesondere bei der Remeurbeit und der
Inszenierung von Werken beteiligen. Ich freue
mich #s# ##b verspreche mir viel ernste künst¬
terische Anregung und Erfolg. AndereSozietäre sind
Else Lelmann, Emannel Reicher, Tilla Durieux,
Paul Wegener und Mar Grunwald. Grunwan.
wird die Führung innehaben er hat den Titel Di¬
rektor abgelehnt und wird sich nur „Vorsitzender“.
nennen.
Dieses Projekt des erweiterten Brahm=Thea¬
ters bringt die Rede auf Ibsen, Kainz, Tolstoi und
H
Rittner. Und Hauptmann spricht: Ibsen ist ein
deutscher Klassiker geworden. Was man im einzel¬
nen auch gegen ihn hat, isi belanglos. Augenblicklich#
besteht in Berlin ein starkes Vorwärtsgehen des
Interesses für Sirindbera, namentlich unter der
Jugend. Ich halie Strindberg für eine elementare,
machtvolle Persönlichkeit, die natürlich ungemein
widerspruchsvoll ist und ungemein zu Wider¬
sprüchen reizt. Ein Mann von der Bedeutung Josef
Kainzens ist nicht so leicht zu ersetzen; aber immer¬
hin besitzt Moissi, der das Erbe von Kainz ange¬
treten hat, ein Stück Poesie.
Sein Organ und die Sprechkunst an
sich die Melodik des Sprechens, stehen vollkommen
auf der Höhe der Kainz'schen Kunst.. Dann
kommt Hauptmann auf Toistoi zu sprechen. Tolstoi
hat auf mich den stärksten Einfluß geübt., Schon
vorher habe ich in meinem dunklen Jugendtrieb
aus denen die
den Weg zu den Quellen gesucht,
großen Dichter geschöpft haben. Man hat nur tradi¬
tionell von den großen Tichtern sich beeinflussen
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