VII, Verschiedenes 11, 1913–1915, Seite 4

(Quellenangabe ohne Gewahr.)
Ausschnitt aus: Zeit im Bild
" München-Wi
vom: 26NOU 70
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THEATER

Berliner Theater
Gesinnung? Das ist sicher: es gibt nicht mehrerlei Gesin¬
nung, eine politische, eine wissenschaftliche, eine literari¬
sche Gesinnung. Das heißt: man kann sich nicht literarisch
über politische Gesinnung, nämlich über Mangel an po¬
litischer Gesinnung lustig machen. ohne literarische Ge¬
sinnung zu haben. Es hilft nichts: ein Satiriker darf
menschlich nicht unter dem Objekt seiner Satire stehen.
Satiriker sein verlangt erst in zweiter Linie: Gestaltungs¬
kraft. In erster Linie verlangt es: Charakter. Eher
wird eine Satire, die der lachende Zorn eines ganzen
Kerls herausgestoßen hat, die Herzen bewegen, als der
musterhaft phrasierte Anklageschrei eines engbrüstigen
Astheten. Hans Müller, der Verfasser von „Gesinnung,
ist freilich nicht einmal das. Ein Schnitzler=Epigone?
„Der Schüler eines Schülers von Kolo Moser,“ sagt Bahr
in einem seiner Stücke. Genau so weit ist Hans Müller
bereits von Schnitzler entfernt, den er kompromittiert.
Aus Schnitzlers weichem, müdem, schönheitssüchtigem und
damit liebenswertem Österreich ist hier ein Land von
Trotteln und Haderlumpen geworden, in dem sein Schil¬
derer sich's wohl sein läßt. Bringt diesen Literaten in
keimfreie Luft, und er wird das Leben halb so reizvoll
finden. Er braucht Minister=Aspiranten, die schmierige
Wetterfahnen sind; Preisschwimmerinnen, die eigentlich
keinen Fehler haben, als daß er frivol mit ihnen umgeht;
Literaten, die ihre Geliebte zeitweise an Lebegreise ver¬
mieten. Hoffentlich wendet er ein, daß seine Ironie zu
fein ist, um von einem Dickhäuter, wie ich bin, bemerkt
und gewürdigt zu werden. Aber diese Ironie kehrt sich
gegen ihn selbst. Sie ist so furchtbar billig. Denn was
wäre gegen eine ironische Betrachtungsweise gefeit,
wenn man es willkürlich, ohne Respekt vor einem innern
Gesetz, in usum delphini umstülpt! Nehmen wir einmal,
um Hans Müllers Oberflächlichkeit zu ermessen, den Fall
der Preisschwimmerin. Als solche erkennt sie schließlich
ein reiner Tor, der geglaubt hatte, daß er sie vom Tode
gerettet, daß er damit einmal in seinem zwecklosen Dasein
eine gute Tat getan und daß er jetzt nur noch die Pflicht
habe, das Mädel zu heiraten. Ein Irrtum hat Folgen,
die mit der Aufklärung des Irrtums von Rechts und
Psychologie wegen zergehen müssen. Bei Hans Müller
nicht. Es ist ihm zu schwer, die Beschämung des reinen
Toren und der Preisschwimmerin tragikomisch zu ver¬
tiefen. Er hüpft mit einem Witz über die Schwierigkeit
weg und empfiehlt uns weiter als Verlobte zwei Leutchen,
die das Zeug gehabt hätten, sich von dem Gesindel der
andern beiden Einakter zu unterscheiden. Damit ich aber
nicht lüge oder doch die Wahrheit verschweige: man lacht
ab und zu. Dieser Autor ist zum mindesten ein unbe¬
kümmerter Feuilletonist, der seine Wurstigkeit schnoddrig
pointiert. Er wäre freundlicher begrüßt worden, wenn
das Kleine Theater die drei Einakter an drei Abenden
drei größern Stücken von drei gewichtigern Dramatikern
voraufgeschickt hätte. Durch die Zusammenballung dieser
denkbar unlyrischen Müller=Lieder entstand eine Atmo¬
sphäre von Muffigkeit, die empfindlichere Lungen angriff.
Es wäre Zeit, daß die Direktion Altman, die seit elf
Wochen in Übung ist, nun endlich anfinge. Dies Haus
unter den Linden hat von Reinhardt und Barnowsky her
eine Tradition, an die anzuknüpfen spielend leicht sein
sollte. Oder nicht? So oft ich mit vollem Magen zu
Bett gegangen bin, träume ich, daß ich ein Theater zu
leiten habe, und werde durch mein eigenes Angstgebrüll
aufgeschreckt. Denn in wachem Zustand gibt es für mich
keine entsetzlichere Vorstellung, als daß die lieben Nach¬
barn recht behalten könnten, die mir immer ein Ende
mit dem Schrecken der Theaterpraxis prophezeien. Trotz¬
dem: locken würde mich die Probe, ob ich bei dem Riesen¬
UNB MUSIK
angebot von Dramen ebenso töricht wählen würde, wie
viele Berliner Bühnenleiter. Wie, zum Beispiel, der
Direktor Altman. Der hat vorläufig einzig das
Ver¬
dienst, uns Herrn Gustav Waldau gezeigt zu haben, den
wir aber nicht als Gast gezeigt, sondern unserm Bestand
einverleibt haben wollen. Ein Schauspieler von der
besten Kinderstube, also ein seltener Vogel in Berlin, und
weit mehr als das: humoristischer Charakteristiker von
einer Spannweite, die selbst hier fühlbar wurde, wo die
Armut des Autors sie verhinderte, genügend sichtbar zu
werden. Wenn unsre Thespisse ihr Geschäft verstehen,
überbieten sie einander, um Herrn Waldau dem Münchner
Hoftheater abspenstisch zu machen.
*
Bayerische Staatszeitung
Husschnitt aus:
München
O prPeN
vom:


n n enn
Sür
Wiener Theater
Zwei Burgtheater=Premieren. Schönherrs neues Drama.
Immer wieder die alte Klage, wie mager es doch um die hei¬
mische, deutsche, bodenständige Produktion in der dramatischen Li¬
teratur bestellt sei. Und immer wieder ist darauf die alte Antwort
zu geben, daß sich's die Herren Theaterdirektoren vielleicht doch
#t so bequem machen sollten, nur den modernen, den gelaufigen
Namen nachzujagen. Weil Schnitzler heuer kein neues Stück ge¬
schrieben hat, liegt die dramatische Literatur eigentlich doch noch
nicht darslieder.
unser Hafburgtheater bekundet auch keine allzugroße Rührigkeit
in der Forderung heimischer, nuch nicht diplomierter autoren. Wenn¬
Schnitzl# heuer auf seinen Lorbeeren rastet und Schönherrs letz¬
tes Werk sich als burgtheaterunfähig erweist, so wendet das Burg¬
theater der gesamten österreichischen Dichterwelt kurzweg den Rücken
und deckt seinen Bedarf bei ausländischen Dichterfirmen.
Seicherart geschah es, daß uns kürzlich eine Komödie von
Dario Niceodemi aufgetischt wurde, einem in Paris vielgespielten
Antor. Das Stück heißt: „Der Reiberbusch“. Dieser Reiherbusch
weht stolz im Wappen eines altgräflichen Adelsgeschlechtes. Der
Keen dieser Komödie, in wenigen Sätzen bloßgelegt, besteht nun
darin, daß der junge, kaum vierundzwanzigjährige Graf mit der
Frau eines steinreichen Börsenspekulanten ein Liebesverhältnis
unterhält, das nicht so gebeim ist, wie er vermutet. Seine gräf¬
liche Frau Mutter, eine Witwe, weiß nämlich sehr wohl darum,
ja es besteht begründeter Verdacht, daß sie dieses unsaubere Ver¬
hältnis eingefädelt, daß sie ihren Sohn der Millionärin schlechthin
verkuppelt hat. Diese ihre Kuppeldienste, ihr Schweigen, ihr ru¬
lges Zuseben hat sie sich mit rund einer Million von der reichen
Thebrecherin bezahlen lassen, da sie selbst bettelarm dastand. Mit
diesem an der Börse erspekuliertem Gelde der Bürgerlichen hat diese
Adelige den Glanz ihres Wappens, des Reiherbusches, aufgefrischt.
Allein die ganze Skandalgeschichte kommt ans Tageslicht. Der
„### ##. Medertrache #oio; Mutter,
ist
sunge Bauf, der
dem Selbstmorde nahe. Die Millionärsgattin aber trennt sich
von ihrem Manne, den sie nicht liebt, und will fortan dem ehe¬
brecherisch Geliebten Frau und Stütze sein. Die gräfliche Frau
Mutter zieht sich mit der Gloriole der opferfreudigen Mutterliebe,
die für ihr Kind alles tut, sogar Verbrechen begeht, aus der uner¬
qnicklichen Affäre. — Wie man sieht, ist hier Adel gegen Bürger¬
tum gestellt, ein in der Theatergeschichte vielfach benütztes Thema.
Allein welcher Adel, gegen welches Bürgertum! Von beiden wer¬
den die an den äußersten Möglichkeitsgrenzen stehenden Zerrge¬
stalten gewählt, um das Exempel zu dem gewünschten Ende führen
zu können.
Es ist ein leichtes und wohlfeiles Spiel, einen ganzen großen
Stand dadurch in schmählichsten Schatten zu stellen, daß man ihn
durch fast unmöglich schlechte Repräsentanten in den Winkelzügen
dieses Spieles vertreten sein läßt. Für ein solches Stück aber ist
der Platz an einem Hofburgtheater wahrlich schlecht gewählt. So
weht denn auch in der Tat dieser seltsame Reiherbusch heute, wenige
Wochen nach der Premiere nur mehr ganz selten im Repertoire der
Hofbühne und fast die gesamte Kritik war sich darüber einig, daß
der Verlegenheitsgriff nach dem Ausländer ein gehöriger Mißgriff
war.