VII, Verschiedenes 11, 1913–1915, Seite 28

Aeemennranmanmn
neenenheen
„Des is wieder amol auer!“
„Der tuat's!“
in unserm Tal. Jetzt geht's wieder hoch her; hat
„Wie der von Anno 1900!“ So urteilen sie. Und
jedes Haus wieder seinen eignen Trunk.
Scharf nach Westen läuft das Tal von der
die Zungen schnalzen vom Gäumen weg wie
Donau hin und wendet nur den einen Buckel
Kapselschüsse. Schüchterne Gesänge steigen, es
wird vereinzelt gepascht. Aber man traut sich
der Morgen= und Mittagsonne zu, der andre ist
immer im Schatten, er gehört dem Wiener Wald.
noch nicht recht, die Stimmung ist noch nicht da.
An einem Seitentisch im Hofe, fern von all
Aber wie trostlos sah dieser sonnige Bergrücken
all die Jahre her nicht aus! Kartoffel= und Klee¬
den vergnügten Alkoholikern, sitzt eine Gesellschaft
felder trug er, kümmerliches Getreide, das kaum
von Unzufriedenen des Dorfes. Der pensionierte
Oberlehrer, der Doktor, ein Kaufmann, ein Villen¬
kniehoch wurde, ließ er mürrisch auf sich wachsen,
und jede Pflugschar, die in seinen Leib eindringen
besitzer, ein Wiener Maler. Der Wein schmeckt
auch ihnen, aber er nährt nur ihren Mißmut über
wollte, zog sich kuirschend wieder zurück.
allen Grenzfurchen entstanden immer neue Stein¬
dies und das, und doch bedient gerade diesen Tisch
riegel, die mit den Händen zusammengetragen
die hübsche Nichte des Gastgebers, ein dralles,
siebzehnjähriges Blut, das gar freundlich zu lächeln
wurden, denn die Kartoffeln wollten sich nicht
befreunden mit der hitzigen Nachbarschaft. Und
weiß. Den Oberlehrer haben sie zu früh pensioniert,
dem Kaufmann schon wieder einen Konkurrenten
mitten in den öden Stoppelfeldern gemahnten
die vielen vereinsamten Pfirsichbäume an die ver¬
vor die Nase gesetzt, der ihm die besten Kunden ab¬
fängt. Dem Maler aber haben sie alle Wege ver¬
sunkene Herrlichkeit. Und auch andre Zeugen
boten, die zu schönen Landschaftsbildern führen;
waren noch da. Lief ein Sonntagsjäger, dem die
der Doktor ist in Ungnade, weil er angeblich aus
Bodenverhältnisse nicht vertraut waren, einem
jedem Schnupfen eine Epidemie macht, und dem
vergrämten Bock nach, der sich aus dem lauten
Villenbesitzer haben sie trotz seines Protestes einen
Wald der Sommerfrische hierher geflüchtet hatte,
Nachbar gegeben, der neben seine Palmenhäuser
fiel er leicht in eine Zisterne.
einen großen Kober für Schweinezucht gebaut hat.
Das ist langsam wieder anders geworden;
Und zu ihnen gesellt sich als sechster ein Sommer¬
wo ehedem Wein reifte, da reift er auch künftig,
frischler, der an jedem heißen Tage fuchsteufels¬
denn überall grünt jetzt auf dem dürren Buckel
wild ist, weil es in dem Nest noch immer kein
die junge amerikanische Rebe und geht mächtig
ins Holz. Die alte Winzerherrlichkeit kommt wieder.
ordentliches Schwimmbad gibt, obwohl der Bach
seit dreitausend Jahren mitten hindurchfließt. Nach
Schon stürzt sich die Gemeinde in immense Aus¬
Wien hinein muß man fahren, wenn man baden will.
gaben zur Hebung ihrer Sommerfrische, an allen
Hei, da wird räsoniert! Keinen guten Faden
beliebten Punkten schießen jetzt die Tafeln wie
Pilze aus der Erde, die uns verkünden, daß diese
lassen sie an dem lieben Dorf, das sie doch nicht
meiden mögen, kein Haar auf dem Haupte der
Wege fortan verboten sind. Und der kleinste Dackel
Gemeindebonzen bleibt ungekrümmt. Nie wieder
muß an der Leine geführt werden. „Sonst fünf
möchte man seine Schritte nach dieser Sommer¬
Kronen Strafe.“ In Freiheit geborene Wiener
frische lenken, wenn man alles für bare Münze
Hunde, die gewohnt sind, unbehindert über die
nähme, was da geredet wird. Nur dem Heurigen
Ringstraße zu spazieren, die ihr Harerl vor jedem
tun sie nichts, nur er findet Gnade. Und er be¬
Herrschaftspalais und vor jedem Dentmal eines
zwingt langsam auch ihre bösen Mäuler, sie werden
Unsterblichen ungestraft heben dürfen, sie sollen
immer weniger fähig zu einem geregelten Disput,
sich in der Wiener=Wald=Sommerfrische nur mehr
bald gibt es bei dem, bald bei jenem einen kleinen
angeseilt neben ihren Herren sehen lassen. Als
Am dauerhaftesten ist der alte
ob sie keine Steuerzahler wären! Der hohe
Zungenschlag.
Oberlehrer. Er hat ein Steckenpferd, auf dem er
Landesausschuß von Niederösterreich wird diese
sicher reitet, eine fire Idee, die ihn wie ein Schwimm¬
Gemeinde unter Kuratel stellen müssen wegen
gürtel über Meere von Alkohol trägt. Und damit
Verschwendungssucht, denn sie hat selbst die staubige
beherrscht er auch heute die Debatte. Der Doktor,
Landstraße, die zwischen Wiesen, Kartoffelfeldern
der noch zu jung in der Gemeinde war, hatte ihm
und Bauplätzen hinläuft, mit Tafeln eingezäunt,
früher stets opponiert, heute aber stimmte auch
die den Wiener Hunden das Betreten dieser
er ihm bei, und das machte den alten Schulmeister
„Kulturen“ verbieten. So steigt der Wein, der
nicht wenig stolz. Dieser hatte nämlich eine neue
auf dem Berge droben wachsen soll, den Leuten
naturwissenschaftliche Theorie aufgestellt, er be¬
im Tal schon jetzt zu Kopfe.
hauptete, den geheimnisvollen Zusammenhang
Und der schon gewachsene nicht minder.
gefunden zu haben zwischen den guten Jahrgängen
„Ausg'steckt“ ist wieder. In jedem Stellwagen
im Weinbau und den minderwertigen im Schul¬
verkündet es den Sommerfrischlern ein kleines
leben. Und als er heute den ersten Viertelstutzen
Plakat, an jeder Straßenkreuzung des Dorfes
leerte und den Nachgeschmack auf der Zunge
weist ein gestrenger Finger Gottes uns den Weg
prickeln ließ, da kleidete er sein Lob in die dunkeln
zum Heurigen. Und auf den ungehobelten Tischen
Worte: „Das wird wieder eine Generation von
im Hofe und im Garten flackern des Abends die
Trotteln werden Anno 1919!“ Die ihn nicht ver¬
Windlichter wieder, und auch in der Preß drängen
standen, fragten, was er meine, die seine Theorie
sich hinter langen Tafeln die Gäste, lehnen an
schon kan##en, lächelten. Aber siehe, diesmal nickte
feuchten Mauern, schlürfen den köstlichen jungen
auch der Doktor zustimmend: „Jawohl, jawohl!“
Wein und schnalzen mit der Zunge.
Die Einheimischen sind in der Überzahl. Sie
sagte er.
„Na, endlich geben Sie's zu!“ rief der Ober¬
müssen jedem Nachbarn die Ehre geben, sie setzen
lehrer. „Anno neunzehnhundert und neunzehn¬
ihren Stolz darein, jeden guten Tropfen, der in
hunderteins waren gute Weinjahre — neunzehn¬
der Gemeinde wächst, zu kennen. Der eine läßt
hundertsechs und =siehen sind blöde Kindergene¬
beim andern ankreiden, und wenn die Runde um
rationen in die erste Klasse gekommen. Seit vielen
ist, wird abgerechnet. Selten, daß einer etwas
Jahren war ich dem Zusammenhang auf der Spur,
herausbekommt, im besten Falle hat er bei dem
jetzt aber gibt es keinen Zweifel mehr für mich.
und jenem ein paar Viertel gut fürs nächste Jahr.
Die Aufeinanderfolge war zu schlagend.“ Dabei
So trinkt nie einer allein den Wein, den er ge¬
schlürfte er an seinem zweiten Viertel und sog
fechst hat, sie helfen alle mit und bringen es zu¬
dessen Blume voll Behagen ein. „Herrgott, werden
stande, daß das, was in der Gemeinde wächst, auch
das Trotteln werden!“
in der Gemeinde vertilgt wird. Was brauchen sie
Die Mißvergnügten lachten hellauf, der Ober¬
fremde Händler, fremdes Geld? Sie sind sich
lehrer aber blieb unerschütterlich ernst. Man wollte
selbst genug und wollen wenigstens wissen, wofür
vom Doktor wissen, was er von der Theorie halte.
sie gearbeitet haben. Schlimm genug, daß man
Er strich seinen wallenden blauschwarzen Bart
im Frühjahr und Frühsommer, während der
und zuckte mit den buschigen Augenbrauen. Er
stärksten Arbeit im Weingarten, Flaschenbier
habe lange nur an die Degenerierung der Kinder
trinken muß. Nichts Trostloseres als die Zeit,
von Alkoholikern im allgemeinen geglaubt, sagte
wo es keinen Alten mehr gibt und der Heurige
er. Aber der Oberlehrer habe ihn überzeugt. Sie
noch nicht trinkbar ist. Ein Abstinenzler könnt'
hätten neulich einmal den Dümmsten im Dorfe
man werden!
die Jahre nachgerechnet und immer wieder ge¬
Gott sei Dank, sie ist jetzt vorüber, die, schwere
funden, daß sie aus guten Weinjahren stammten.
Zeit, der 1912er ist doch endlich trinkbar. Und
kein Stuhl ist an den ersten Abenden frei für einen Dagegen habe die mittlere Generation, die aus
Die Tischgenossen sahen sich bedeutungsvol
Einige schoben ihre Gläser fort. Der Doktoy
redete weiter. Man wußte ja schon lange, d
bestimmte Jahrgänge von Menschen gab
minderwertig, und solche, die hervorragend
Noch kenne man die letzten Gründe der Ersche
nicht, nur für die Weingegenden habe man
bare Anhaltspunkte. Die Beobachtungen
Herrn Oberlehrers seien da geradezu bahnbre
„In guten Heurigenjahren,“ so schloß er,
man die Frauen ganzer Dörfer in ein K
sperren.“
Gelächter lohnte den Doktor für seine
hafte Rede, und der Oberlehrer umarmte ih
rührt. Endlich! Endlich wurde erjgewürdigt.
man kam nicht mehr los von dem Thema. G
die hübsche Nichte des Gastgebers mit einem
gefüllten Stutzen erschien, rief der Maler ih
„Ophelia, geh in ein Kloster!“ — „Susi hoaß
erwiderte sie das erstemal mit heller Stimme.
a Kloster? I? Kunnt m'r einfallen!“ Dann
als der Scherz sich ständig wiederholte, lächel
Schöne nur mitleidig=duldsam, wie man
Halbbetrunkene lächelt, die nicht mehr recht un
was sie reden. Die Debatte aber vertiefte sich
einem Viertel zum andern. Der Oberlehren
der Doktor, die genauesten Kenner der Dorfm
heit, gingen miteinander alle lebenden #
ratioren durch, und sie wagten sich sogar a
Gemeindefunktionäre der jetzigen und der frü
Wahlperiode, in der der Oberlehrer vorzeitig
gestellt worden war. An andern Tischen ge
man sich nicht, den und jenen Dorfgewa
gelegentlich einen Teppen zu nennen, hier
wurde nicht geschimpft, hier hieß es bloß:
ein Vierundsechziger!“ Oder: „O je, ein
undfünfziger!“ Und alle wußten, was da
Jahrgänge waren. Von dem Dickwanst dort dr
dem früheren Bürgermeister, der den Ober
pensionierte, hieß es bloß, er sei der größte
undsechziger im ganzen Dorf. Eine höhere S
rung ließ sich überhaupt nicht denken, der
einen Heurigen, wie Anno vierundsechzig,
man im ganzen vorigen Jahrhundert nicht.
Spä beim sechsten Viertel, kam die
raschung des Abends — Musikanten traten
Eine Klampfen, eine Geige, eine Streich
Sie hatten ihren Stadtbahnzug aus Wien vers
aber zu spät kamen sie noch nicht. Und sie bra
die Heurigenstimmung mit, die bis jetzt g
hatte. Auf einmal trauten sich alle aus sich he
Lieder stiegen, und „Mitsingen! Mitsingen!
die allgemeine Losung. Ramentlich drin i
Preß ging's hoch her; da war das Hauptau
der Dorfjugend, da betätigte sich die Gener
aus der Reblauszeit. Ganz toll war sie. Un
behäbigen Vierundsechziger und Zweiundfün
standen zwischen den Türen und paschten m
tranken ihnen zu.
Auch die Mißvergnügten erhoben sich
nach dem andern und schwankten nach dem Zen
hin. Alle Beschwerden gegen die Gemeinde
alle Theorien gegen den Alkohol waren verg
die Köpfe wiegten sich im Takt, die Stutzen w#
von der schönen Susi immer wieder gefüllt
Mauer, die nicht wankte. Juchhul
Das Drah'n, das is mei Leb'n.
Kann's denn was Schönres geb’n
Als Drah'n die ganze Nacht,
Bis daß ein' d' Sunn anlacht!
„Juchhu!“ — „Mitsingen! Mitsingen!“
Spät nach Mitternacht torkelte der alte
lehrer Arm in Arm mit seinem argen Widers
dem größten Vierundsechziger des Dorfes,
wärts. Sie hatten sich in der gemeinsamen
geisterung über den heurigen Jahrgang ver
Aber ganz war der alte Schulfuchs auch in di
Zustande von seinem Steckenpferd nicht
worfen worden. Er lallte ein über das andre
„Anno neunzehn — ilich gratulier'! J—
1
gratulier'!“
Und als er heimkam, weckte er seine Alte
befahl ihr, schnell in ein Kloster zu gehen.
* Umdrehen, die Nacht zum Tag machen, die
durchlumpen.