VII, Verschiedenes 11, 1913–1915, Seite 29


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1. Miscellaneous
Über Land und Meer
1914. Nr. 9
Beim Heurigen. Von Adam Müller=Guttenbrunn
n haben sie ihre von der Reblaus ver¬
der Reblauszeit, einen auffallend intelligenten
Wiener Sommerfrischler, lauter behauste Bürger,
kten Weingärten wieder aufgepäppelt
lauter Hauerpublikum ringsum.
Durchschnitt. Das könne doch kein Zufall sein.
Tal. Jetzt gehi's wieder hoch her; hat
„Der tuat's!“ „Des is wieder amol aner!“
Die Tischgenossen sahen sich bedeutungsvoll an.
wieder seinen eignen Trunk.
„Wie der von Anno 1900!“ So urteilen sie. Und
Einige schoben ihre Gläser fort. Der Doktor aber
nach Westen läuft das Tal von der
die Zungen schnalzen vom Gaumen weg wie
redete weiter. Man wußte ja schon lange, daß es
i und wendet nur den einen Buckel
Kapselschüsse. Schüchterne Gesänge steigen, e
bestimmte Jahrgänge von Menschen gab, die
n= und Mittagsonne zu, der andre ist
wird vereinzelt gepascht. Aber man traut sich
minderwertig, und solche, die hervorragend sind.
Schatten, er gehört dem Wiener Wald.
noch nicht recht, die Stimmung ist noch nicht da.
Noch kenne man die letzten Gründe der Erscheinung
trostlos sah dieser sonnige Bergrücken
An einem Seitentisch im Hofe, fern von all
nicht, nur für die Weingegenden habe man greif¬
hre her nicht aus! Kartoffel= und Klee¬
den vergnügten Alkoholikern, sitzt eine Gesellschaft
bare Anhaltspunkte. Die Beobachtungen des
er, kümmerliches Getreide, das kaum
von Unzufriedenen des Dorfes. Der pensionierte
Herrn Oberlehrers seien da geradezu bahnbrechend.
Oberlehrer, der Doktor, ein Kaufmann, ein Villen¬
urde, ließ er mürrisch auf sich wachsen,
„In guten Heurigenjahren,“ so schloß er, „sollte
Pflugschar, die in seinen Leib eindringen
besitzer, ein Wiener Maler. Der Wein schmeckt
man die Frauen ganzer Dörfer in ein Kloster
sich knirschend wieder zurück.
sperren.“
auch ihnen, aber er nährt nur ihren Mißmut über
zfurchen entstanden immer neue Stein¬
dies und das, und doch bedient gerade diesen Tisch
Gelächter lohnte den Doktor für seine schalk¬
mit den Händen zusammengetragen
die hübsche Nichte des Gastgebers, ein dralles,
hafte Rede, und der Oberlehrer umarmte ihn ge¬
enn die Kartoffeln wollten sich nicht
siebzehnjähriges Blut, das gar freundlich zu lächeln
rührt. Endlich! Endlich wurde erggewürdigt. Und
mit der hitzigen Nachbarschaft. Und
weiß. Den Oberlehrer haben sie zu früh pensioniert,
man kam nicht mehr los von dem Thema. So oft
den öden Stoppelfeldern gemahnten
dem Kaufmann schon wieder einen Konkurrenten
die hübsche Nichte des Gastgebers mit einem frisch¬
ereinsamten Pfirsichbäume an die ver¬
vor die Nase gesetzt, der ihm die besten Kunden ab¬
gefüllten Stutzen erschien, rief der Maler ihr zu:
errlichkeit. Und auch andre Zeugen
fängt. Dem Maler aber haben sie alle Wege ver¬
„Ophelia, geh in ein Kloster!“ — „Susi hoaß ich!“
hda. Lief ein Sonntagsjäger, dem die
boten, die zu schönen Landschaftsbildern führen;
erwiderte sie das erstemal mit heller Stimme. „In
kältnisse nicht vertraut waren, einem
der Doktor ist in Ungnade, weil er angeblich aus
a Kloster? I? Kunnt m'r einfallen!“ Dann aber,
i Bock nach, der sich aus dem lauten
jedem Schnupfen eine Epidemie macht, und dem
als der Scherz sich ständig wiederholte, lächelte die
Sommerfrische hierher geflüchtet hatte,
Villenbesitzer haben sie trotz seines Protestes einen
Schöne nur mitleidig=duldsam, wie man über
ht in eine Zisterne.
Nachbar gegeben, der neben seine Palmenhäuser
Halbbetrunkene lächelt, die nicht mehr recht wissen,
langsam wieder anders geworden;
einen großen Kober für Schweinezucht gebaut hat.
was sie reden. Die Debatte aber vertiefte sich von
1 Wein reifte, da reift er auch künftig,
Und zu ihnen gesellt sich als sechster ein Sommer¬
einem Viertel zum andern. Der Oberlehrer und
fall grünt jetzt auf dem dürren Buckel
frischler, der an jedem heißen Tage suchsteufels¬
der Doktor, die genauesten Kenner der Dorfmensch¬
amerikanische Rebe und geht mächtig
wild ist, weil es in dem Nest noch immer kein
heit, gingen miteinander alle lebenden Hono¬
Die alte Winzerherrlichkeit kommt wieder.
ordentliches Schwimmbad gibt, obwohl der Bach
ratioren durch, und sie wagten sich sogar an die
zt sich die Gemeinde in immense Aus¬
seit dreitausend Jahren mitten hindurchfließt. Nach
Gemeindefunktionäre der jetzigen und der früheren
Hebung ihrer Sommerfrische, an allen
Wien hinein muß man fahren, wenn man baden will.
Wahlperiode, in der der Oberlehrer vorzeitig kalt¬
Punkten schießen jetzt die Tafeln wie
Hei, da wird räsoniert! Keinen guten Faden
gestellt worden war. An andern Tischen genierte
der Erde, die uns verkünden, daß diese
lassen sie an dem lieben Dorf, das sie doch nicht
man sich nicht, den und jenen Dorfgewaltigen
hu verboten sind. Und der kleinste Dackel
meiden mögen, kein Haar auf dem Haupte der
gelegentlich einen Teppen zu nennen, hier aber
r Leine geführt werden. „Sonst fünf
Gemeindebonzen bleibt ungekrümmt. Nie wieder
wurde nicht geschimpft, hier hieß es bloß: „Aha,
strafe.“ In Freiheit geborene Wiener
möchte man seine Schritte nach dieser Sommer¬
ein Vierundsechziger!“ Oder: „O je, ein Zwei¬
gewohnt sind, unbehindert über die
frische lenken, wenn man alles für bare Münze
undfünfziger!“ Und alle wußten, was das für
zu spazieren, die ihr Haxerl vor jedem
nähme, was da geredet wird. Nur dem Heurigen
Jahrgänge waren. Von dem Dickwanst dort drüben,
palais und vor jedem Denkmal eines
tun sie nichts, nur er findet Gnade. Und er be¬
dem früheren Bürgermeister, der den Oberlehrer
en ungestraft heben dürfen, sie sollen
zwingt langsam auch ihre bösen Mäuler, sie werden
pensionierte, hieß es bloß, er sei der größte Vier¬
Wiener=Wald=Sommerfrische nur mehr
immer weniger fähig zu einem geregelten Disput,
undsechziger im ganzen Dorf. Eine höhere Steige¬
jeben ihren Herren sehen lassen. Al
bald gibt es bei dem, bald bei jenem einen kleinen
rung ließ sich überhaupt nicht denken, denn so
ne Steuerzahler wären! Der hohe
Zungenschlag. Am dauerhaftesten ist der alte
einen Heurigen, wie Anno vierundsechzig, trank
schuß von Niederösterreich wird diese
Oberlehrer. Er hat ein Steckenpferd, auf dem er
man im ganzen vorigen Jahrhundert nicht.
unter Kuratel stellen müssen wegen
sicher reitet, eine fire Idee, die ihn wie ein Schwimm¬
Spät, beim sechsten Viertel, kam die Über¬
dungssucht, denn sie hat selbst die staubige
raschung des Abends — Musikanten traten ein.
gürtel über Meere von Alkohol trägt. Und damit
beherrscht er auch heute die Debatte. Der Doktor,
die zwischen Wiesen, Kartoffelfeldern
Eine Klampfen, eine Geige, eine Streichzither.
ätzen hinläuft, mit Tafeln eingezäunt,
der noch zu jung in der Gemeinde war, hatte ihm
Sie hatten ihren Stadtbahnzug aus Wien versäumt,
Wiener Hunden das Betreten dieser
früher stets opponiert, heute aber stimmte auch
aber zu spät kamen sie noch nicht. Und sie brachten
er ihm bei, und das machte den alten Schulmeister
verbieten. So steigt der Wein, der
die Heurigenstimmung mit, die bis jetzt gefehlt
Berge droben wachsen soll, den Leuten
nicht wenig stolz. Dieser hatte nämlich eine neue
hatte. ## einmal trauten sich alle aus sich heraus.
on jetzt zu Kopfe.
Lieder mnegen, und „Mitsingen! Mitsse#gen!“ war
naturwissenschaftliche Theorie aufgestellt, er be¬
schon gewachsene nicht minder.
hauptete, den geheimnisvollen Zusammenhang
die allgemeine Losung. Namentlich brin in der
ist wieder. In jedem Stellwagen
gefunden zu haben zwischen den guten Jahrgängen
Preß ging's hoch her; da war das Hauptquartier
es den Sommerfrischlern ein kleines
im Weinbau und den minderwertigen im Schul¬
der Dorfjugend, da betätigte sich die Generation
jeder Straßenkreuzung des Dorfes
leben. Und als er heute den ersten Viertelstutzen
aus der Reblauszeit. Ganz toll war sie. Und die
estrenger Finger Gottes uns den Weg
leerte und den Nachgeschmack auf der Zunge
behäbigen Vierundsechziger und Zweiundfünfziger
prickeln ließ, da kleidete er sein Lob in die dunkeln
gen. Und auf den ungehobelten Tischen
standen zwischen den Türen und paschten mit und
tranken ihnen zu.
nd im Garten flackern des Abends die
Worte: „Das wird wieder eine Generation von
Trotteln werden Anno 1919!“ Die ihn nicht ver¬
wieder, und auch in der Preß drängen
Auch die Mißvergnügten erhoben sich einer
langen Tafeln die Gäste lehnen an
standen, fragten, was er meine, die seine Theorie
nach dem andern und schwankten nach dem Zentrum
Mauern, schlürfen den köstlichen jungen
schon kannten, lächelten. Aber siehe, diesmal nickte
hin. Alle Beschwerden gegen die Gemeinde und
schnalzen mit der Zunge.
auch der Doktor zustimmend: „Jawohl, jawohl!“
alle Theorien gegen den Alkohol waren vergessen,
hheimischen sind in der Überzahl. Sie
die Köpfe wiegten sich im Takt, die Stutzen wurden
sagte er.
heben Stel. #!## #iel der Ober
von der schönen Suli immer wieder g
hm Nachbarn d# Ehre gn
ie seten.
und
Aaperte