VII, Verschiedenes 11, 1913–1915, Seite 42

1. Miscellaneous box 41/5
Ausschnäsaller Wochenblatt
GANGAK 1315
vom:
* Arthur Schnitzler verteidigt sich. Im „Journal
Geneve“ protestiert Akrym=Schnitzler gegen die rus¬
sische Presse, die ihm erlogene Aeußerungen über Tolstoi,
Maeterlinck, Anatole France und Shakespeare zuschiebt.
Der Brief Schnitzlers wird eingeleitet von Romain
Rolland, der auch im Wüten des Krieges den Zusam¬
menschluß der wahren Führer der Wissenschaft und
Kunst fordert. Schnitzler zeigt dem Genannten dichte¬
rische Bewunderung und sagt, die heutige Welt sei ver¬
wirrt derch das Uebermaß des Hasses und das wahn¬
sinnige Lügen hinter der Frontreihe. Bei allem schul¬
digen Patriotig## dürfe der Krieg die Urteilskraft,
die Dankharrest und die Gerechtigkeit nicht vernichten.
Stwam
Ausschnitt aus: VORWARTS. BERLIN
Tahatols
vom:
*
Ein Protest Artur Schnitzlers#
Artur Schnitzler veröffentlicht in einem
Schweizer Blatt die folgende Erklärung, die
er dem „Forum“ auf dessen Wunsch zum Ab¬
druck überläßt.
Wie ich durch Freunde in Rußland auf einem Umweg erfahre,
und in Petersburger Blättern angebliche Aeußerungen von mir
nber Tolstoi, Macterlinck, Anatole France, Shakespeare von so
phantastischer Unsinnigkeit veröffentlicht worden, wie sie mir zU
nimalen Zeiten von niemandem, der mich kennt, zugetraut würden,
die aber in unserer vom Uebermaß des Hasses und vom Wahnsinn
der Lüge verwirrten Welt immerhin auch sonst urteilsfähigen
Menschen nicht unglaubhaft erscheinen könnten.
Solche Verhetzungsversuche, wie sie weit hinter den Fronten
der ehrlich kämpfenden Armeen im wohlgedeckten Gelände unver¬
antwortlicher Publizistik gefahrlos unternommen werden, scheinen
ja eine besondere, und vielleicht die widerwärtigste, Eigentümlich¬
teit dieses Krieges zu bedeuten. Auch der lächerlichste dieser Ver¬
suche, wenn er gelingt, könnte späteren Verständigungen zwischen
einzelnen, auf die es ankommt, Schwierigkeiten bereiten; daher
möchte es leicht als ein Fehler erscheinen, wenn ich diesen (etwa
um seiner besonderen Albernheit willen) auf sich beruhen ließe.
Der Wortlaut der mir zugeschriebenen Aeußerungen ist mir
noch nicht bekannt; ihr Sinn, und die Tatsache der Veröffentlichung
ober steht unbezweifelbar fest. Da es unter den gegenwärtigen!
Verhältnissen lange dauern kann, ehe ich in den Besitz des Original¬
artikels gelange, muß ich mich vorläufig auf die Erklärung be¬
schränken, daß Aeußerungen der Art, wie sie in jener Publikation
offenbar mitgeteilt sind, von meiner Seite niemals gefallen sind,
nach meiner Gesinnung niemals, weder im Frieden noch im Kriege,
hätten fallen können. Es ist freilich ellvas beschämend für jemanden,
der sich zeitlebens vom Pathos der Selbstverständlichkeiten leidlich
fernzuhalten gewußt hat, erst ausbrücklich versichern zu müssen, daß
ihm das Schöne jederzeit schön, das Große jederzeit groß bleiben
wird, — auch wenn es Nationen angehört oder innerhalb von
Nationen geworden und gewachsen ist, mit denen sein Vaterland
eden in einen Krieg verwickelt ist; aber — der zahlreichen Menschen
ndenkend, die sich in dieser Epoche auch zu schlimmeren Arten von
Selbstverleugnung verstehen müssen, als zu kleinen Geschmack¬
losigkeiten — stehe ich nicht an, es hier niederzuschreiben, daß ich
Tolstoi (einen Russen!) für eines der gewaltigsten dichterischen
Ingenien halte, die je über den Erdkreis geschritten sind; — daß
ich Anatole France (einen Franzosen!) nach wie vor als einen der
vornehmsten Geister der Gegenwart und zugleich als einen Er¬
zahler höchsten Ranges erkenne; und daß Macterlincks (eines Bel¬
giers!) naturwissenschaftlich poctisierende Rhapfodien, sowie viele
seiner kleinen Dramen, auch dann von ihrem seltsam edlen Reiz
nicht das geringste für mich verlören, wenn er wirklich all das
krause Zeug über Deutschland geschrieben hätte, das neuerdings
unter seinem Namen durch die Zeitungen ging. Soll ich mich nun
auch noch öffentlich mit allem Ernste zu Shakespeare bekennen
(dem Engländer! ja, denn er ist in Stratford geboren) — oder fängt
cs selbst den Zweiflern zu dämmern an, daß mir Shakespeare, auch
###nkabe ohne Gewähr.)
Ausschnitt aus:
am JKJMALBI5
Das „Genfer Journal“ bringt einen Protest Arthur
[Schnitzlers zum Abdruck, in dem dieser kraftvoll Ein¬
Pruch erher gegen angebliche abfällige Außerungen über
Meister der russischen, englischen, französischen und bel¬
Hischen Literatur, die ihm russische Zeitungen in böswilliger
AAbsicht unterschieben. Der Protest Schnitzlers gelangt mit
einleitenden Worten von Nomain Rolland zur Veröffent¬
lichung, der hervorhebt, daß es kollegiale Pflicht sei, dies
zu tun, wie überhaupt immer einzutreten, wenn es sich
darum handelte, inmitten des „Wahnsinns der kämpfenden
Nationen die bestehende Einheit des menschlichen Gedau
kens und die geheime Verbindung seiner bestey Geist##u
betonen“
#denn dieser Krieg dreißig Jahre dauerte, immer Shakespeare r
1deuten wird, und erläßt man es mir für das Unvergleichliche und
Einzige nach Worten des Preises und der Bewunderung zu suchen?
So mag denn die leidige Angelegenheit für diesmal als ab¬
getan gesten. Doch später einmal, wenn der Friede wieder da ist,
wollen wir uns mit schmerzlichem Staunen erinnern, daß es eine
Zeit gab, in der wir genötigt waren, über die Grenzen hinüber
einander die Versicherung zuzurufen, daß wir zwar jeder unserel
Heimat geliebt haben, daß wir aber trotzdem Gerechtigkeit, Urteilt
und Tankbarkeit niemals verlernt, daß wir, um es furz zu sagen,
auch in dieser ungeheuren Epoche der Verwirrung niemals ganz¬
lich den Verstand verloren hatten.
Dezember 1911.
Artur Schnitzler.