1. Miscellaneous box 41/5
OG O
Aber sie war unerbittlich, die Ersatzkommission. Und sie
wenn dieser Krieg dreißig Jahre dauerte, immer Shakespeare be¬
kleideten den Schulzen Gorle in Feldgrau. Was wissen rauhe Krieger
deuten wird, und erläßt man es mir für das Unvergleichliche und
auch von den zarten Seelenregungen einer Kuh! —
Einzige nach Worten des Preises und der Bewunderung zu suchen?
So mag denn die leidige Angelegenheit für diesmal als ab¬
getan gelten. Doch später einmal, wenn der Friede wieder da ist,
wollen wir uns mit schmerzlichem Staunen erinnern, daß es einesen
—Ein protest Artur Schnitzlers.
Zeit gab, in der wir genötigt waren, über die Grenzen hinüber!
Artur Schnitzler veröffentlicht in einem
einander die Versicherung zuzurufen, daß wir zwar jeder unsere
Schweizer Blatt die folgende Erklärung, die
Heimat geliebt haben, daß wir aber trotzdem Gerechtigkeit, Urteil
er dem „Forum“ auf dessen Wunsch zum Ab¬
und Tankbarkeit niemals verlernt, daß wir, um es kurz zu sagen,
druck überläßt.
auch in dieser ungeheuren Epoche der Verwirrung niemals gänz¬
Wie ich durch Freunde in Rußland auf einem Umweg erfahre,
lich den Verstand verloren hatten.
Artur Schnitzler.
sind in Petersburger Blättern angebliche Aeußerungen von mir
Dezember 1911.
über Tolstoi, Maeterlinck, Anatole France, Shakespeare von so
phantastischer Unsinnigkeit veröffentlicht worden, wie sie mir zu
Ein Augenzeuge über das Erdbeben.
normalen Zeiten von niemandem, der mich kennt, zugetraut würden,
Der Eisenbahnassistent Marioni, der beim Hereinbruch der Kata= Nit¬
die aber in unserer vom Uebermaß des Hasses und vom Wahnsinn
strophe auf dem Bahnhof in Avezzano Dienst tat, hat einem Mit¬ äns
der Lüge verwirrten Welt immerhin auch sonst urteilsfähigen
e
arbeiter des „Resto del Carlino“ den folgenden Bericht über die
Menschen nicht unglaubhaft erscheinen könnten.
ihi
Katastrophe, die die blübende Stadt vernichtete, erstattet. „Ich stand
Solche Verhetzungsversuche, wie sie weit hinter den Fronten
auf
auf dem Bahnsteig“, sagte der Beamte, „und erwartete das Ein¬
der ehrlich kämpfenden Axmeen im wohlgedeckten Gelände unver¬
in
treffen des Zuges aus Cellano, mit dem ich mich nach Rom begeben
### antwortlicher Publizistikfgefahrlos unternommen werden, scheinen
Le
wollte. Es war genau 7 Uhr 25 Minuten. Ein paar Minuten
ja eine besondere, und vielleicht die widerwärtigste, Eigentümlich¬
später erschütterte die Luft ein furchtbares Krachen, das von einem
4## keit dieses Krieges zu bedeuten. Auch der lächerlichste dieser Ver¬
spar
dumpfen unterirdischen Rollen begleitet war. Es kam von Fern her
suche, wenn er gelingt, könnte späteren Verständigungen zwischen
widel
und näherte sich allmählich. Auch die Erde begann leise zu zittern.
M einzelnen, auf die es ankommt, Schwierigkeiten bereiten; daher
went
Alles das wirkte wie das Geräusch eines näher kommenden Eisen¬
2: möchte es leicht als ein Fehler erscheinen, wenn ich diesen (etwa
sic
bahnzuges. Aber die Täuschung machte dem Erschrecken Platz, als
im seiner besonderen Albernheit willen) auf sich beruhen ließe.
un
ich ein heftiges Schwanken der Erde unter mir gewahrte. Mein
We: Der Wortlaut der mir zugeschriebenen Aeußerungen ist mir
belg
erster Gedanke war, aus dem Bannkreis des die Gleise
noch nicht bekannt; ihr Sinn, und die Tatsache der Veröffentlichung
sie
überwölbenden Bahnhofsdaches herauszukommen. Die
kurze
147 aber steht unbezweiselbar fest. Da es unter den gegenwärtigen
nal
taumelnd wie ein schwer Be¬
Wegstrecke durcheilte ich
4. Verhältnissen lange dauern kann, ehe ich in den Besitz des Original¬
gen
trunkener. Wenn ich das Gleichgewicht auf dem einen Bein verlor,
Tortikels gelange, muß ich mich vorläufig auf die Erklärung be¬
mit
erhielt ich es auf dem andern Bein wieder. Kaum war ich aus
Jah, schränken, daß Aeußerungen der Art, wie sie in jener Publikation
und
der Ueberdachung des Bahnsteigs heraus, als das Dach krachend
offenbar mitgeteilt sind, von meiner Seite niemals gefallen sind,
15
zusammenstürzte. Das Einstürzen des Daches war das Zeichen,
#74= nach meiner Gesinnung niemals, weder im Frieden noch im Kriege,
daß innerhalb und außerhalb des Bahnhofs alles der Vernichtung
hätten fallen können. Es ist freilich etwas beschämend für jemanden,
anheimgefallen war. Von der ganzen Bahnhofsanlage war im
A#eas der sich zeitlebens vom Pathos der Selbstverständlichkeiten leidlich
Handumdrehen nichts weiter stehen geblieben als das Häuschen der
fernzuhalten gewußt hat, erst ausdrücklich versichern zu müssen, daß
Bedürfnisanstalt und das Pumpwerk, das für die Wasserspeisung
ihm das Schöne jederzeit schön, das Große jederzeit groß bleiben
der Lokomotiven dient. Als ich nach Avezzano kam, bot sich meinem
wird, — auch wenn es Nationen angehört oder innerhalb von
Auge das gleiche Bild der Zerstörung, das ich auf dem Bahnhof
Nationen geworden und gewachsen ist, mit denen sein Vaterland
in
gesehen hatte. Von Avezzano war nichts weiter übrig geblieben
eben in einen Krieg verwickelt ist; aber — der zahlreichen Menschen
als ein Berg von Trümmern. Außer dem Bahnhof waren an be¬
Po#
gedenkend, die sich in dieser Epoche auch zu schlimmeren Arten von
merkenswerten Anlagen in der Stadt noch an die zwanzig Fabriken
Du#
Selbstverleugnung verstehen müssen, als zu kleinen Geschmack¬
das #
und Läden, von denen nicht mehr ein Gebäude vorhanden war.
losigkeiten — stehe ich nicht an, es hier niederzuschreiben daß ich
Auch die großen Häuser der Familie Stangolini, die sämtlich be¬
Tolstoi (einen Russen!) für eines der gewaltigsten dichterischen
1210
wohnt waren, sind nicht mehr vorhanden. Unser Versuch, einen
Ingenien halte, die je über den Erdkreis geschritten sind; — daß
Hilfszug abzulassen, scheiterte, weil die Strecke gesperrt war.
ich Anatole France (einen Franzosen!) nach wie vor als einen der
in ng
vornehmsten Geister der Gegenwart und zugleich als einen Er¬
zähler höchsten Ranges erkenne; und daß Macterlincks (eines Bel¬
„Tüf
Der verkannte Shaw.
giers!) naturwissenschaftlich poctisierende Rhapsodien, sowie viele
lands
Shaw gehört zu den Leuten, über die unsere deutsche Presse
seiner kleinen Dramen, auch dann von ihrem seltsam edlen Reiz
unset
im Anfang des Krieges am wütendsten herfiel — weil er verdächtig
nicht das geringste für mich verlören, wenn er wirklich all das
deutt
schien, ein (englischer) Patriot zu sein. Bald freilich wurden
krause Zeug über Deutschland geschrieben hätte, das neuerdings
und 1
Aeußerungen kritischer Art, die er über sein Vaterland tat, bekannt,
unter seinem Namen durch die Zeitungen ging. Soll ich mich nun
wert#
und heute gehört dieser vaterlandslose Geselle zu den Kronzeugen
auch noch öffentlich mit allem Ernste zu Shakespeare bekennen
der gesamten deutschen Presse. Obendrein kann jetzt Herr Trebitsch,
deuts
(dem Engländer! ja, denn er ist in Stratford geboren) — oder fängt
es selbst den Zweiflern zu dämmern an, daß mir Shakespeare, auch sein Uebersetzer, in der „Neuen Freien Presse“ ein Telegramm ver¬I wohl
Theater am Nollendorfpl.
7
Theater für Dienstag. 19. Jangar:
8¼ U.:
Zirkus Alb. Schumann
Immer fesie druff!
Heute 19. Januar, Auf. 7½ Uhr:
Berliner Theater
SARRASANT
8 Uhr:
Theater a. d.Weidendammerbrücke
Gr. Extra-Vorstellung
„Extrablälter!“
m. besond. gewählt. Programm
S10U: Die Geutsche Marke. ragich 77 Uhr abende:
a2, Der-fällenag, Nemek 4
Deuterh#e Künstl#r. V.
OG O
Aber sie war unerbittlich, die Ersatzkommission. Und sie
wenn dieser Krieg dreißig Jahre dauerte, immer Shakespeare be¬
kleideten den Schulzen Gorle in Feldgrau. Was wissen rauhe Krieger
deuten wird, und erläßt man es mir für das Unvergleichliche und
auch von den zarten Seelenregungen einer Kuh! —
Einzige nach Worten des Preises und der Bewunderung zu suchen?
So mag denn die leidige Angelegenheit für diesmal als ab¬
getan gelten. Doch später einmal, wenn der Friede wieder da ist,
wollen wir uns mit schmerzlichem Staunen erinnern, daß es einesen
—Ein protest Artur Schnitzlers.
Zeit gab, in der wir genötigt waren, über die Grenzen hinüber!
Artur Schnitzler veröffentlicht in einem
einander die Versicherung zuzurufen, daß wir zwar jeder unsere
Schweizer Blatt die folgende Erklärung, die
Heimat geliebt haben, daß wir aber trotzdem Gerechtigkeit, Urteil
er dem „Forum“ auf dessen Wunsch zum Ab¬
und Tankbarkeit niemals verlernt, daß wir, um es kurz zu sagen,
druck überläßt.
auch in dieser ungeheuren Epoche der Verwirrung niemals gänz¬
Wie ich durch Freunde in Rußland auf einem Umweg erfahre,
lich den Verstand verloren hatten.
Artur Schnitzler.
sind in Petersburger Blättern angebliche Aeußerungen von mir
Dezember 1911.
über Tolstoi, Maeterlinck, Anatole France, Shakespeare von so
phantastischer Unsinnigkeit veröffentlicht worden, wie sie mir zu
Ein Augenzeuge über das Erdbeben.
normalen Zeiten von niemandem, der mich kennt, zugetraut würden,
Der Eisenbahnassistent Marioni, der beim Hereinbruch der Kata= Nit¬
die aber in unserer vom Uebermaß des Hasses und vom Wahnsinn
strophe auf dem Bahnhof in Avezzano Dienst tat, hat einem Mit¬ äns
der Lüge verwirrten Welt immerhin auch sonst urteilsfähigen
e
arbeiter des „Resto del Carlino“ den folgenden Bericht über die
Menschen nicht unglaubhaft erscheinen könnten.
ihi
Katastrophe, die die blübende Stadt vernichtete, erstattet. „Ich stand
Solche Verhetzungsversuche, wie sie weit hinter den Fronten
auf
auf dem Bahnsteig“, sagte der Beamte, „und erwartete das Ein¬
der ehrlich kämpfenden Axmeen im wohlgedeckten Gelände unver¬
in
treffen des Zuges aus Cellano, mit dem ich mich nach Rom begeben
### antwortlicher Publizistikfgefahrlos unternommen werden, scheinen
Le
wollte. Es war genau 7 Uhr 25 Minuten. Ein paar Minuten
ja eine besondere, und vielleicht die widerwärtigste, Eigentümlich¬
später erschütterte die Luft ein furchtbares Krachen, das von einem
4## keit dieses Krieges zu bedeuten. Auch der lächerlichste dieser Ver¬
spar
dumpfen unterirdischen Rollen begleitet war. Es kam von Fern her
suche, wenn er gelingt, könnte späteren Verständigungen zwischen
widel
und näherte sich allmählich. Auch die Erde begann leise zu zittern.
M einzelnen, auf die es ankommt, Schwierigkeiten bereiten; daher
went
Alles das wirkte wie das Geräusch eines näher kommenden Eisen¬
2: möchte es leicht als ein Fehler erscheinen, wenn ich diesen (etwa
sic
bahnzuges. Aber die Täuschung machte dem Erschrecken Platz, als
im seiner besonderen Albernheit willen) auf sich beruhen ließe.
un
ich ein heftiges Schwanken der Erde unter mir gewahrte. Mein
We: Der Wortlaut der mir zugeschriebenen Aeußerungen ist mir
belg
erster Gedanke war, aus dem Bannkreis des die Gleise
noch nicht bekannt; ihr Sinn, und die Tatsache der Veröffentlichung
sie
überwölbenden Bahnhofsdaches herauszukommen. Die
kurze
147 aber steht unbezweiselbar fest. Da es unter den gegenwärtigen
nal
taumelnd wie ein schwer Be¬
Wegstrecke durcheilte ich
4. Verhältnissen lange dauern kann, ehe ich in den Besitz des Original¬
gen
trunkener. Wenn ich das Gleichgewicht auf dem einen Bein verlor,
Tortikels gelange, muß ich mich vorläufig auf die Erklärung be¬
mit
erhielt ich es auf dem andern Bein wieder. Kaum war ich aus
Jah, schränken, daß Aeußerungen der Art, wie sie in jener Publikation
und
der Ueberdachung des Bahnsteigs heraus, als das Dach krachend
offenbar mitgeteilt sind, von meiner Seite niemals gefallen sind,
15
zusammenstürzte. Das Einstürzen des Daches war das Zeichen,
#74= nach meiner Gesinnung niemals, weder im Frieden noch im Kriege,
daß innerhalb und außerhalb des Bahnhofs alles der Vernichtung
hätten fallen können. Es ist freilich etwas beschämend für jemanden,
anheimgefallen war. Von der ganzen Bahnhofsanlage war im
A#eas der sich zeitlebens vom Pathos der Selbstverständlichkeiten leidlich
Handumdrehen nichts weiter stehen geblieben als das Häuschen der
fernzuhalten gewußt hat, erst ausdrücklich versichern zu müssen, daß
Bedürfnisanstalt und das Pumpwerk, das für die Wasserspeisung
ihm das Schöne jederzeit schön, das Große jederzeit groß bleiben
der Lokomotiven dient. Als ich nach Avezzano kam, bot sich meinem
wird, — auch wenn es Nationen angehört oder innerhalb von
Auge das gleiche Bild der Zerstörung, das ich auf dem Bahnhof
Nationen geworden und gewachsen ist, mit denen sein Vaterland
in
gesehen hatte. Von Avezzano war nichts weiter übrig geblieben
eben in einen Krieg verwickelt ist; aber — der zahlreichen Menschen
als ein Berg von Trümmern. Außer dem Bahnhof waren an be¬
Po#
gedenkend, die sich in dieser Epoche auch zu schlimmeren Arten von
merkenswerten Anlagen in der Stadt noch an die zwanzig Fabriken
Du#
Selbstverleugnung verstehen müssen, als zu kleinen Geschmack¬
das #
und Läden, von denen nicht mehr ein Gebäude vorhanden war.
losigkeiten — stehe ich nicht an, es hier niederzuschreiben daß ich
Auch die großen Häuser der Familie Stangolini, die sämtlich be¬
Tolstoi (einen Russen!) für eines der gewaltigsten dichterischen
1210
wohnt waren, sind nicht mehr vorhanden. Unser Versuch, einen
Ingenien halte, die je über den Erdkreis geschritten sind; — daß
Hilfszug abzulassen, scheiterte, weil die Strecke gesperrt war.
ich Anatole France (einen Franzosen!) nach wie vor als einen der
in ng
vornehmsten Geister der Gegenwart und zugleich als einen Er¬
zähler höchsten Ranges erkenne; und daß Macterlincks (eines Bel¬
„Tüf
Der verkannte Shaw.
giers!) naturwissenschaftlich poctisierende Rhapsodien, sowie viele
lands
Shaw gehört zu den Leuten, über die unsere deutsche Presse
seiner kleinen Dramen, auch dann von ihrem seltsam edlen Reiz
unset
im Anfang des Krieges am wütendsten herfiel — weil er verdächtig
nicht das geringste für mich verlören, wenn er wirklich all das
deutt
schien, ein (englischer) Patriot zu sein. Bald freilich wurden
krause Zeug über Deutschland geschrieben hätte, das neuerdings
und 1
Aeußerungen kritischer Art, die er über sein Vaterland tat, bekannt,
unter seinem Namen durch die Zeitungen ging. Soll ich mich nun
wert#
und heute gehört dieser vaterlandslose Geselle zu den Kronzeugen
auch noch öffentlich mit allem Ernste zu Shakespeare bekennen
der gesamten deutschen Presse. Obendrein kann jetzt Herr Trebitsch,
deuts
(dem Engländer! ja, denn er ist in Stratford geboren) — oder fängt
es selbst den Zweiflern zu dämmern an, daß mir Shakespeare, auch sein Uebersetzer, in der „Neuen Freien Presse“ ein Telegramm ver¬I wohl
Theater am Nollendorfpl.
7
Theater für Dienstag. 19. Jangar:
8¼ U.:
Zirkus Alb. Schumann
Immer fesie druff!
Heute 19. Januar, Auf. 7½ Uhr:
Berliner Theater
SARRASANT
8 Uhr:
Theater a. d.Weidendammerbrücke
Gr. Extra-Vorstellung
„Extrablälter!“
m. besond. gewählt. Programm
S10U: Die Geutsche Marke. ragich 77 Uhr abende:
a2, Der-fällenag, Nemek 4
Deuterh#e Künstl#r. V.