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Miscellaneous
Heft 1
Seite 27
KRITIK
et de
Ein Experiment.
Burgtheater: „König Lear", Dr. Ludwig Wüllner in der Titelrolle.
Im Parterreraum, vielleicht in Logen, sitzen die Besucher der
vierten Gallerie von damals. Sind um zwanzig Jahre älter ge¬
worden, abwägender, haben böse Burgtheaterzeiten mitgemacht:
ein Direktor, feinnervige Persönlichkeit, Reinbegriff des Litera¬
turmenschen, erfüllt mit grossangelegten Plänen, ein Meister des
Für und Wider, leider. Kein Zugreifen, kein Drauflosgeher. Die
grossen Säulen geborsten, mangelhafter Ersatz am Werk, Dekla¬
matoren statt Schauspieler. Eine weinerliche, schwächliche Burg¬
theaterperiode. Man soll ihm nicht das Geringste nachsagen. Ein
Edelmann. Umringt von vielen, vielen Beisitzer angeblich litera¬
rischer Abende im Gartensalettl. (Man liest vor, es wird gestri¬
chen es wird Rücksicht genommen auf dort und da, was der
Dings sagt, muss auch berücksichtigt werden, er kann dann ehr¬
lich loben, weil er die Mängel jetzt schon beseitigt weiss. Das will
seinen Einfluss durchgesetzt sehen, bei Gott, sonst gibt Prügel.)
Gibt es noch immer Leute, die nicht wissen, wie Literatur ge¬
macht wird?
Seit Thimigs Regierungsantritt: ein Stillstand sondergleichen,
bedingt durch den Krieg, Rücksicht auf manchmal pathologische
Forderungen (das pedantisch strenge Ausschalten der Dichter
nicht österreichischer oder reichsdeutscher Staatsangehörigkeit)
und Anderes. Ein Rückschritt — Nein. — Eine Reihe vorzügli¬
cher Klassikeraufführungen, ohne Reklame ins Werk gesetzt, lei¬
der von nur Wenigen bemerkt, ist hervorzuheben. Dieses Ver¬
dienst entschädigt reichlich für die Unbilden einer Zeit, die tat¬
sächlich aus den Fugen ist. Schnitzler, Schönherr und andere gu¬
te oder mittelmässige Konstrukteure des Erfolges? — Man liest
hier zu wenig deutsche Meinungen. Die literarische Grenzsperre,
die Selbstzensur einer verwilderten Massenmeinung, hat auch im
Reich schwere Repertoiresorgen gebracht. Die bundesfreundlich
nur zu gerne gewährte Aushilfe ist von ernsten Leuten abgelehnt
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Miscellaneous
Heft 1
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KRITIK
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Ein Experiment.
Burgtheater: „König Lear", Dr. Ludwig Wüllner in der Titelrolle.
Im Parterreraum, vielleicht in Logen, sitzen die Besucher der
vierten Gallerie von damals. Sind um zwanzig Jahre älter ge¬
worden, abwägender, haben böse Burgtheaterzeiten mitgemacht:
ein Direktor, feinnervige Persönlichkeit, Reinbegriff des Litera¬
turmenschen, erfüllt mit grossangelegten Plänen, ein Meister des
Für und Wider, leider. Kein Zugreifen, kein Drauflosgeher. Die
grossen Säulen geborsten, mangelhafter Ersatz am Werk, Dekla¬
matoren statt Schauspieler. Eine weinerliche, schwächliche Burg¬
theaterperiode. Man soll ihm nicht das Geringste nachsagen. Ein
Edelmann. Umringt von vielen, vielen Beisitzer angeblich litera¬
rischer Abende im Gartensalettl. (Man liest vor, es wird gestri¬
chen es wird Rücksicht genommen auf dort und da, was der
Dings sagt, muss auch berücksichtigt werden, er kann dann ehr¬
lich loben, weil er die Mängel jetzt schon beseitigt weiss. Das will
seinen Einfluss durchgesetzt sehen, bei Gott, sonst gibt Prügel.)
Gibt es noch immer Leute, die nicht wissen, wie Literatur ge¬
macht wird?
Seit Thimigs Regierungsantritt: ein Stillstand sondergleichen,
bedingt durch den Krieg, Rücksicht auf manchmal pathologische
Forderungen (das pedantisch strenge Ausschalten der Dichter
nicht österreichischer oder reichsdeutscher Staatsangehörigkeit)
und Anderes. Ein Rückschritt — Nein. — Eine Reihe vorzügli¬
cher Klassikeraufführungen, ohne Reklame ins Werk gesetzt, lei¬
der von nur Wenigen bemerkt, ist hervorzuheben. Dieses Ver¬
dienst entschädigt reichlich für die Unbilden einer Zeit, die tat¬
sächlich aus den Fugen ist. Schnitzler, Schönherr und andere gu¬
te oder mittelmässige Konstrukteure des Erfolges? — Man liest
hier zu wenig deutsche Meinungen. Die literarische Grenzsperre,
die Selbstzensur einer verwilderten Massenmeinung, hat auch im
Reich schwere Repertoiresorgen gebracht. Die bundesfreundlich
nur zu gerne gewährte Aushilfe ist von ernsten Leuten abgelehnt
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