VII, Verschiedenes 11, 1915–1917, Seite 56

Miscellanes
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Ausschnitt aus:



vom
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Grazer Volksblatt
Theater. Kunst und Musik.
Das christlich-germanische Schönheit, eal.
Dieses Bekennerwort des neuen Burgtheaterleiters raucht
gewissen Leuten ganz gewaltig in die Nase. Und als nun
gar der Bürgermeister von Wien seine Stimme erhob
und in einem herzlichen Schreiben Herrn Hofrat v. Millen¬
kovich mit den Worten begrüßte: „Möge Ihr Streben, den
Auf dieser vornehmsten Kulturstätte deutschen Denkens
und Fühlens als erste deutsche Bühne zu festigen und zu
erhalten, von vollem Erfolge gekrönt sein. Möge Ihr Wille,
den christlich-germanischen Idealen unseres Vol¬
kes im Wiener Burgtheater einen festen Hort zu schaffen,
zur Tat werden“, da sauste ein scharfer Wind durch den morgen¬
ländischen Blätterwald und nun ergehen sich die bekannten
„geistigen Führer" in Außerungen und Bemerkungen, die so
recht zeigen, daß die Rassengemeinde, frech geworden durch
unseren vieljährigen Langmut und durch unsere Schafsgeduld,
nicht daran denkt, die Bretter, welche die Welt bedeuten und
die sie so lange behauptete, ohneweiters freizugeben. Bühne
und Presse soll ihnen, wie so vieles andere, allein gehören;
wissen sie doch, welche Macht das gedruckte und des von der
Bühne gesprochene Wort auf die breiten, an Herderbewegungen
gewohnten Massen ausübt. — Aeschylon, Calderon und So¬
phokles werden im „Sechsuhrblatt" gegen den neuen arischen
Mann ins Treffen geführt, womit natürlich Schnitzler,
Salten und andere „Dichter“ dieses Schlages gemeint sind.
Selbstredend blasen alle liberalen Blätter in dasselbe
Horn. Elle! Die der Provinz nicht ausgenommen. Hier eine
Probe: „Der Bürgermeister begrüßte das christlich-germanische
Schönheitsideal, das Herr von Millenkovich unter Ausschluß
der „quälenden" und „langwilligen Stücke zu pflegen ver¬
sprach. Damit ist die gewiß literarisch gemeinte Programmrede
in — jetzt kommt der Hieb — eine parteipolitische (!)
Beleuchtung gerückt, die besser vermieden worden wäre
wir eben doch in den Zeiten des Burgfriedens.
u. s. f. Ja, der „Burgfrieden!“ über diesen schimpflichsten
aller Frieden schrieb ich gerade vor einem Jahre an dieser
Stelle: In unserer großen Zeit spricht man viel und gerne
vom „Burgfrieden“ — Schonzeit also für jenes ver¬
kappte Gelichter, das unter den verschiedensten
Masken im sicheren Hinterlande sein Unwesen
treibt, dessen schleichendes Gift nicht weniger Schaden an¬
richtet, als die vernichtenden Boden des erklärten Feindes
das Kino mit seinem nervenaufitschenden Lasterdarstel¬
lungen (zumeist noch immer welsche Filme!), wie nicht minder
— gegen diese
das moderne Stück Schnitzlerschule
„Kunst=Richtung nunmal General¬
sturm geblasen werden. Krieg dem alles Heilige ver¬
höhnenden Geiste der Ich, Hab- und Genussucht, Krieg dem
Pharisertum, Krieg überhaupt jener — Richtung, die das
große Unheil über die Welt gebracht hat. Erst mit der Nieder¬
zwingung der Gesellschaftslaster wird der Weg frei werden
für eine bessere Zukunft. Die gute Presse und eine reine
Kunst können viel dazu beitragen. Es hat beinahe den An¬
schein, als ob mein frommer Wunsch, wenigstens teilweise, de¬
Verwirklichung entgegenginge. Jedenfalls stünde es weit besser,
wenn der „Burgfrieden“ sowie das Zensurhemmnis schon längst
ausgeschaltet wären. Wo der Burgfrieden nicht neu
reicht, tritt die Unverschämtheit in ihre Rechte. Das Unglaub¬
lichste an Unverschämtheit leistet sich der Wiener Mitarbeiter
des „Prager Tagblattes“ mit dem Schimpfartikel: „Der
Burgtheaterskandal“. Der saubere „Schornalist be¬
zeichnet die Berufung Morolds, dieses „Amateur-Schriftstel¬
lers, zur Leitung des Burgtheaters als — „Skandal." Kleri¬
kals und deutschradikale Blätter im Bunde hätten an dieser
frufung keinen geringen Anteil, bekenne sich doch Max Mo¬
old (dem Himmel sei Dank) zur „neuen Zeit", zu jenem
Neusterreichertum, das in der Tapezierung des optimistischen
Untalents seine Mission sieht. „Er liebt" heißt es weiter