VII, Verschiedenes 11, 1917–1920, Seite 1

Weene en enneen
Schuhe In den Kafseehäufern sitzen die Menschen wie Statisten
Vorstadtblondinen. Der übliche Weihnachtsteiler wird mich
die bösen
und tun, als ob sie jansnen würden. Das Gedränge in
che und
schon ein kleines Vermögen kosten. Für ein Kilo
den Straßen ist sehr schütter und die Beleuchtung überall
skeit er¬
Sultanfeigen verlangt man 24 Kronen.
derart reouziert, daß man weder seine unangenehmsten
leihe bei
Bobby (mit ehrlicher Teilnahme). Nicht möglich..
Bekannten noch die hohen Preise in den Auslagen recht¬
inter die
Und was schenkt denn Ihnen der Herr Gemayl? Natür¬
zeitig bemerkt. Bobby Fries ist unter eine Laterne getreten,
lich Perlen, Brillanten...
hat den Zwicker aufgesetzt, eine lange Einkaufsliste hervor¬
setag.]
Frau Dora. Woher denn. Wir haben nichts
gezogen und liest sorgenvoll: „Bluse, Hausschuhe, vier
r Aerzte
geliefert, wir haben gar keinen Anstand gehabt ....
Sie
Meter Damentuch doppeltbreit.
ichtigkeit
wissen ja, mein Mann war nie auf der Höhe der
heutigen
ihre
Um dieselbe Stunde besorgt auch Frau Dora
Situation
rke Zu¬
Weihnachtseintäufe. Sie ist jene mondäne Dame, die
Bobby. Schon 7 Uhr? Die Geschäfte sperren
ellt. Die
Bobby Fries früher einmal Jahre hindurch mit aus¬
Seheimen
alle. ... Gnädige Frau, ich muß mich leider empfehlen..
dauernder und feuriger Hoffnungslosigkeit verehrt hat und
der wird
Frau Dora. Holen Sie noch immer jemanden ab?
die für ihn sozusagen eine unentbehrliche Ergänzung der
such ein
Bobby. Nein, nein, wirklich nicht.
jeweiligen kleinen Freundin war, weil sie alle jene Eigen¬
ämpfung
Frau Dora. Bis zur Haltestelle können Sie mich
schaften besaß, die den Vorstadtmädchen zu fehlen pflegen.
chwestern
schon begleiten.
sind die
Aber das ist, wie gesagt, sehr lang her, und seitdem hat
Bobby. Nicht wahr, Sie denken an meinen
imararzt
Böbby Fries Frau Dora völlig aus den Augen verloren.
Bezugschein?
n wird.
Sie ist übrigens recht gut konserviert, nur sind die Züge
(Prag),
Frau Dora. Wenn Sie mir sagen, wer den doppelt¬
etwas scharf und streng geworden, wie das bei ehemals
vatdozent
breiten Damenstoff zu Weihnachten bekommt. Sie wissen,
schönen und koketten Frauen häufig der Fall ist. Das ent¬
che Heil¬
sich habe mich immer für Ihre Leidenschaften interessiert.
zückende Lächeln ist um den Mund herum gleichsam fest¬
(Passek)
Bobby. Leidenschaften. ... Aber Sie dürfen mich
gefroren: ein betagtes Lächeln, das mit der Zeit zu sehr
Hesell¬
nicht auslachen.
Nämlich ... meine Wirtschafterin
Bundes¬
ernsthaften Falten wurde. Frau Dora benützt noch immer
wünscht sich einen Wintermantel. ... Sie kocht aus¬
ilten, die
dasselbe Parfum wie einst, und dieser Duft, der Bobby
gezeichnet.
ung der
wie eine deutliche Erinnerung plötzlich anweht, läßt ihn
ten Hof¬
Frau Döra. Die Wirtschafterin. .. Bobby, Sie
aufblicken, hinsehen, und dann grüßt er, beinahe erschrocken.
imberger,
sind alt geworden.
Aber nach einer Weile hat er sich gefaßt, geht neben ihr her
Böhm.
Bobby. O nein, bloß dyspeptisch.
und frägt mit altmodischer Galanterie, ob er ihre Packerln
Kutschera
Frau Dora. Ueberhaupt, seien Sie mir nicht böse,
tragen dürse.
Doktor
aber ich habe mir unser Wiedersehen ganz anders vor¬
9 (Linz)
Frau Dora. Sie sind doch selbst ganz beladen. ...
gestellt.
nt Graf
Früher haben Sie prinzipiell kein Packerl getragen, sondern
Bobby.=Anders?“
loß, alle
gleich einen Dienstmann gerufen oder einem Fiaker
ten.
Frau Dora. Zwei Menschen, die sich einmal gut
gewinkt,
Ulanen¬
waren und sich immer so vieles zu sagen hatten.
Bobby (seufzend). Dienstmann ... Fiaker
ider des
Damals haben wir nur über Liebe und Untreue ge¬
wo sind die Zeiten.
hrenthal,
sprochen.... Und heute nur über Bezugscheine und
Frau Dora. Und alle diese Packerln sind für Maria¬
(anfalles
Emmentaler. .. . Bobby, Bobby, wie haben Sie sich
hüf und Fünfhaus bestimmt? Schwärmen Sie denn noch
Hinter¬
verändert.
immer für schlanke und herzige Vorstadtblondinen?..
ise und
Bobby (entschuldigend). Mein Gott, der Welt¬
er Frei¬
Bobby. Längst vorbei. ... Die herzigen und
krieg.
Gesell¬
schlanken Vorstadtmädeln sind ausgestorben.
Frau Dora. Schon gut. Ihr Männer habt immer
en, als
Frau Dora. Ich verstehe. Alle glücklich verheiratet?
so nichtige Ausreden.
bei der
Bobby. Von den Verheirateten spricht man ja
Das Heranfahren des Straßenbahnwagens und der
in ver¬
nicht mehr. Aber es gibt auch gar keinen Nachwuchs. Die
Ansturm der Fahrgäste machen dem Gespräch ein rasches
Wiener Mädeln von heute sind alle so nüchtern, so ernst
chied in
Ende. Bobbo hilft Frau Dora beim Einsteigen und grüßt
und vernünftig. Und alle haben männliche Berufe: die
Emilie
elegisch. Eine Weile blickt er dem im winterlichen
eine ist in einer Bank, die andere bei einem Advokaten,
8 Hugo
Nebel verschwindenden Wagen nach, dann zuckt er die
die dritte ist im Steuerami beschäftigt . . . da ist es un¬
dienstag
Achseln. Er tritt unter eine Straßenlaterne, setzt den
möglich, herzig zu sein..
irche zu
Zwicker auf, zieht seine Einkaufsliste hervor und liest
Frau Dora. Ja, die Zeiten werden immer
sorgenvoll: „Bluse, Hausschuhe, vier Meter Damentuch
schlechter. . Aber für wen sind dann alle diese Packerla
taats¬
doppestbreit.
bestimmt 5
m 6 d.
(Während der Vorhang langsam fällt, steigen die
Staats¬
Bobby. Sie glauben, das sind galante Weihnachts¬
Preise rapid.)
ige beim
geschenke? . .. Keine Spur. Wer hat jetzt für solche
Nr. 11
Tummheiten Zeit und Sinn. ... Man hat wirklich drin¬
Der Weihnachtsbasar im Prinz Eugen-Palais.
gendere Sorgen. Sehen Sie, Gnädige, in diesem Packerl,
im Vor¬
da sind drei Stück Toiletteseife drin — für die Verkäuferin
Ein großer Erfolg für die Kriegsküchenaktion.
geschichte
im Delikatessengeschäft. Eine scharmante Person; sie hebt
ist soeben
Die höchstgespannten Erwartungen, welche die Ver¬
mir jeden zweiten Tag eine Flasche Abzugbier auf. ...
Wien
anstalterinnen des Weihnachtsbasars für die Kriegsküchen
Keinen Ersatz, echtes Abzugbier!..
farbigen
gehegt ehaben mögen, sind beiweitem übertroffen worden.
Frau Dora. Aber gegen Sie . .. ist nicht möglich.
ildungen
Um 6 Uhr nachmittags waren die zauberhaft schönen Sale
semälden,
Was Sie für Beziehungen haben. .,
des Prinz Eugen=Palais derart überfüllt, daß zeltweise
sich in
Bobby. Und in diesem Packerl sind Seidenstrümpfe.
Stockungen im Verkehr von Raum zu Raum eintraten, und
beschenk¬
Die bekommt man leider ohne Bezugschein. ..
Meine
noch immer strömten neue Besucher herbei. Wenn diese eigen¬
würde.
Trasikantin trägt nämlich keine Baumwollstrümpfe. Lieber
artige Veranstaltung einen derart durchschlagenden Erjolg er¬
ie Adler
gewöhnt sie mir das Rauchen ab. ..
zielte, so ist dies dem Geschmack und der glänzend organ sierten
Werner
Vorarbeit der Veranstallerinnen zu verdanken, eben,oehr
Frau Dora. Alle diese Geschenke sind also eigentlich
r Sana¬
aber den Räumen selbst. Man erging sich mit ästhetischem
für Sie selbst bestimmt? Im Grunde genommen schenken
er im
Behagen in diesen alten Säten, die die köstlichsten Gemälde,
Sie nur aus purem Egoismus.
Ueberhaupt, die
Josefine
Brokattapeten, Täfelungen und Ornamentik aufweisen. Der
Männer sind jetzt schreckliche Egoisten. Denken nur an
m.
Zweck des Basars war, gespendete und selbstverfertigte kunst¬
ihren Magen, an ihr Vergnügen, an ihre Bequemlichkeit.
gewerbliche Gegenstände, Modeartikel, Spielzeug und andetes
„Neuen
Bobby. Sie irren. Man ist jetzt nur ungenierter,
zu verkaufen, und auch dieser Zweck wurde vollständig erreicht.
aufrichtiger Egoist. Waren wir denn früher nicht auch
Abends war in manchen Zelten jeder Artikel mit dem Ver¬
2
Expe¬
egoistisch? Aber in jungen Jahren, da assoziiert sich ein
merk „Ausverkauft“ versehen, die Schokoladepakete — achtzig
asse 6,
Kronen per Kilogramm
Egoismus mit dem andern, und dann nennt man es
die Zigarren und Zigaretten
wurden den Tamen förmlich aus den Händen gerissen und
Liebe. .. (Nach einer Weile): Weil wir gerade von Liebe
seinen
junge Mädchen, die auf Tabletten — Sireichhölzer unhertrugen,
sprechen... Haben Sie vielleicht zufällig einen über¬
id der
konnten nicht genug der kleinen Schachteln „sassen“. Dabei
ragen:
flüssigen Bezugschein?
wurden die an sich mäßigen Preise vieljach ganz gehörig
Frau Dora. Für Sie selbst?
überzahlt, so daß der Gewinn für die gute Sache ein an¬
Expe¬
Bobby. Ja
das heißt . .. für vier Meter
scheinend hoher sein wird. Im größten Salon wurde der Tee
Bezirt,
Damentuch, doppeltbreit ..
serviert und hier konnte man sich des Anblicks der schönsten
Frau Dora. So, so, Damentuch . . . es gibt also
Frauen und Mädchen der Wiener Gesellschaft ersteuen, soweit
i mehr
doch noch Vorstadttränen, die getrocknet werden wollen.# sie nicht in den Zelten ihres verantwortungsvollen Amtes
(Wilh.
e ihrer
Bobby. Nein, nein, ganz was anderes ...
walteten. Frau Oskar Straus führte hier mit wahrer Auf¬