VII, Verschiedenes 11, 1917–1920, Seite 3

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1. Miscellaneens

EER


(Ich kann den weiblichen Wiener Namen= notierend, genießend und sich begeisternd. Die
Sitten... einerlei, ob die Wienerinnen im
kalender nicht abschreiben...) Gesichter, Namen,
Mädchen rätelten sich zwischen den Gästen ein¬
Straßenkostüm sich dahin „hüftelten“ oder ob sie
Mädchengestalten, Liebesgeschichten zwischen dem
her. Die Gäste waren Feuer und Flamme. Die
in Sommerkleidern wie Magnolienblumen aus¬
Schönbrunner Ende der Mariahilferstraße und
Kapelle der Deutschmeister und ihr Herr Wacek
einanderblüchten oder in Nummer drei des Pro¬
den Nebengassen der Kärntnerstraße... eine
saßen auf der Gakerie und schlugen das zehrende
gramms in Abendgewändern kriegslieferanten¬
Auslese vorurteilsfreien, liebelei=gestimenten,
Feuer österreichtscher Walzer durch den Sarl,
mäßig herrlich, pelz=, seide=, fleischduftend, be¬
heiteren und schönen Wienertums.
unermüdlich ... Unermüdlich und wie Klammig,
rauschend frisuren-übertürmt, verführerisch große
Ach, jetzt sah ich wieder: die Wienorin kann
wie verkshend in den füßen leidenschaftlichen
Welt machten und junge begehrende Männer¬
gehen... Eine K#st, die man üblicherweise je
Takten riefen die Streichinstrumente
adern wie die Herzen der Frauen, die sich gut
südlicher, je mehr findet, aber selten in unserem
hetzten ... Die Mädchen unermüdlich, betzend
kleiden wollen, in wallender Spannung hielten.
Klima. Nein, keine Kunst ist es. Es ist ein
wie sie ... Die Robenschöpfungen Wiens uner¬
Wien hat gesiegt... gesiegt über Reinhardts
Wachstum, ein Wiegengeschenk der Natur. Ein
müdlich ... erwarben die Gunst Noutraliens.
Shakespeare, wie über Nilisch, über die Madame
Atemzug Kärntnerstraße, Graben... ein dahin¬
Die Mädchon waren schön und schlank! Wie sie
Bartet und ihre Comédie, wie über die Möb¬
streifender, gesättigt leichtsinniger Geruch:
den Körper schwebend machen konnten! Schön,
linger Symphonie von Beethoven...
Nachtfalter oder Union Bar mischte sich in die
schlank, schwebend und schick ... da das schon
Wien hat gesiegt. Es war wohl nicht das
alliteriert ...
so puritanische und gegenwärtig doch so inter¬
Wien, dessen Philharmoniker mit füßerem
national verseuchte Luft Zürichs.
Zürich ist heute die internationalste Stadt der
Feuer, mit verführterem Versinken als anders¬
Welt. Freund und Feind, Hasser und Gleich¬
Es ging also folgendermaßen zu: In dem
wo den österreichischen Mozart spielen. Aber ist
gültiger, Norden und Balkan, Mittelland und
großen Saale der Tonhalle war eine Bühne her¬
es nicht ein Blutumlauf, der Mozartschen
Westküste, Inseln und Yankeeleute... alles, was
gerichtet, von der aus ein breiter Steg, wie auf
Rhythmus und diese Frauen in sich schließt?
den Krieg meidet oder flieht, lebt und amüsiert
einem japanischen Theater, in den Raum trat:
Liegen die Quellen Mozarts und die der
sich, hungert und verzweifelt hier dicht an¬
(dieser war bei hohen Preisen mehrmals aus¬
Mädchen nicht zusammen in dem Wesen dieses
verkauft.) Aus den Draperien der Bühne kamen
einander. Die Wiener Mizzis und Katherln
Volkes, dem Wien entsproßte?!
in einer meisterhaften Regie die Toiletten her¬
wurden in fünfzehn Sprachen begutachtet, wenn
Es war wohl nicht das Wien, dat den gram¬
aus, die vorgeführt wurden ... einzeln ... in
es nicht noch mehr waren, und der Saal schmolz
vollen Schubert zu frühem Ende sich neigen,
Schwärmen ... zuerst Straßen=Nachmittags¬
Freund und Feind in drückenden Wogen um
eine Auffi
das Hebbel seine schwerblütigen massiven
die Wienerinnen zusammen.
kleider, so wie die Stunde zur Zeit des Festes
„In ein
Bernhard
Selbstkämpfe erleben sah. Aber war es nicht das
war. Die Mädchen glitten über den Steg in den
Ich durfte meine Gesellschaft zwischen die
Kriegspress
Wien, dessen genießendes schönés Leben sich so
Saal, versanken zwischen den tausend Zu¬
schönste und bekannteste Tänzerin Wiens und
„Verspreche
unvermutet in Trauer wenden kann?... Das
schauern, tauchten hier ... dort mit gefällig
zwei Damen der strengen Züricher Aristokratie
liedern un
Wien, das der deutschen Dichtung seinen Artur
tändelndem Gang, mit bruchweise mondänen,
teilen. Der Sieg Wiens war so vollkommen, daß
zusammeng
Schnitzler gab, der voll Lieby und Verzweiflung
sieghaften und siegenden Blicken wieder auf ...
die Tänzerin, die die Kleiderkunst einer Wiener
das erst b
es glühend und sich verzehrend lieben, leiden
erhoben sich nach und nach wieder auf dem
Anstakt berühmt machen half, sich in zurück¬
gliedern
und wehmütig untergehen läßt!?
Steg ... zögerten mit angenehm die Aufmerk¬
haltend schweigender Skepfis, die Schweizer
Theater er#
samkeit einhakenden Bewegungen des Körpers
Puritanerinnen aber mit unermüdlichen Blicken
die Aufführ
Und so kehrt auch (dieses Propaganda¬
ein vorletztes Mal, um dann, auf der Bühne
Die Damen
Unternehmen
und ununterbrochenen Ausrufen des Entzückt¬
der Wiener Modekaufleute
in einer letzten sich darbietenden Pose ver¬
Herren R
seins benahmen.
letzten Endes doch aufs Geistige zurück, das
redlich ben
weilend, bald zu verschwinden. Sie kamen un¬
Die Mizzi und das Katherl (und der weibliche
siegend die Wurzeln aller Begebenheiten in sein
Stil, den F
unterbrochen neu kostümiert wieder zur Wieder¬
Namenkalender des sechsten bis achten Bezirkes)
Erdreich einsangt, und das dieser Stadt teurer
Oper ansch
holung des Spieles.
ist als anderen Städten.
haben gesiegt. Die Schweiz lag zu ihren
gleich wohl
Lausende von Augen umbüllten sie kritisch, Füßen... die Schweiz der alten kargen! Luxburg a. B.
Norbert Jaques. 1 Frontensem