VII, Verschiedenes 11, 1917–1920, Seite 5

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1. Miscellaneeus
Eigenartigkeit sich dadurch erfreut, daß sie
logene, erkünstelte, errechnete Flammen¬
zur Blützeit Venedigs im historischen Ra¬
hitze der verführerischen Judith, Erika, die
gusa spielt.
zum Opfer bereit war, sieht sich betrogen
und stirbt. Da wendet sich Feiler auch
Robert Michel läßt seinen erzieherisch¬
Hauptmannsbriefen eine
von der anderen, denn jetzt ist der Zusam¬
anschaulichen
menbruch seiner geistigen Energien, die —
Sammlung von „Briefen eines Landsturm¬
des Untergrundes und der Verwurzelung im
leutnants an Frauen“ (Verlag S. Fischer,
natürlichen irdischen Nährboden entbehrend
Berlin) foigen, die, einer glücklichen Ein¬
vom Anbeginn den Keim der Ungesund¬
gebung gehorchend, dennoch in ihrer Idee
heit in sich trugen, nun ist das nackte Blend
allzu beengt und eingekapselt erscheinen,
des so freundlich begrüßten Abenteuers un¬
als daß sie im Anschauen der kriegerischen
Ereignisse eben denselben befreienden
aufhaltsam. Feiler verläßt unbefriedigt die
Widerklang erwecken könnten, wie besagte
Stadt, befleckt von. der Erinnerung an die
Hauptmannsbriefe. Aber im Wesen ist es
gemeine Stunde in den Armen einer zu¬
der gleiche sanfte Dichter, der die Welt
gänglichen Dame, der es gelungen war, sich
im letzten Augenblick, da er die unerhörte
vom leidenschaftlichen Rhythmus erlöst und
seelische Vernichtung erlebte, seiner zu be¬
und in eine milde, gleichsam bukolische Be¬
mächtigen.
trachtung hinüberleitet, in eine Hirtenwelt
voll nebelhafter Triebe, undifferenziertem
Das Abenteuer im Geiste wurde ad ab¬
Verlangen, die, ganz noch in Natur versun¬
surdum geführt. Der in menschliche Schick¬
ken, nur eine einzige Bewegtheit kennt: den
sale Verstrickte konnte und durfte es nicht
Zusammenstoß motorischer und sensibler
besitzen, ihm war dies eine vorbehalten,
Kräfte oder das Aufreizen von Kraft und das
aus der Helligkeit in die gräßlichste Hölle
Beruhigen von Kraft.
zu stürzen, um wieder den Weg in Dunkel¬
Augenblicksbilder des Krieges, fern¬
heit zu gehen und an neuen Gestaden un¬
liegende Anlässe führen den mit seiner
sicherer Fernen neue Lust zu versuchen.
Phantasie allein gebliebenen Offizier in un¬
Nur einer besaß es wirklich, das Abenteuer
erbittlicher Gedankenkette nach den Gipfel¬
im Geiste, einer, der sich außerhalb aller
punkten einer beinahe schon vergessenen
menschlichen Entzündungen und Entzückun¬
Vergangenheit. Begegnungen mit Frauen,
gen bewegte und seinen sicheren Gang
die nur ein Vorüberstreifen waren, oder
empor zur festlichen Fröhlichkeit wanderte:
auch ein Gedeihen bis zur herbeigesehnten
der Mathematikprofessor, Kapellmeister und
Blütenpracht, jedoch über Nacht verwelken
Komponist Bertold Sonntag.
mußten, weil sich widrige Umstände der
Ich weiß nicht, warum ich bei diesem
Vollendung entgegensetzten, jetzt dürfen sie
Mann sofort das Bild Anton Bruckners vor
sich frei entfalten und im stummen Hin¬
mich hingezaubert bekam, seine edle, un¬
sinken an den willentlich heraufbeschwo¬
verworrene und doch mit dem gesamten
renen Sturm das alte Mysterium vollziehen.
Orgelregister aller menschlichen Gefühle
Im Schützengraben, im Freilager, beim
vertraute Musik. Vielleicht, weil der Dich¬
Infanterieangriff, im Lazarett: sie tauchen
ter selbst etwas von dieser hochsittlichen
nicht wie Gespenster auf, sondern als leben¬
Musik über sein Werk verbreitet hatte. Um
dige, blutvolle Wesen, freundlich und rüh¬
wiederum an Schnitzler anzuknüpfen, so
rend, einfach und erhaben, nach den schwei¬
zeigt sich eben hier, auf der letzten Stufe
genden Gesetzen ihrer Natur dahinkreisend
der Ausarbeitung des Problems, der Gegen¬
wie mütterliche Sterne. Ihr. Gebot ist das
satz: Schnitzler brach dem Schmerz die
Gebot der Tiere, der Pflanzen, der Insek¬
Spitze ab, indem er mit einer Art mephi¬
ten, der Wolken, in die sich der Dichter
stophelischer Gebärde das lronische des
als gleichgeartete Kreatur eingesponnen
Verhältnisses unterstrich und die Vergeb¬
fühlt, also daß er nur mehr die Stimmen
lichkeit der Tränen bewies. Rheinhardt
dieser allmächtigen Elemente vernimmt und
verläßt niemals den Boden der bitteren
den ruhigen Strom der Schöpfung, wie er
Wahrheit, er trägt mit einem beinahe reli¬
seit Anbeginn dem göttlichen Werderuf ge¬
giösen Ernst die königlichen Wunden zur
horcht, unbeirrt von den Kriegen und Angst¬
Schau, die der Geist sich selber schlägt, wenn
schauern der Menschheit.
er das Höchste versucht. Selten ist mit
Otto Soyka ist ein Prometheus, aller¬
einer solchen Keuschheit der urewige Ab¬
dingst in den seit den Zeiten der Mythe
grund zwischen Geist und Fleisch gemeistert
mehr und mehr verkürzten Proportionen.
worden.
Er trotzt den Göttern: dem Sentiment, dem
Es erübrigt sich, von der anderen Er¬
Enthusiasmus, der flammenden Begeisterung.
zählung, die das Buch enthält („Der Pro¬
der Ekstase. Er raubt das Feuer: er tötet
phet und die Liebe“), zu sagen, daß ihr
das Feuer überhaupt, weil er die Nützlich¬
Aufbau über dem gleichen Grundriß sich er¬
keit seiner Funktion nicht anerkennt. Er
hebt, bloß noch heftiger den Sieg der sinn¬
behauptet, daß mit dem kalten, nüchter¬
lichen Kräfte betont und einer besonderen
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