VII, Verschiedenes 11, 1917–1920, Seite 13

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Die Künstlerin fühlte sich zurückgesetzt und unbefriedigt.
Sie glaubte sich zu spärlich mit neuen Rollen bedacht
und fand ihr Einkommen zu gering. Derlei ist vorge¬
kommen, seit Theater bestehen, und wird vorkommen,
solange es solche gibt. Wochenlang wurde der „Fall
Bleibtreu“ durch die Blätter geschleift, in Feuilletons,
in Tagesberichtsartikeln. Es regnete giftige Hiebe gegen
den Burgtheaterdirektor, obwohl sich jeder Schuljunge
sagen muß, daß er zumindest für die angeblich zu geringe
Gage der Frau Bleibtreu nicht verantwortlich gemacht
werden kann. Plötzlich trat Stille ein. Was war ge¬
schehen? Dem Direktor war es gelungen, mit der burg¬
theatermüden Künstlerin eine Einigung zu erzielen.
Das stand in den Zeitungen, die es überhaupt brachten,
als versteckte, zweizeilige Notiz. Es war nämlich ein
offensichtliches Verdienst des Direktors, daß uns die ge¬
schätzte Künstlerin erhalten blieb. Und von Verdiensten
des Herrn v. Millenkovich wird die Presse, von der hier
die Rede ist, niemals, sicher niemals etwas wissen. Das
stand in jener Sekunde fest, in der ihm in seiner An¬
trittsrede das Wort vom christlich=germanischen Schön¬
heitsideale über die Lippen kam, dieses Wort, das ihm
die christlich=deutsche Bevölkerung hoch anschrieb und das
den anderen so bös in die Knochen gefahren ist, ein
kühnes, tapferes, ehrliches Wort. — Also der „Fall
Bleibtreu“ ist unrettbar erledigt. Wo nun geschwind eine
andere „Affäre“ hernehmen? Es wird einfach mit der
gewissen Behendigkeit eine erdichtet. Und um der Lüge
längere Beine zu machen, wird sie nach Prag telephoniert,
van einer gleichrassigen dortigen Zeitung veröffentlicht
und dann in Wien „zitiert“ Also: Wie wir erfahren,
oder: Wie man uns von eingeweihter Seite mitteilt,
oder: Wie aus bestinformierter Quelle verlautet, ist der
Burgtheaterdirektor mit zwei Schauspielerinnen in eine
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peinliche Affare verwickelt! — Man fragt, wie die beiden
Künstlerinnen denn heißen sollen. Niemand weiß es.
Der Direktor selber weiß es nicht. „Peinliche Affäre“
das klingt vielsagend, darunter kann man sich allerhand
vorstellen, etwa so eine Art von Wallner=Geschichte. Der
Pfeil sitzt, denn wozu hätte diese Presse sonst ihre Leser¬
schaft seit Jahr und Tag dazu dressiert, hinter solch einem
vielsagenden Wink die anrüchigste Geschichte zu wittern?
„Die stille Stunde“ von Terramare war ein Fehl¬
griff. Wir haben das Stück mit aller Entschiedenheit
abgelehnt, jedoch aus streng sachlichen Gründen. Die
gewisse Presse aber, deren Sachlichkeit restlos zu Ende
ist, wenn sie sich in ihrem Rassegefühl gereizt fühlt, hat
gegen das Stück wüst zu toben begonnen und schließlich
das alberne Märchen ersonnen, es sei auf „klerikalen“

Einfluß zurückzuführen, daß der Burgtheaterdirektor
das Stück des Herrn Eisler von Terramare ange¬
nommen habe! Höchst bezeichnend war die Haltung der
Wiener Presse gegenüber der letzten Burgtheaterneuheit,
Lilienfeins „Hildebrand“. Alle arischen Zeitungen waren
darin einig, daß man es hier mit einer hochwertigen,
vollblütigen Dichtung zu tun hatte. Die „Ostdeutsche
Rundschau“ schrieb sehr treffend: „Wer nur auf die
geistige und sittliche Halbwelt Artur Schnitzlers schwört,
wird sich leicht verleitet fühlen zu fragen: „Was gehen
uns diese dlöden Recken an?“ Wer aber den treibenden
Kräften unseres Volkes nachspürt, wird in dem Schau¬
spiel sittliche Werte erkennen, die als unveräußerliche
nationale Eigentümlichkeiten gehegt und gepflegt werden
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wollen.“ — Mit welch unflätigem Hohn ist die jüdische
Presse über dieses deutsche Stück hergefallen! Einer hat
es wenigstens klipp und klar gesagt, er könne nicht mit¬
gehen, weil er ganz und gar keine Beziehungen zur
germanischen Heldenwelt habe. Alle Kübel des gewissen
zynischen Witzes haben sich über den alten, ehrlichen
Hildebrand entleert. Schon an ihrer Art zu witzeln ist
der absolute Mangel aller Beziehungen dieser Herren
zur Welt germanischer Recken spürbar. Diese Witze
blühen in der Wiener und Budapester Kaffeehausluft.
Wir vermuten, daß Dr. Heinrich Lilienfein, der aus der
Flandernschlacht nach Wien kam und gleich nach der
Erstaufführung wieder „heimfuhr“ in den Kanonen¬
donner, nicht das Gefühl hatte, in einer deutschen Stadt
gewesen zu sein, wenn er die Wiener Blätter las. Er
hatte indessen wenigstens die Genugtuung, daß sich das
Publikum der Erstaufführung mit Begeisterung zu
seinem Stück hekannt hatte. Das zu erleben, was ein
uns befreundeter Offizier bei der zweiten Aufführung
erlebte, war ihm glücklicherweise erspart. Dieser ver¬
suchte seiner Freude über die schöne Dichtung durch Bei¬
„Schon?“ erwiderten wir kühl. „Vielleicht eilen Ihre
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Wünsche den Tatsachen doch etwas gar zu weit voraus.
Man stirbt glücklicherweise nicht daran, daß hundert¬
Totengräber schon an der Grube schaufeln.
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