VII, Verschiedenes 11, 1917–1920, Seite 25

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glücklich bestandenen Maturanten ist. Und wahrscheinlich wären
Baron Andrians literarische Produkte damals nicht verlegt worden, j
wenn sie sich in unrentabler, pathetischer Pubertätspoesie,
die sich jeder Verleger zu verschleißen scheut, geäußert
hätten. Nein, der Untergymnasiast war (obwohl es „Mittel¬
schülern verboten ist, mit den Erzeugnissen ihres Geistes in die
Oeffentlichkeit zu treten“) kein durch Ovid verleiteter Dichterling,
er schrieb keines jener Sturm= und Drang=Römerdramen in sechs!
Akten, in denen es so edel und ritterlich zugeht, so posannenhaft¬
pathetisch schmettert, nein, er verfaßte erwachsen, altklug, routiniert
einen Roman. Und zwar gleich einen Romanzyklus: „Hannibal“.
Er schrieb ihn nicht, um ihn in der Lade zu verschließen oder
an geselligen Familienabenden vorzulesen. Nein, er schrieb für
den Markt. Und Dr. Pirker hat die Verlagsfirma festgestellt,
die heute selbst den Bibliophilen gänzlich unbekannt sein dürfte:!.
das Buch erschien bei Ferrari, Kilchmayr & Scozzi in Venedig.
Es wird, wenn es so weitergeht, unter
Im Jahre 1888
den Germanisten bald eigene Spezialisten, die Andrian=Forscher,
geben.
Es ist kein Zufall, daß Baron Andrians Buch die Marke
einer fremden Firma trägt. Denn seit seiner frühesten Jugend,
war der Herr Baron sozusagen international. Ein Wiener Dichter,
den man jetzt an den Stammtisch des alten Griensteidl zu setzen
beliebt, in dieses Lager aufkeimender Wiener Dichterjugend, der aber
durchaus nicht fest im heimatlichen Erdreich wurzelte, sondern in
Jünglingsjahren bereits weltmännisch durch die Welt reiste. Ein
Kosmopolit, der nicht nach Wiener Literatenart in einer Kaffee¬
hausecke wirkte, nicht in geographischer Beschränktheit lebte,
sondern schon zu einer Zeit, wo man ihm als Reisebegleitung
noch einen Hofmeister mitgab, in den verschiedensten Ländern
herumkutschierte. Seine Gymnasialjahre waren abwechslungsreich.
Er verbrachte sie bei den Jesuiten in Kalksburg, dann bei
den Schotten, also eine durchaus feudale, österreichisch=aristokratische
Erziehung. Es fehlen nur die Lehrjahre im Theresianum. Seine
Bildung wurde mit ausgewählter Sorgfalt besorgt, nichts ver¬

absäumt, um ihn mit Kultur zu versehen. Sein Hofmeister war
nicht ein scholastischer, pedantischee, doktrinärer Pädagoge, kein will?“, sagte mir kürzlich ein Freund Andrians.) Aber der väter¬
Hauslehrer, sondern der modernisierte Dresdeuer Literaturhistoriker liche Professor — welcher Professor würde es anders bestimmen? —
Walzl. In seiner Gesellschaft reiste er durch Oesterreich, nach ließ seinen Sohn Jus studieren. Ein Mann, der nun mit hohen
Aemtern und hohen Wücden ausgezeichnet ist, drillte ihm das
Italien, Paris und Nizza, also etwas weiter als Maturafahrten
zu gehen pflegen, und brachte von überall vielseitige Sprach=Kirchenrecht und die komplizierten Fragen der Wechselproteste ein.
kenntnisse mit. Selbstverständlich fuhr in späteren Jahren der Der Korrepetitor will selbst heute nicht genannt werden, obgleich
Herr Gesandte noch ein wenig weiter, als der noch hofmeisterbedürftige es ja eine Ehre ist, Einpauker einer Exzellenz gewesen zu sein.
Jüngling. Und heute könnte der Herr Baron sich mit den Zimmer= Und es scheint, daß Andrian ein fügsamer, folgsamer Sohn
Er schrieb Akte statt Gedichte und hatte keine Ab¬
leuten verständigen, die an dem Turm von Babel arbeiteten. Er kann war ...
Polnisch, Russisch, Französisch beinahe besser als Deutsch, neigung dagegen, sich als Attaché die Welt noch weiter
diese anzusehen.
Italienisch und sogar Neugriechisch sprechen, wobei
Vorher aber wurde er als blutjunger Wiener Dichter in
linguistische Serie keineswegs vollständig ist ... Diesen Reichtum
an Sprachkenntnissen und die Neigung zur Poesie hätten wohl das Griensteidl eingeführt. „Der Garten des Erkennens“ war
einige Grundlagen zur Philosophie, wohl auch zur Germanistik die Legitimation, die Eintrittskarte zum Stammtisch der damals
gegeben. („Kennen Sie einen Dichter, der Germanistik studieren Jung=Wiener Literaten Hoffmannsthal, Hermann Bahr undig
mne
Schnitzler. Und Andrian ist ja ein Name, der auf dem Theater“
zettel eines Schnitzler=Stückes stehen könnte. So ähnlich heißen
die gutgekleideten, ein bißchen näselnden Lebemänner, mit
Monokel und Diplomatenmanieren, die das Leben und die Liebeleien
nit Choristinnen nicht allzu ernst nehmen und von Herrn
korff gespielt wurden. Auch „der Garten des Erkennens“ ist
chnitzlerisch, er hat die Wiener Landschaft, die Wiener Farbe
ind die mgancholisch=düsteren Probleme der Welträtsel, die
Praterfahrten und den Heurigen, und Erwin, die Hauptfigur, ist
Baron
hoch mehr als ein Attaché, er ist ein Fürstensohn.
Andrian liebte intime literarische Abende in seiner Wohnung in
der Wickenburggasse mil Sandwichs und Vorlesungen, wobei die
Sandwichs vor allem interessierten. Er las die frischgebackenen
Novellen und Romane seiner Freunde im Manuskript vor. Er
rezitierte „die Verhüllt:“ seines Intimus Robert Michel.
Robert Michel ist inzwischen zum Major avanciert und sitzt in
einem Bureauzimmer der Generalintendanz. Er weiß heute nur,
daß ihm ein Platz am Schreibtisch reserviert wurde, aber es ist
ihm nicht ganz klar, welche Funktion und welches Amt
ihn an diesen Schreibtisch bindet. In seinem Bureauzimmer wird
eben gründlich geräumt, die Bilder nd von den Wänden ge¬
nommen und liegen hoch aufgeschichtet auf dem Boden. Dies ist
ein Symbol für den Zustand des Provisoriums und der
Uebergangswirtschaft, in dem sich die Leitung der Hoftheater
gegenwärtig befindet. Wir haben einen Generalintendanten, der
eben durch die deutschen Theaterstädte reist, einen Literaten, der
sich um die künstlerischen Angelegenheiten kümmert, aber keinen
Direktor.
Es wird versichert, daß Baron Andrian kein Freund von
Richtungen, von Programmen, von altgermanischen Schönheits¬
idealen und Nationaldichtern sei. Nur ein Freund guter Stücke
und guter Aufführungen. Man hofft, daß er sie finden wird.