VII, Verschiedenes 11, 1917–1920, Seite 24

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1. Miscellaneels
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Mab Viead Stubar Wür
Aus der Jugendzeit des
Generalintendanten Andrian.
Von
Egon Dietrichstein.
Der Name Andrian, der in den literarischen Lexizis, Nach¬
schlagewerken und Anthologien kaum aufzufinden ist, steht dagegen,
was man gar nicht vermuten würde, im Bädeker. Im Etschtal,
bei Meran, liegt ein Dorf, das Andrian genannt, mit der
Ritterburg Felsenstein. Heute sind die Andrians, wenn sie auch
das feudale Prädikat von Werburg schmückt, kein Geschlecht mehr
sondern eine Familie, eher Bureaukraten als Ritter. Und wenn
auch die Vorfahren des Barons als Ahnen und Burgherren an¬
gesprochen werden können, so ist die jüngere Generation dieser
Linie weniger romantisch und mehr bürgerlich: Ein Andrian,
Viktor Freiherr v. Andrian, war Politiker, der durch seine Publi¬
katidnen über vormärzliche österreichische Verwaltungsfragen be¬
kannt wurde und im Frankfurter Parlament eine führende Rolle
spielte. Die politische Linie der Familie wurde durch die anthro¬
pologischen Studien Ferdinands v. Andrian unterbrochen, aber
von dem Gesandten, der nun Hoftheaterintendant wird, wieder
Viktor v. Andrian war, was man heute einen
fortgesetzt.
Balkanpolitiker nennt, er nannte Montenegro einen kleinen
Räuberstaat, wie nun von der „Oesterreichischen Rundschau“ be¬
richtet wird, und beschäftigte sich mit der polnischen Frage. Hier
Leopold
einen direkten Anschluß an
finden wir
v. Andrians Diplomatentätigkeit. Ueber Schädelmessungen
und die Ethnographie des Vaters hinweg, von der Anthro¬
pologie zum Ministerium des Aeußern ist dann bloß eine De¬
szendenz. Die Familie war immer eine Kreuzung von Kunst,
Bureaukratie und Politik, Leopold v. Andrian vereinigt nun diese
dreifache Funktion; eine Schwester, die in Frankfurt lebt, ist
wieder ausschließlich literarisch und publiziert theologische Werke.
Nur von Meyerbeers Musik hat Leopold, der Enkel, nichts
geerbt. Er ist ganz unmusikalisch, dürfte aber das einzige Mit¬
glied der Familie sein, daß in der Malerei dilettiert. In dieser
Familie ist jeder begabt, die Talente sind verschieden und viel¬
seitig und vererben sich sprunghaft .
Die Literarhistoriker sind daher eifrig an der Arbeit, die
Vergangenheit des neuen Generalintendanten zu durchforschen und
natürlich vor allem nach den literarischen Ereignissen seines Lebens
zu suchen. Ein mühsame und beschwerliche Arbeit. Man muß
klaftertief in Bibliotheken bohren und schürfen, um auf literarische
Schätze zu stoßen. Dr. Max Pirker hat eben in der „Oester¬
reichischen Rundschau“ entdeckt, daß Baron Andrian vor langer
Zeit ein Buch schrieb. Vor sehr langer Zeit sogar.
Der Herr Baron war damals dreizehn Jahre alt. Sage und
schreibe dreizehn Jahre. Nun haben wir in diesen Gymnasial¬
jahren, in denen wir die Feldzüge des Julius Cäsar und das
goldene Zeilalter des Ovid im Urtext
heute sehr entlegene
Hexameter und Pentameter gedichtet.
übersetzten, wohl alle
Und daran wäre eigentlich nichts Bemerkenswertes
vor allem nichts, was eine literarische Karriere prophezeien ließe.
Wie viele dreizehnjährige Dichter, die zum Nachteil ihrer mathe¬
matischen Bildung Oden verfaßten, haben als prosaische Handels¬
gerichtsräte oder Bankbeamte geendet. Mit Baron Andrian steht
es anders. Er hat nicht für den Hausgebrauch, für die engere
Familie oder für die Schülerakademie gedichtet, sondern für die
Oeffentlichkeit. Der neue Generalintendant ist daher gewissermaßen
ein literarisches Wunderkind. Die Altersgrenze der im Buchhandel
zirkulierenden Autoren geht wohl höchst selten bis zur Tertia
hinunter. Baron Andrian aber ließ schon als Dreizehnjähriger
drucken und verlegen, was sonst wohl nur eine Gewohnheit von
glücklich bestandenen Maturanten ist. Und wahrscheinlich wären
Baron Andrians literarische Produkte damals nicht verlegt worden,
wenn sie sich in unrentabler, pathetischer Pubertätspoesie,
die sich jeder Verleger zu verschleißen scheut, geäußert
hätten. Nein, der Untergymnasiast war (obwohl es „Mittel¬
schülern verboten ist, mit den Erzeugnissen ihres Geistes in die
Oeffentlichkeit zu treten“) kein durch Ooid verleiteter Dichterling,
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