VII, Verschiedenes 11, 1917–1920, Seite 27

1. Miscellançons
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Theater, Runst und Titeratur.
Ein großer Skandal im Burgtheater.
Bei Flers und Caillavets „Fahrt ins
Blaue“.
Die Erstaufführung des Lustspieles „Die
Fahrt ins Blaue“ von Caillavet, Flers und
Rey im Burgtheater gab zu einem Theater¬
skandal Anlaß, der im Wiener Theaterleben kaum
seinesgleichen findet. Mehrere Theaterbesucher störten
die Aufführung durch lärmende Zwischen¬
rufe; ein Teil der Zuschauer wendete sich gegen
die Ruhestörer, die aber immer wieder protestierten.
Ueber die Vorgänge erhalten wir nachstehenden
Bericht: Der erste der drei Akte des Lustspieles
konnte in Ruhe zu Ende gespielt werden und nach
dem Fallen des Vorhanges erscholl ziemlich starker
Beifall. Im zweiten Akt spielt sich auf der Bühne
eine Szene ab, bei der Frau Wilbrandt, Herr
Romberg und Frau Retty beschäftigt sind. Es
wird ein Abendessen aufgetragen und Frau
Sonders hat hiebei gemäß ihrer Rolle die Worte
zu sprechen:
„Hier ist das kalte Huhn und der
Wein.“
Kaum waren diese Worte auf der Bühne ge¬
fallen, als ein junger Offizier aus dem Stehparterre
die Worte rief: „Da droben fressen sie, und wir
müssen hungern!“
Dieser Satz, mit starker Stimme hervorgestoßen,
nnächi de UnwillenmehrererBesücher,
die mit Zischen und dem wiederholten Rufe
„Ruhe!“ erwiderten. Der Zwischenrufer fand aber
den Beifall andrer Besucher, und bald bildeten sich
zwei Parteien, die sich zunächst für und gegen
die Ruhestörer, dann aber für und gegen die Auf¬
führung des Stückes laut aussprachen.
Auf der Bühne mußte das Spiel einige
Minuten unterbrochen werden, ehe sich
die Erregung legte. Das Publikum im Stehparterre,
im Parkett und in den Logen hatte sich an diesem
Zwischenfall beteiligt, während dus Galerlepublikum
sich ruhig verhielt. Allerdings drängten die Besucher
der Galerie gegen die Vrüstungen, um die Vorgänge
im Saale zu beobachten. Es schien, als ob doch
wieder das Publikum weitere Störungen unter¬
lassen wolle, und beim Fallen des Vorhanges nach
dem zweiten Akt setzte Beifallsklatschen ein.
Dieser Applaus nahm einen demonstrativen
Charakter an, und dadurch wurden die Gemüter im
Stehparterre sehr erregt.
Ein Herr rief: „Hinaus mit Bahr!
Schönberr drängt er hinaus, damit ein
schlechtes Stück von Fanzosen auf¬
geführt werden kann!" Eine andre Stimme
rief: „Seit Wochen wird im Burgtheater kein
Ibsen, kein Schönherr, kein Schnitzler
aufgeführt, dagegen solche Franzosenstücke!“
Ein Offizier hielt eine Rede, aus der man nur #
vernahm, daß er sich gegen den Dramaturgen des
Burgtheaters, Herrn Bahr, wendete und für die
Aufführung von Werken deutscher Autoren eintrat.
Diese Erklärung fand stellenweise lebhaften Wider¬
spruch. Der Lärm steigerte sich und übertönte sogar1
die Zwischenaktmusik, die absichtlich früber einsetzte.1
damit der Theaterskandal aufhore. Dieser Zweck wurde
jedoch nicht erreicht. Ununterbrochen wurden Pfui¬
rufe auf Bahr und die Franzosen vernommen, dann
Hochrufe, und so vermehrte nur die Musik den Lärm,
anstatt ihn zu besänftigen.
Ein Besucher, der sich als Schriftsteller be¬
zeichnete und besonders heftig demonstrierte, wurde
von mehreren Personen aus dem Zuschauer¬
raum entfernt, ein andrer Zwischenrufer
konnte nur noch schreien: „Eine Schmach, daß man
solche Stücke hier aufführt!“ als ihn Polizeiagenten
faßten und in das amtliche Inspektionszimmer