VII, Verschiedenes 11, 1917–1920, Seite 28

1. Miscellangels
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wird ein Abendessen aufgetragen und Frau
Sonders hat hiebei gemäß ihrer Rolle die Worte
zu sprechen:
„Hier ist das kalte Huhn und der
Wein.“
Kaum waren diese Worte auf der Bühne ge¬
fallen, als ein junger Offizier aus dem Stehparterre
die Worte rief: „Da droben fressen sie, und wir
müssen hungern!“
Dieser Satz, mit starker Stimme hervorgestoßen,
ncdenUmillen mehrerer Besucher,
die mit Zischen und dem wiederholten Rufe
„Ruhe!“ erwiderten. Der Zwischenrufer fand aber!
den Beifall andrer Besucher, und bald bildeten sich
zwei Parteien, die sich zunächst für und gegen
die Ruhestörer, dann aber für und gegen die Auf¬
führung des Stückes laut aussprachen.
Auf der Bühne mußte das Spiel einige
Minuten unterbrochen werden, ehe sich
die Erregung legte. Das Publikum im Stehparterre,
im Parkett und in den Logen hatte sich an diesem
Zwischenfall beteiligt, während das Galerlepublikum
sich ruhig verhielt. Allerdings drängten die Besucher
der Galerie gegen die Brüstungen, um die Vorgänge
im Saale zu beobachten. Es schien, als ob doch
wieder das Publikum weitere Störungen unter¬
lassen wolle, und beim Fallen des Vorhanges nach
dem zweiten Akt setzte Beifallsklatschen ein.
Dieser Applaus nahm einen demonstrativen
Charakter an, und dadurch wurden die Gemüter im
Stehparterre sehr erregt.
Ein Herr rief: „Hinaus mit Bahr!
Schönberr drängt er hinaus, damit ein
schlechtes Stück von Fanzosen auf¬
geführt werden kann!" Eine andre Stimme
rief: „Seit Wochen wird im Burgtheater kein
Ibsen, kein Schönherr, kein Schnitzler¬
aufgeführt, dagegen solche Franzosenstücker“
Ein Offizier hielt eine Rede, aus der man nur !
vernahm, daß er sich gegen den Dramaturgen des
Burgtheaters, Herrn Bahr, wendete und für die
Aufführung von Werken deutscher Autoren eintrat.
Diese Erklärung fand stellenweise lebhaften Wider¬
spruch. Der Lärm steigerte sich und übertönte sogar
die Zwischenaktmusik, die absichtlich früher einsetzte.
damit de heakerskanldal aufhore. Dieser Zweck wurde
jedoch nicht erreicht. Ununterbrochen wurden Pfui¬
rufe auf Bahr und die Franzosen vernommen, dann
Hochrufe, und so vermehrte nur die Musik den Lärm,
anstatt ihn zu besänftigen.
Ein Besucher, der sich als Schriftsteller be¬
zeichnete und besonders heftig demonstrierte, wurde
von mehreren Personen aus dem Zuschauer¬
raum entfernt, ein andrer Zwischenrufer
konnte nur noch schreien: „Eine Schmach, daß man
solche Stücke hier aufführt!“ als ihn Polizeiagenten
faßten und in das amtliche Inspektionszimmer
brachten. Im raschen Verlauf warden nun mehrere
Ruhestörer in den Amtsraum abgeliefert und nach
Feststellung ihrer Namen aus dem Theater gewiesen.
Inzwischen hatte auf der Bühne der dritte und
letzte Akt begonnen, der ohne weiteren Zwischenfall
verlief, bis zum Schlussererliches Zischen ertönte,
„Pfui!“ gerufen, geklatsch., gelacht und gehöhnt
wurde, bis die Beleuchtung im Saale erlosch.
Wie wir vernehmen, hatte die Leitung des Burg¬
theaters bereits in den gestrigen Vormittagsstunden
Kenntnis erlangt, daß sich bei der Premiere der
„Fahrt ins Blaue“ ein lärmender Protest abspielen
werde. Es waren Vorkehrungen getroffen, die sich
aber, wie die Vorfälle zeigen, als nicht geeignet er¬
wiesen.
Das vom Publikum so heftig angegriffene Stück
wird heute abend im Burgtheater zur Wieder¬
holung gelangen.
Von mehreren Besuchern des Burgtheaters, die
Zeugen der gestrigen Vorfälle waren, erhalten wir
eine Darstellung, nach der die lauten Proteste aus
dem Publikum nicht gegen die französischen
Autoren, sondern gegen den literarischen!
[Unwert des Stückes selbst gerichtet waren.
Ebenso galt die Demonstration der derzeitigen
Leitung des Burgtheaters.