VII, Verschiedenes 11, 1917–1920, Seite 38

1. Miscellangens
Humoristirche Biattek, Wich
20.0% J19
THEATER.
In Wien gedeiht neben der wirklichen
auch die politische Operette.
Mutet nicht alles, was bei uns geschieht,
wie ein Libretto an?
Da hat neulich ein Protest gegen die
Hinrichtung Tollers in München bei uns
das Licht der Welt erblickt und man hat
bei dieser Aktion, an welcher unsre besten
Dramatiker beteiligt waren, die Achseln ge¬
zuckt.
Nun wollen plötzlich die unterschriebe¬
cen Dramatiker Schnitzlex Beer-Hof¬
mann usw. nicht dabei gewesen sein.
Sind sie also jetzt für die Hinrichtung
Tollers?
Haben sie auch nur bedacht, wie es
ankt, wenn man plötzlich erklärt, man sei
chtt bei dem Protest gegen eine Hinrichtung
beteiligt gewesen?
Wollen am Ende gewisse Dramatiker
die Genst des bürgerlichen Publikums nicht
vorlioron?
Hätten sie nicht mit dem Dementieren
warten können, bis Tollers Schicksal ent¬
schieden ist?
Wenn der Name des Schreibers dieser
Zeilen auch fälschlich zitiert geworden würe.
er hätte wahrlich nicht protestiert.
Die schlotternde Angst vor dem Mi߬
brauch des Namens nimmt sich eigentümlich
aus bei Herren, die jeden zweiten Tag in
der Zeitung stehen und noch bei jeder
Aktion mit ihrem Namen dabei waren.
Nein, Hterr Beer-Hofmann, das hat
Jaakob nicht geträumt, daß seine Nach¬
kommen nicht protestieren würden dagegen,
daß sie gegen eine Hinrichtung protestien“
hätten.
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Catenen dn Raltschau
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Wien
Kunst und Bühne.
Komödienhaus. Da veranstalten die Juben geräuschvolle
Protestversammlungen gegen die Pogronte, doch mo immer
sie zur Macht gelangen, sei's in der Presse, in der Pollul
Loder in der Kunst, tun sie selber alles, um im ifriedferttessten
Philosemiten Pogromstimmungen zu erwecken. Seit dem
Iglorreichen Bestand der jungen Republik vermehren sich auf
sunseren Bühnen mit schier kaninchenhafter Triebkraft die
Stücke zum Preise des Judenkums, und wer sie in die
Inatürlichen Schranken des ihnen zukommenden Gastrechtes
weist, ist ein Kullurseind, ein Rückschrittler oder wohl gar
eln Finsterling, der es nicht verdient, Zeitgenosse des großen
Bela Kun oder des Scharfmachers Friedrich Adler zu sein,
der sich auf das Sozialisieren ebenso gut versteht wie auf
den Menchelmord. Erst vor kurzem sah man im Komödien¬
haus ein Schauspiel „Jud Süß“ das wie geschaffen ist, das
arische Voik herauszufordern. Jud Saß, durch schlaue Ränke
zum geheimen Finanzrat emporgeworsen, legt die schwersten
Steuern auf das Land, verschachert die einflußreichsten
Stellen an die Meistbletenden, umgarnt den Herzog damit,
daß er ihm immer neue Maitressen zuführt, und will nun
auch das protestantische Land an die katholische Kirche ver¬
raten. Dafür stirbt er zwar den Tod durch den Galgen, was
aber den Verfasser nicht hindert, ihn zum Märtyrer seines
Volkes emporzudichten, der voll Heldenstolz von sich selber
sagt: „Ich bin ausersehen, all die Unbilden zu rächen, die
meine Brüder erduldeten, und all ihr schmachvoll vergossenes
Blut. Heute lieg' ich, der Jud, über diesem Lande wie ein
Alp und sauge sein Blut und werde sett von seinem Mark“.
Und gestern veranstaltete auf der gleichen Bühne die Ar¬
beitsgemeinschaft „Arche“ für jüdische Kunst und Literatur
anläßlich der fünfzehnten Wiederkehr von Theodor Herzls
Todestag eine Sonderaufführung des Schauspieles „Das
neue Ghetto“ dessen Knallefsekt darin besteht, daß
christlicher Kavalier, der überdies Offizier ist, von einem
Jnden geohrfeigt wird. Dazu die pathetische verkündete
„Christenpflicht“ gegenüber dem leidenden Proletariat, und
das jüldische Heldentum ist vollendet. Ein unglaublich schöner
Märtyrertod krönt auch die gestern wieder bejnbelte und be¬
weinte Laufbahn des verunglückten Ghettobefreiers. Das
Stück hat allerdings auch ernsthafte Seiten, die allerhand
Ungelegenes und Unangenehmes aus der Judenschule
schwätzen, und schon, als es vor ungefähr zwanzig Jahren
im Carltheater aufgeführt wurde, fand man es als Juden¬
stück zu antisemitisch und als Antisemitenstück zu jüblsch.
Inzwischen hat sich der Kreis der Zlonisten, deren Führer
damals Theodor Herzl war, bedeutend erweitert. Die Mau¬
ern des alten Ghettos sind zwar gefallen, geblieben aber ist
das neue, das moralische Ghetto, als dessen Prophet nun
Herzl gilt. Nicht die Moral de anderen schließt das neue
Ghetto ein — die andere Moral der Ghettobewohner bildet
die ewig scheidende Grenze. Und die Ghettomenschen?
Sie bleiben trotz platonischer Anerkennung der zionistischen
Bewegung noch heute gern in ihrem moralischen Gefäng¬
nisse, sie fühlen sich wohl darin und nehmen es sehr übel,
wenn man sie „erster Klasse und trockenen Fußes noch Jeru¬
salem führen will“. Es genügt ihnen, In allerlei Verkleidun¬
gen kleine Ausflüge in das Leben der anderen zu machen,
Vergnügungsfahrten, Schnngglerzüge und Geschäftsreisen;
ihre He'mat bleibt das Ghetto und ihre Seligkeit der Kriegs¬
oder Friedensgewinn. Die Schnitzler, Salten, Dörmann,
Hirschfeld und die himmlische Heerschar der Operetten¬
macher, sie alle schreiben Ghettostücke; aber sie stecken ihren
dischen Witz in arische Gewandung, wöllen im Lande blei¬
1 bet und sich rerlich von Tantiemen nähren. Thoodov Herzl, 1
der dus dramatische Handwerk. nicht beherrscht, war es mehr
um Belehrung und Bekehrung zu tun. Abgesehen ven der
zionistischen Tendenzehrfeige bekam, man auch von der ge¬
strigen Aufführung seines Schauspieles zuvörderst den Ein¬
druck, als wohnte man in einem Ghetto einer Vorlesung
über das Ghetto und seine sozialistische und kapitalistische
Umwelt an. Daß da für die Schauspieler nicht viel zu holen
ist, begreift sich leicht. Jedenfalls hatten die Tarsteller der
echten Judentypen leichteres Spiel als die der Mealjüerten
Tendenzjuden, unter denen Herr Lassen den Helden des
Stückes zur höheren Weihe des rituellen Fester=in der Maske
Herzls spielte, zu dessen Ehren der Aullührung auch ein
Huldigungsprolog vorangegangen wor.