VII, Verschiedenes 11, 1917–1920, Seite 41

1. Miscellangels
Bischertisch.
Mi. „Der Tanz ums Drama.“
(Delphi=Reyng, München.)
Diese Sachmlung von kritischen Betrachtungen zu
neuen Dramen weicht in mancher Hinsicht von der
üblichen „Kritikensammlung“ ab, mit der mehr oder
weniger namhafte Kritiker uns von Zeit zu Zeit be¬
glücken. Das vorliegende Bändchen rückt vielmehr in
die nächste Nähe des „Jahrbuchs der Bühne" von
Jacobsohn; d. h. es geht nicht von der Voraus¬
setzung aus, daß sein Verfasser die kritisch¬
ästhetische Literatur um eine Neuerscheinung be¬
reichern müsse, sondern es ist von dem ethischen
Pflichtgefühlt diktiert: in ein Chaos von Mode
und Aefferei, von Halbbildung und Parfüm eine
wahrhafte künstlerische Ueberzeugung zu pflanzen. So
wachsen diese Kritiken über den Rahmen des Kritischen
hinaus in die Sphäre tief psychologisch begründeter
Erkenntnis. Und der Verfasser darf mit vollem Recht
im Vorwort sagen: „Diese Blätter sind Versuche einer
ethischen Kritik.“ Was in ihnen steht, ist oft weit von
Ehrfurcht vor dem Dichter und seiner Kunst entfernt;
aber er trifft meistens den Nagel auf den Kopf. Die
Gund daer¬
Abfuhr, die beispielsweise So
fährt, wirkt wie eine Erkoftunng. Ver heißt es
gelegentlich: „Wer steht den Dichter? Ich erkenne
Einen Artisten.“ Zittern die „Expressionisten“, die
literarischen „Kaiseristen"? Dem feinen Kritiker¬
psychologen hilft überlegener Witz zu amüsanten
Wirkungen, und er rettet ihn vor jeglicher Trockenbeit.)
Hans Tessmer.
„Abenddämmerung“ von Peter Rosegger.
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Malationskommission.
zu sprechen! Ist übrigens auch der kunst¬
Vorleser seiner Stücke. So wie Schönherr)
ner der gegenwärtigen Dichter seine Werke
sen. Selbstrtur Schnitzler bleibt hinter
urück, auch Hermann Bahr (der Bahr der
ren, noch theaterfreudigen Jahre), obgleich
beide im Vortrag halbe Schauspieler sind.
hönherr aber ist ein ganzer! Jeder Darsteller,
bst der unbedeutendste Episodist, hat seinen
Frundton, jeder eine andere Stimme
weiß nicht, woher diese Kehle, diese so ganz ver¬
schiedenen Tonfarben nimmt. So daß es fast
scheint, als sprängen aus dem Mund des vor¬
lesenden Dichters Gestalten, zunächst ganz klein
wie sie aber einmal draußen sind, in der Phantasie
des Zuhörers lebensgroß anwachsend...
Hans Müller: Der nervöseste unter den
wie
jüngeren Theaterdichtern. Glaubt jedesmal, es werde
abe.
schief gehen. Verläßt an einem Erstaufführungs¬
des
abend das Bühnenhaus nicht für einen Augenblick.
Der
Schon vor Beginn der Vorstellung steht er hinter
zend
dem Vorhang. Da bleibt er zunächst, bis der Eiserne
eim,
in die Höhe geht. Sobald er aber durch den Sa
moch vorhang das eigentümliche Rauschen
sveig als das die halblauten Gespräche der Zuschauen
men hier aus sich ausnehmen — eilt er davon. Ihm ist
sppt,
wie dem Angeklagten vor Gericht der die Ge¬
noch
schwornen antreten sieht. Ihm graut vor seinen
hter
Richtern. Hans Müller verläßt nun fluchtartig
fen.
seinen Beobachtungsort und wartet in einem Seiten¬
gang der Bühne, oder im Hintergrund, oder auch in
der Versenkung — das ist ihm sogar ein Lieblings¬
em
aufenthalt — den Verlauf des Abends ab. Denn er
darf sein eigenes Wort, das die Schauspieler auf der
zei¬
Szene sprechen, nicht hören, zum mindesten nicht
sie
e.
verstehen, weil ihn das zu sehr aufregt!
wenn er vernimmt, der Zwischenaktsvorhang gehe
nieder, kommt
aus dem Verstecke
hervor und ist glücklich, zu
hören, man
zische nicht! Und wenn erst geklatscht wird —
welch unverhofftes Glück! Er kann 's anfangs kaum
glauben!... Den Schauspielern vor Beginn der
Proben sein Stück vorzulesen
derlei wagt
Müller nicht. Sie sind ihm ein gar zu kritisches
Publikum.
Oh, dieses Vorlesen! Jeder Autor soll sich
gut überlegen! Da hat einmal ein Dichter an einem
bedeutenden Hoftheater den Darstellern seine
Arbeit aus der Handschrift vorgelesen. Erster Akt.
zweiter Akt — die Hörer werden immer weniger.
Schlußakt — es sind nur mehr fünf Schauspieler dal
Alle anderen hatten sich davongeschlichen. Der
er
Dichter ist außer sich. Wer er war? Ein gewisser
Friedrich Schuler. Und wie das Stück hieß?
„Fiesco“. Und warum der Mißerfolg? Weil der
Dichter zu stark geschwäbelt hatte. Der Dialekt
hatte die ganze Klassizität erschlagen! Erst als nach¬
her Iffland den „Fiesco“ vorlas, waren die Schau¬
erspieler begeistert.
Qulius Stern. 1
Geat. nchhgls