VII, Verschiedenes 11, 1917–1920, Seite 44

Somitag
Nr. 9405
Sympathie für diese Idee zu, betont aber seinen Standpunkt des Freit
Individualismus. „Ich bin vielleicht viel zu anarchistisch ver= Sköf
anlagt, um überhaupt „Anhänger“ sein zu können. Auch folge
glaube ich, daß die Entwicklungsmöglichkeit des Menschen von1 50.7
euch Weltverbesserern allzu optimistisch beurteilt wird ... AufHau¬
meinen Einwand, daß ich ja trotzdem ein überzeugter Bekenner! Grin
Schopenhauers geblieben sei und daß die Anhänger der Gewalt=Klin
losigkeit die Menschen keineswegs von den naturnotwendigen,
sondern nur von den naturwidrigen und überflüssigen Uebeln er=10.0
lösen wollen, antwortet er: „Da ist freilich etwas Wahres habe
Ane
daran
Daß sein Herz feurig für die Unterdrückten schlägt, braucht Klir
er nicht erst jetzt zu betonen; denn er hat es schon zu einer Zeit schw
Oder die
bewiesen, als noch mehr. Mut dazu gehörte als heute ...
hat er, der verwöhnte Liebling von Bürgertum und Adel, sich inDr.
seinen Werken hohen und höchsten Herrschaften gegenüber vielleicht Dr.
jemals ein Blatt vor den Mund genommen? Für die reaktionären] Pro¬
Hetzblättchen, die ihn deswegen beschimpften und verdächtigten, hat der
er nur Verachtung übrig.
„Ich habe schon als achtjähriger Bub ein höchst „revolu= besti¬
tionäres“ Drama geschrieben“, gesteht er lachend, „und die erste
Arbeit, die ich veröffentlichte, war ein Aufsatz gegen den Patrio= „In
treff
tismus.“
Er legt aber keinen Wert darauf, der Masse zu schmeicheln wie
Dar
und sich mit radikalen Schlagworten zu drapieren.
Gerne hätte ich noch das Fräulein Lili, des Dichters zehn= aber
jähriges Töchterlein, begrüßt, aber die junge Dame schläft schon. mög
Sie ist ein lieber, lustiger kleiner Kerl. Uebrigens svielt sie nicht
mit Puppen, sondern schreibt zu den Dramen ihres Vaters Fort¬
setzungen. Der pausbäckige kleine Apfel fiel eben nicht weit vom Stamme.
C
Ich schaue mich im Arbeitszimmer um. Diesem bürgerlich
behaglichen Zimmer sieht man an, daß hier intensivste geistige
Arbeit geleistet wird. Man muß nur die Entwürse sehen, an denen!
immer wieder geändert wird, und man wird den weiten Weg er¬
messen, der von der ersten Inspiration bis nach Berlin ins
Bureau des Verlages S. Fischer führt.
Es ist überaus reizvoll, den Dichter die Entstehungs¬
geschichte eines Werkes in flüchtigen Andeutungen erzählen zu mich
hören. Mit schnellen Schritten geht er im Zimmer auf und ab, beste
sein geistvoll schönes Gesicht, das manchmal an Heine, dann
groß
wieder an Dickens, sehr häufig aber an Schönherr erinnert und
Ma
eine durch starken Willen mühsam gebändigte Nervosität verrät,
zu f
ist vom Nachglanze des schöpferischen Glücks belebt und man be¬
entti
dauert nur, die unwiderstehliche Anmut seiner Rede nicht mit- deren
stenographieren zu können ... Freilich müßte man dazu — wie
ende
einmal ein Kritiker über den „Anatol“ gesagt hat — eine Piect
goldene Feder in Champagner tauchen ..
Aus
An der Zimmerwand fällt mir ein Bild von Josef Kainz Soh
mit einer herzlichen Widmung auf. Am schönsten ist dieses Zimmer Söl
im Frühling. Dann steht die Terrassentür offen, der Wienerwald hälti
schaut grüßend zu dem Dichter herein, der Garten duftet und
der
blüht, Artur Schnitzler umsängt mit zärtlichem Blick seine schöne
gläu
Heimat und ab zu weht ihm der Frühlingswind ein paar Takte
von Brahms oder Hugo Wolf zu, gesungen von der süßen haal¬
von
Stimme seiner Frau.
ande
Auf der Straße, in dem wienerischen Brei von Kot und erber
Schnee, kommt es mir zum Bewußtsein, daß der Frühling noch jung
fern ist. Trotz Kälte und Dunkelheit ist es verlockend, noch Epste
auf die nahe Türkenschanze zu gehen. Hier gibt es keinen auch
Schmutzbrei, nur köstlich schimmernden Schnee. Leopolds= Gelt
berg, Kahlenberg, Hermannskogel, Dreimarkstein werden von Hün
einem winterlich flimmernden Sternenhimmel überwölbt, der
woh
sich in der dunklen Donau spiegelt. Leise zittern hank
die Lichter von Wien. Ich denke an Artur Schnitzler, aus dessen gusst
Jugendwerken die Schwermut dieser wienerischen Landschaft mit Koll¬
unverminderter Schönheit schimmert Einen Augenblick lang ärgere keine
ich mich darüber, daß ich vergessen habe, den Dichter nach seinem Aus
jüngsten Casanova=Lustspiel „Die Schwestern“ zu fragen, über Art:.
das ich gerne Genaueres erfahren hätte. Aber dann fällt mir ein:
punk
vielleicht ist es gut, daß ich nicht danach gefragt habe. Denn stand
sonst hätte mein Besuch wie ein Interview ausgesehen und er sollte Lgiet
doch durchaus kein Interview sein, sondern nur der Ausdruck helz= imme
lichster Verehruno für den Dichter und Menschen.