VII, Verschiedenes 11, 1920–1926, Seite 2

lung in ihm zur Reise gebracht.
In seinen Briefen an Actur
Schnitzler gibt Herzl interessante Aufschlüsse über seine Abkehr
vom Theater. Es sind Bekenntnisse von großem psychologischen
Reiz. Sie sind in dem von uns bereits besprochenen Werke von
Professor Kellner enthalten.
Herzl schreibt unterm 16. November 1892: „Ver¬
ehrter Freund! Was aus Ihrem Briefe spricht, ist das Wiener
Découragement. Kenn ich. Es wird durch Ortsveränderung
geheilt.
Ein anderes ist das meinige. Ich bin von mir abge¬
kommen. Das ist der Grund, warum ich Ihrem so freundlichen
Wunsch, Ihnen etwas von mir zu schicken, nicht entspreche. Ich
kann diesen Wunsch eben nur für eine Freundlichkeit halten, und daß
ich bei einer gewissen Einsicht, zu der ich herangealtert bin, doch
nicht so frei von Eitelkeit bin, um das Gelesenwerden nur der
Reziprozität verdanken zu wollen, werden Sie begreiflich finden.
Ja, mein lieber Schnitzler, es gibt schon Leute, die um
zehn oder gar fünfzehn Jahre jünger als wir und fertige
Künstler sind. Ich weiß ganz wohl, daß darin einige Melancholie
liegt. Aber wir wollen uns nur freuen. Sie speziell sind wie
die jungen Mädchen, die erst spät in die Gesellschaften ge¬
kommen sind. Man sieht Ihnen Ihre dreißig Jahre nicht an —
verstehen Sie es im guten Sinne.
Wenn Sie mich, wie Sie im Sommer schrieben, immer
ein Stück Weges vor sich sehen — der Vorsprung ist mit Müdig¬
keit bezahlt gewesen, und heute, wie gesagt, sitze ich schon auf
einem Stein der Landstraße und lasse die anderen an mir
vorüberkommen.“
Dann einen Monat später: „Meine Munuskripte! Ich habe
sie vergessen. Von der Kunstübung ist mir nur etwas Liebe zur
Kunst geblieben und an manchen Tagen und in verlorenen Stunden
ein Heimweh nach der Dichtung. Nicht ungestraft ist man Jour¬
nalist. Ich bemühe mich, dieses Metier, das der kleine reizende
Hoffmannsthal verachtet, so unpanamistisch als möglich zu be¬
treiben und schaue der Politik zu.
Manchmal komme ich mir vor wie David Copperfield, der
Stenograph — erinnern Sie sich der wonnevollen Stelle?
und manchmal halte ich mich für einen Staatsjuristen."
Noch aufschlußreicher ist der nachfolgende Brief:
„Mein lieber Freund! Wie ernst muß es mir mit meinem
Entschluß sein, meine Theaterstücke begraben sein zu lassen, wenn
ich sie selbst auf Ihre liebe und unter solchen Umständen wieder¬
holte Aufforderung nicht hervorhole.
Neues Wiener Journal
Verzeihen Sie es mir, aber ich will nichts mehr von mir
wissen, ich bin nur mehr Journalist. Ich gehe als Komfortabel¬
pferd in der Gabel, und nur wenn eine Militärmusik vorüber¬
spielt, mache ich einige komisch aussehende Tanzschritte.
Ich glaube Ihnen das schon einmal auseinander¬
gesetzt zu haben. Es ist weniger Verdruß über meine Mißerfolge,
über die wegwerfende Behandlung, die mir von der Kritik zuteil
wurde — denn was sie loben, macht ihren Tadel wertlos
als Neue über meine frühere leichtsinnige unkünstlerische und er¬
folghascherische Produktion. Zur Strafe habe ich mich eingemauert
und begraben. Aber wäre ich frei, hoffnungsvoll wie in meiner
Jugend, könnte ich dichtend in irgendeiner angenehmen Landschaft
herumwandeln — ich glaube, ich schriebe doch nicht mehr fürs
Theater. Ich glaube, ich würde still in mich hineinräsonieren
und lächeln und empfände nicht das Bedürfnis, dem Premieren¬
publikum von Wien oder Berlin oder irgendeiner anderen Stadt
sein Händeklatschen herauszulocken.
Ich glaube es am 13. Mai 1893 wie nun schon seit zwei
Jahren fast ununterbrochen. Die Stimmung ist so dauerhaft, daß
sie wohl schon die definitive ist.
Herzl erzählt in einem späteren Briefe an Schnitzler noch
von seinem schon komischen Mißgeschick beim Theater, von allerlei
Tücken, Mißverständnissen und Kurzsichtigkeiten seiner Direktoren
und Beurteiler. Der Brief ist reich an Ironie und überlegenem
Humor, wenn es auch hier an schwermütig resignierten Ausklangen
nicht fehlt. Kellner meint, daß diese philosophische Ueberwindung
mehr als eine schöne Haltung denn als Tatsache anzusehen sei.
Trotzdem sind die Schaffenden von solcher Wahrhaftigkeit gegen
sich selbst selten, wie sie der zur Tat heranreifende Herzl
besaß.