VII, Verschiedenes 11, 1920–1926, Seite 4

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Miscellaneous
die sogenannte „Brunstzeit beim Men= wird? Und ob sie weinen wird, wenn ich dann
Yvonne: Fühlen auch meine Lilien den
nicht gibt. Die Folge ist, daß Jünglinge nicht mehr komme —
Frühling?
kädchen, als Opfer dieser Suggestion, blind
Der alte Invalide, der den Park hütet, hum¬
Hector. Auch Deine Lilien fühlen den
überlegt Verbindungen eingehen, deren
pelt vorbei, blickt nach dem Mädel hin und nickt
Frühling. Auch der Blinde sieht den Frühling.
Resultate uneheliche, unversorgte Kinder,
ihr leise zu. Er hat schon viele Frühlinge im Der Taube hört den Frühling. Der Lahme tanzt
kliche Ehen und Ehescheidungen sind. Stadtpark gesehen und er weiß es: Sie wird
den Frühling.
dem glauben sie auch fernerhin an die Herr= weinen.
des Frühlings und sind von diesem Irr¬
Maxim Gorkij.
Rainer Maria Rilke.
löst durch die unleugbare Tatsache nicht zu
Wasilja und Nikodem hatten die Nacht in der
O komm und hebe deine blütenschweren
sen; daß es zu keiner Jahreszeit so viele
Hundehütte verbracht. Der Hund war läufig
beringten Hände auf zu jenen Höhen,
kungen der Lunge und des Kehlkopfes
von wo in leisem, sündigem Begehren
und hinter der Hündin des Nachbars her.
wie zu dieser und daß die Zahl der täglichen
Wasilja und Nikodem fühlen sich sehr behag¬
den kosend warmen Hauch wir jubelnd
morde niemals größer ist.
lich. Die Frühlingssonne bescheint sie.
hören,
des Frühlings Weh'n.
Arthur Schnitzler.
Wasilja (streckt, die Hände weit von sich):
Es wird Frühling, Nikodem Pawlowitsch!
O komm und schenk mir in der Zeit,
an allen, Straßenecken duftet
hling
Nikodem (spuckt aus): Endlich! Wenn der
da keimet
Blumen und über den grünschimmernden
Winter noch länger gedauert hätte, war ich kre¬
und schwillt der Boden voll geheiner
Un des Stadtpartes lächelt die Sonne zag¬
piert. Hustest du auch so wie ich, Wasilja Kon¬
Pracht.
und verheißungsvoll.
Die Luft ist schon
stantinowitsch?
da jeder Blüte Samen Segen träumet,
und wenn der Nachmittag sich zum Ster¬
da hoch der Saft in Maienschauer
schickt, sitzen auf allen Bänken junge
Wasilja: Wir husten alle. Es kommt nur
schäumet
halten sich still bei den Händen und war¬
darauf an, wessen Lunge es länger aushält.
die blaue Nacht.
if die Liebe.
Meine ist zah, wie ein Kosakenstiefel.
se wiegt sich in einem leisen Traum unbe¬
Maurice Maeterlinck.
Nikodem: Der Frühling ist ekelhaft. Jetzt
ter Glückshoffnungen. Hat er mich auch
muß man sich wieder die Füße waschen, wenn
Yvonne (beugt sich über die Lilien ihres
chgern? — denkt sie. Ist das jetzt die wirk¬
man bei der Arbeit aufgenommen werden will.
Gartens: Es ist Frühling
Liebe?
Kennst du den alten Nawlowitsch, den Bettler
Hector: An den Gräsern hängen tausend
Der hat sich seit zwanzig Jahren die Füße nicht
aber denkt: Also jetzt werd' ich wieder ein Tauglöckchen und tausend Lieder ziehen durch
mehr gewaschen. Je schwärzer sie sind, desto
Verhältnis haben. Merkwürdig — immer die Lüfte. Hörst Du sie klingen
mehr nimmt er ein.
der Frühling kommt. Nur jetzt ist sie brü¬
Yvonne: Ich höre nur die tausend Lieder
Aber es wird sicher sehr schön werden
in meinem Herzen.
Wasilja: Ja, manche Leute verstehen zu
cher, sie ist ja so lieb! Ich werd' ihr in
Hector: Der Himmel sieht auf uns herab leben! (Er spuckt aus, legt sich auf die Seite und
hilf ein Zimmer nehmen, abends essen wir wie das große blaue Auge einer traurigen Prin¬
schläft weiter.)
in Hietzing draußen. — Ob's lange dauern zessin, in dem eine Träne zittert.
1920
rager Tagblatt, Prag