VII, Verschiedenes 11, 1920–1926, Seite 6

.

Neues Wiener Faun
der
Nr. 6214
Hoffentlich sucht Du mich beeidigt wieder auf, in Klost,
seit vielen Jahren fast Du Dich mich schen Na¬
nächst dem Stephansplatz.
stehen lassen
Den darinn unsere

Peter Altenberg.
ende
le daua en la
Achster Georg
Bitte mich sehr abzuholen
Das Ende naht mit ungeheuren Schritten an mich hers.
Meine Melancholien verzehren nich bei lebendigem Leibe Ich
Jede Verzögerung, nie mehr vorte bedingungs¬
bedürfte einer zärtlichen Wärterin, das einzige Gute an mir verlose Freiheit zu geben, in heimtückische
noch meine Lunge, und die ist jetzt auch hin geworden
Mechelnor
Aufstehen ist mir bereits eine Dual, in meinem Gehirn
Niemand hat mich in bezug auf Schlafmittel aber festge¬
ereignen sich merkwürdige Dinge, meine „Lebensunfähigkeit hat Verhalten zu kontrollieren! Ich und muß ganz, ja, den
den höchsten Grad erreicht!
frei sein!!! Dein Brief ist eine seige Insamme! Du ist jetzt
Für mich gibt es nur mehr jene Art Schlaf, die der Vor=meine Lage, in die Du nich gebracht hat, zu meinem absoluten
läufer des Todes ist!
Verderben ausnutzen. Ich fordere von Dir, Bruder,
Wach sein mordet nich infolge von Melanchollen. Mein
sofort mene von Freiheit
verschles Leben rächt sich jetzt an mir! Jetzt kommt
Peter Altenberg.
die schreckliche Sühne! Aber besonders dieses „Allein¬
sein mordet meine unglückseligen Nerven; mein Zimmer ist nicht
heißgeliebter, vergötterter Bruder
zum bewohnen, zum „darinleben eingerichtet, und ich bin eben¬
Seil vielen Jahren hast Du Dich meinen wüsten Nerven
sowenig für mein Zimmer! Für mich gibt es nur mehr das Be¬
geopfert (zweimal in der „Sulz, in der „Fango-Anstalt, in
und schlafen, schlafen! Ich bin zu nichts anderem mehr fähig
„Inzersdorf", in „Steinhof“!!!)
Ich bin bereits ein lebendiger Verstorbener! Nur
Nun ist es zu Ende.
Helga könnte mir helfen. Und die ist nicht vorhanden! Nur sie
Ich esse nichts mehr, wasche mich nicht mehr, schlafe nicht
nur sie, mit ihrer heiligen Opferfreudigkeit! Ihre Seelenkraf
mehr, alle Funktionen bis auf die der unerträglichsten
strömt in mich über. Ihre Sorgfalt, ihre Besorgnis, ihre Rück
Melancholien sind eingestellt!
sicht, bringen meinen zerrütteten Nerven Leben, Kraft! Aber sie
Nur meine Dankbarkeit ist in mir Tag und Nacht;
ist nicht da. Sie hat eine Stellung in Hamburg mit 70 Mark
was meine armseligen zehn Bücher tragen werden, werden sie Dir
und zu Hause alles umsonst Wie kann sie da nach Wien, wo
tragen. Lebe wohl. Ich lasse Dich leidenschaftlich,
alles bezahlt werden muß!?
Peter Altenberg.
Ich kenne mich nicht mehr aus im Leben, das mich nun
von allen Seiten anfällt wie Raubtiere! Ich kann keinerlei
Zum Schluß sei noch ein Brief Altenbergs en Arten
Widerstand mehr leisten, ich gehe elendiglich zugrunde! Besonder
Schnitzler wiedergegeben. Auch dieser Brief ist undatiert und
meine Melancholien zehren mich auf bei lebendigem Leibe Ich
scheint aus früheren Jahren zu stammen.
brauchte eine Wärterin, und habe keine! Meine einsamen
Stunden morden mich, höhlen mich direkt aus, schaufeln mir
Lieber Dr. Artur Schnitzler
das Grab aus! Das wäre alles nicht so entsetzlich, wenn man
Ihr wunderschöner Brief hat mich wirklich
auserordentlich
es nicht so schrecklich deutlich vor sich sehen würde! Das gefreut. Wie schreibe ich denn?
Schicksal erleiden, ist nicht so entsetzlich, wie es unter der
Ganz frei, ganz ohne Bedenken. Nie weiß ich mein Thema
Kontrolle seines Denkens und Fühlens vorerleben müssen vorher, nie denke ich nach. Ich nehme Papier und schreibe. So¬
Das bringt die Nerven dem Abgrund um so viel nager! Aber
gar den Titel schreibe ich so hin und hoffe, es wird sich schon
da es keinerlei Hilfe gibt, wozu klagen?!
etwas machen, was mit dem Titel in Zusammenhang steht.
Die Millionärinnen, die mich verehren, halten dennoch ihre
Man muß sich auf etwas verlassen, sich nicht Gewalt an¬
Taschen zu. Es ist eine Welt von Lüge und Betrug Angeb
tun, sich entsetzlich frei ausleben lassen, hinfliegen¬
liche tiefste Verehrung, und dann lassen sie uns „am Mist
Was dabei herauskommt, ist sicher das, was wirklich und
krepieren und schmeißen das Geld für aller Wertlosestes tief in mir war. Kommt nichts heraus, so waren nichts wirk¬
hinaus! Und markieren Mitgefühl!!! Nur Helga ist opfer¬
lich und tief darin und das macht dann auch nichts.
freudig! Ich habe sie dazu erzogen! Und so triumphiert sie übe
Ich betrachte Schreiben als eine natürliche organische Ent¬
ihre egoistischen Mitschwestern, die von ihren positiven Genüssen lastung eines vollen, eines übervollen Menschen. Daher alle
gar nichts, gar nichts haben!
Fehler, Blässen.
Liegen und schlafen ist meine einzige Erlösung! Aber wie
Ich hasse die Retouche. Schmeiß es hin und gut — 1 Oder
lange kann man so als Lebendiger sterben?!? Dein unglück
schlecht! Was macht das?! Wenn nur Du es bist Du und
seliger Bruder
kein Anderer, Dein heiliges Du! Ihr Wort „Selbstsucher" ist
Peter Altenberg.
wirklich außerordentlich. Wann werden Sie aber schreiben „Selbst¬
finder
Technik der „Schlafuite, damit sie nicht als „Gift
Meine Sachen haben das Malheur, daß sie immer für
wirken: Vollkommen leerer Darm Leichtest verdauliche kleine Proben betrachtet werden, während sie leider bereits das
Kranken kost am Abend!
sind, was ich überhaupt zu leisten imstande bin. Aber was
Schlaf von 10 Uhr abends bis 7 Uhr früh, nicht
macht es?! Ob ich schreibe oder nicht, ist mir gleichgültig.
geweckt werden!
Wichtiger ist, daß ich in einem Kreise von feinen gebildeten
Medinal o.
jungen Leuten zeige, daß in mir das Funkchen glimmt. Sonst
Dr. Peter Altenberg.
kommt man sich so gedrückt vor, so zudringlich, so schief an¬
Honorar: Bruderliebe
geblinzelt. Ich bin so schon genug „Invalide des Lebens. Ihr
Brief hat mich sehr, sehr gefreut! Sie sind überhaupt alle so
Aus Steinhof
liebenswürdig gegen mich. Jeder ist wohlwollend. Sie haben
Ich schreie zum letzten Male gellend und verzweifelt um mir aber wirklich wundervolle Sachen gesagt. Besonders das Wort
Hilfe, da ich nur infolge einer ganz momentanen Erregung, „Selbstlicher eben.
wie sie Künstlerorganisationen zu Tausenden in ihrem Leben
Ich bitte Sie, man hat keinen Beruf, kein Geld, keine
haben, durch Dich und Deine Unvorsichtigkeit hieher
Position und schon sehr wenig Haare, da ist so eine feine An¬
gebracht wurde
erkennung von einem „Wissenden" sehr, sehr angenehm.
Ich bin gerade so normal, wie ich, bei meiner
Deshalb bin und bleibe ich doch nur ein Schreiber von
künstlerischen Impressionabilität, es gleich tausend Andern
„Muster ohne Wert" und die Ware kommt alleweil nicht. Ich
mein Leben lang gewesen bin, und mich hier fest- bin so ein kleiner Handspiegel, Toilettespiegel, kein Weltenspiegel.
halten, heißt: wissentlich ein Verbrechen begehen!
Ihr Richard Engländer.
Peter Altenbe¬