VII, Verschiedenes 11, 1920–1926, Seite 13

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Miscellaneous
gendes Händeklatschen im Saale für die Glanzleistung des Equili¬
bristen nachfolgt, die Antwort: „Weiß ich's denn, wie hoch heute
die Mark steht.“
F. van Eeden.
Van Eeden ist zur katholischen Kirche übergetreten. Das geschah
zu Weihnachten. Nun drängt es ihn, seinen Schritt öffentlich zu
rechtfertigen, von seinem Erlebnisse anderen mitzuteilen. Wer die
Wahrheiten des Bekehrten vernehmen will, muß an den Manager
desselben zwischen ein und drei Gulden bezahlen. Gleichwohl ist
der Saal überfüllt. Auch hier gibt es viele Geistliche. Der Ka¬
tholizismus macht an sich in Holland große Fortschritte; van Eeden
ist nach Toorops Uebertritt der schmeichelhafteste Triumph der
Kirche. Van Eeden fehlt alles, was nach Humor schmecken könnte.
Seine Gesichtsfarbe ist käsegel, das ergraute Haar sieht ungesund,
büßerhaft aus. Zwar beeilt sich der Dichter, mitzuteilen, daß er
große Sünden nicht zu büßen haben, seine Seitensprünge seien nicht
bedeutend gewesen, letzten Endes sei auch sein vorchristliches Leben
ganz anständig verlaufen. Trotzdem ist sein Blick trübe, seine Hal¬
tung gedrückt, die Stimme hohl. Das Erlebnis, das ihn zu seiner
Tat trieb, sucht er mehr zu verschleiern als zu lichten. Von der
Erschütterung, die sich in ihm, seiner Bekanntgabe nach, abgespielt
hat, geht jedenfalls auf die Zuhörerschaft nichts über. Diese kann
van Eeden nur als merkwürdigen Sonderfall betrachten; das all¬
gemein menschliche Mitgefühl wird durch den Dichter selbst immer
wieder weggeschoben, da er statt von Jesus von der Kirche spricht
und statt des Glaubens Rom meint. Wenn irgend jemand in
Holland, so stand früher van Eeden, auch auf dem Gebiete der
Sozialreform, der Geistigkeit des Urchristentums nahe; heute bringt
er aufs Kathoder die früher geschriebenen Bücher mit, schlägt Stelle
nach Stelle auf und sucht nachträglich zu beweisen, daß er eigent¬
lich wie jetzt immerzu gedacht und geschrieben habe, daß er also
vor die Christförmigkeit aller Menschen schon immer das Dogma,
vor die Selbsterlösungsmöglichkeit die Notwendigkeit der Priester¬
hilfe gestellt habe, und so endet der Abend als römisch-propagan¬
distische Erbauungsstunde.
A. Schnitzler.
Zu Arthur Schnitzler strömen die Weltkinder. Gibt es nichts zu
profitieren von ihm, dem berühmten Lebens= und Liebeskünstler:
Darf man nicht auf ein klein wenig, o gewiß nicht äußerlich zum
Ausbruch kommenden Skandal rechnen? Richtig sind denn eine
Menge Damen und Herren, als der Dichter die Geschichte von der
Hirtenflöte liest, wo eine schöne junge Frau mit einem ganzen Heer¬
hausen symbolisch gemeinte Unzucht treibt, stark schokiert, klatschen
aber am Schluß dennoch, weil es einmal zum guten Tone gehört,
und alle Kritiker im Lande den zum voraus für einen Banausen
erklärt haben, der Schnitzlers leichte, scharmante, unbefangen¬
Geistigkeit nicht zu würdigen wisse. Der Dichter hat sich eine alt¬
väterisch große Krawatte über das Frackhemd gebunden, schiebt
nach der ersten Seite des Lesens eine dicke Hornbrille hinter die
Ohren, reguliert mit der Hand, in die er die Wange stützt, von
Zeit zu Zeit den Fall der Stirnlocken, und gleicht denn so in der
Tat dem Bilde, das vom Dichter ein jedermann im Herzen trägt:
Wissen, seelische Abenteuer, enttäuschende, aber nicht nachlassende
Anbetung des Ideals, das steht diesen weichen, vergilbten Zügen
ins Gesicht geschrieben, und drum verzeiht man ihm denn die An¬
züglichkeiten und kommt sich selber, anders als die der Hirtenflöte
folgende Dionysia, recht alltäglich vor und seufzt ein wenig und
entdeckt in sich kleine Schmerzen, die bisher geschwiegen hatten.
Hochrot sitzt in der ersten Reihe ein Freudianer, der holländische
Führer dieser Gilde, aus Leiden zu dieser Vorlesung extra her¬
übergekommen. Ihm ist nichts dunkel; beide: den Dichter und die
erst sich gegen ihn sträubenden, dann ihm hingegebenen Frauen,
durchschaut er, durchschaut er bis ins Letzte. Sein Auge glüht.
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