VII, Verschiedenes 11, 1920–1926, Seite 25

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Miscellaneous
Dr. Max Goldschmidt
Büro für Zeitungsausschnitte
BERLINN 4
Telefon: Norden 3051
Ausschnitt aus:
Berliner Tageblatt
15.
Bernard Shaws Uebersetzer.
Wir empfangen zur Veröffentlichung den folgenden
an den Herausgeber des Londoner „Observer gerich¬
teten Brief Bernard Shaws, den wir um seiner humor¬
vollen Fassung willen weitergeben.
Die Redaktion.
Sehr geehrter Herr!
Ihr Berliner Korrespondent benutzt in seiner Besprechung über
meine „Heilige Johanna“ in der Nummer vom 19. Oktober die
Gelegenheit, mir wegen meiner Treue gegen meinen Uebersetzer
Siegfried Trebitsch ein Kompliment zu machen. Er führt an, daß
a) Herrn Trebitsch Muttersprache nicht deutsch sei, b) daß er ein
holperiges Deutsch schreibe, c) daß seine Schwierigkeiten mit dem
Deutschen unverkennbar seien, und d) daß seine Nationalität bis¬
weilen als ungarisch, bisweilen als polnisch angegeben wird.
Darf ich dazu einige Bemerkungen machen
Herr Trebitsch wurde in Wien geboren, von Wiener Eltern.
Seine Sprache ist die Sprache Grillparzers und Rain und, Schutz¬
lers und Hofmannst als Ihr Korrespondent bezeichnet das nicht
als deutsch, weil es nicht absolut der Dialekt seiner Berliner Straße
ist. Vielleicht würde die „Heilige Johanna in diesem Dialekt ein¬
drucksvoller sein, aber ich bezweifle, ob die Wiener und die Dresdener,
die zurzeit so begeistert über das Werk sind, auch so denken würden.
So interessant der Kreis Ihres Korrespondenten sein mag, er ist nicht
Deutschland.
Herrn Trebitschs holperiges Deutsch stand ihm so gut zu Gebote,
daß, bevor er meine Stücke zu übersetzen begann, seine Novellen und
Gedichte vor fünfundzwanzig Jahren in Deutschland in vielen Auf¬
lagen verbreitet waren. Wahrscheinlich hat mein Stil ihn demorali¬
siert, aber da ich weiß, daß er seither zwei Literaturpreise für seine
eigenen Leistungen bekommen hat, ziehe ich daraus den Schluß, daß
ihm noch immer genügend von seiner Muttersprache geblieben ist,
um jeden außer Ihren Korrespondenten zu befriedigen.
Alles in allem, ich glaube, ich werde zu Herrn Trebitsch
halten. Meine Stücke scheinen in Deutschland Erfolg zu haben, ob¬
wohl seine Nationalität bisweilen als ungarisch, bisweilen als pol¬
nisch und vielleicht sogar bisweilen als chinesisch angegeben wird.
Diese wilden Gerüchte sind die Schattenseiten des Ruhms.
Ihre Leser müssen aber mit der Enttäuschung mancher Möchte¬
gern Uebersetzer rechnen. Einer von diesen, ein Herr, der mit einem
Leipziger Theater in Verbindung steht, und sich die „Heilige Jo¬
hanna nicht sichern konnte (über die er anerkennenswert begeistert
war), setzte sich in der Bitterkeit seines Herzens hin und schrieb

Dr. Max Goldschmidt
Büro für Zeitungsausschnitte
Teicion: Norden 3051
BERLIN N4
Ausschnitt aus: Hannoverscher Anzeiger
3. Nov. 1924

Deutsche Dichter in Bulgarien. Aus dem Bericht
der bulgarischen Nationalbibliothek in Plowdiw ist
zu ersehen, in welchem Maße die deutsche Literatur
bei den Bulgaren beliebt ist. Goethe wurde im
Jahre 1922 nicht weniger als 203mal verlangt,
Schiller 148mal, Gerhart Hauptmann 93mal,
Sudermann 49mal. Friedrich Nietzsche 49mal,
Schnitzler
Schopenhauer 75mal, Arthur
16mal. Um diese Ziffern richtig zu würdigen, muß
man sie allerdings mit denen vergleichen, die sich
auf die Literatur anderer Völker beziehen, und da
erweist es sich, daß an der Spitze immer noch die
Russen Tolstoi (731mal). Dostojewski (609mal) und
Der meister¬
Turgenjew (483mal) marschieren.
langte Autor aber ist — Alexander Dumas Vater,
dessen Werke 1234mal gefordert und 789mal aus¬
geliehen wurden! Von französischen Autoren sind
sonst nur noch Marcel Prevost (229mal). Mau¬
passant (731mal) und Victor Hugo (312mal) stark
verlangt, die übrigen müssen sich mit zweistelligen
Zahlen begnügen.
einen Zeitungsartikel gegen den armen Herrn Trebitsch, in welchem
er ein halbes Dutzend errata anführte, die keineswegs weltbewegend
waren und einige Proben seines eigenen Könnens gab, die mich
nicht zu überzeugen vermochten. In einem Privatbrief bemerkte er
in seinem besten Englisch, daß ein gewisser anderer Uebersetzer (er
hat an allen andern etwas auszusetzen) „does not know neither
German nor English.
Es ist ein schweres Los, mein Uebersetzer zu sein. In ganz
Europa teilen meine Uebersetzer Herrn Trebitschs Schicksal. Ihre
enttäuschten Rivalen versichern mir, daß jene alle ohne Ausnahme
unkundige Betrüger sind. Aber die Uebersetzungen setzen sich trotzdem
durch. Ihr Korrespondent hat sich von einem dieser Enttäuschten
hinters Licht führen lassen, und ich verzeihe ihm deshalb. Aber
da die Tatsache, daß Herr Trebitsch ein bekannter Wiener Schrift¬
steller ist, in Deutschland ebenso bekannt ist, wie man in England
weiß, daß Thomas Hardy kein Hindu ist, hätte er die Wahrheit
seiner Information feststellen müssen, bevor er sie im „Observer
veröffentlichte. Der nächste Schutzmann hätte es ihm sagen können.
Ihr ergebener
G. Bernard Shaw.