VII, Verschiedenes 11, 1920–1926, Seite 28

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Miscellaneous
Samstag
Neues 8 Uhr-Blatt
28. Februar
Varie
der
Die Wiener Operette ist tot.
durch
ug.
und
Auch Mitzi Günther verläßt Wien und das Theater.
er nächsten
Horiz
gerichte des
Es ist nutzlos, pietätvoll darüber zu
Und nun verläßt auch
der
r 19jährige
schweigen, alle Welt weiß es ja doch schon
Falle
wegen längst: die Wiener Operette ist tot. Das, was
aben. Die
trach¬
noch immer unter diesem Titel auf den Mark¬
phan¬
nine Hug kommt, ist sozusagen nichts andres als Aus¬
geklagten.
Ind¬
landsware, im Veredlungsverfahren durch die
orgt hatte,
nur
Wiener Operettentradition gegangen. Aus
n verloren
ander,
Amerika kam in diesen Tagen die Jazzband¬
sorgfältige
hande
operette und begann ihren Siegeszug wie
er ihr alle
pather
die Jazzbandmusik. Bereits hat Berlin diese
m tüchtiger
an ei
Wildwestoperette festlich empfangen, sie ist der
die ih
indank. Er Operettenerfolg dieser Saison. Bezeichnender¬
nachlässigte
breche
weise neben Kalmans rassiger Volksgewachsen¬
Vertreter
defekt,
heit in der „Gräfin Maria", aber auch neben
unten Per¬
willko-
den alten Wiener Operetten (Millöcker,
deskanzlers
Vor
Suppé, Johann Strauß, die allein im¬
mber 1924
trieb
stande sind, das großte Berliner
Hellmut
brauch
Theater, das Theater der Fünftausend, das
Lustkandi¬
Men¬
große Schauspielhaus Abend für Abend
aus den
Straf¬
zufüllen. So lebt die alte Wiener Operette
chlafzimmer
Welt
im Ausland, in Wien aber ist sie rettungslos
atz des Ver=
allen
dahin
wieder ver¬
Geleg
Wenn Marischka nach Paris übersiedeln
größeren
zuma
will, um dort die Operetten des Karczag=Ver¬
Mitzi Günther,
raubt hatte
defekt,
lages zur Aufführung zu bringen und das
de der Neffe
gut
Theater an der Wien aufgeben will, so tragen die größte, fast geniale Begabung der Wiener
n Mürz¬
lore
daran nicht allein der „böse Stadtrat Breitner
Operette, Wien und das Theater. Unsre bereits
mit einen
den
oder die zu hohen Kosten des heutigen Theater
gebrachte Nachricht, daß die Künstlerin von der
aten wollte
breche
betriebes die Schuld, sondern zu den äußeren Bühne abgeht, bewahrheitet sich leider viel zu
sowie ein
zurech
Umständen tritt auch eine innere Veranlagung früh. Frau Günther, allen Marktschreiereien
de noch be¬
sogar
dazu. Die Wiener Operette und ihre abhold, nimmt morgen im Strau߬
den Lokal¬
sonde
Repräsentanten sind mutlos ge= Theater als Pußtaliebchen“ in aller Stille
wurde, legt
Grün
worden. Sie resignieren, sie geben der
Abschied von uns. Sie ist theatermüde,
ständnis a
Mens¬
Kampf auf und suchen sich mit den Lebens¬
Jahraus, jahren nichts andres auf dem
Absicht, die
wird
notwendigkeiten, so gut es geht, abzufinden. Theater sein zu dürfen, als die „liebe Günther
ohnung ein
im
Daher die Flucht Marischkas aus Wien. Sie Mitzi“, die ja doch im dritten Akt von irgend
en Diebstahl
Solch
steht ja nicht vereinzelt. Oskar Straus
jemand genommen wird, das kann ihr auf die
rie, habe er
Ermo
hat schon lange Wien den Rücken ge¬
Dauer nicht genügen. Ihr erster großer Er¬
Haupt
kehrt. Leo Fall erscheint in Wien nur folg, die „lustige Witwe, war auch der erste
idlung wird
Lande
noch als Gast. Franz Lehar, der feinste
große Erfolg einer Wiener Operette nach einer
die Anklage
Musiker der Wiener Operette, schweigt.
Zeit der Stagnation. Aber dieser Erfolg hat deses
vertreten,
opfern
Dieselbe Operettenmüdigkeit hat auch ihre
sich an der Wiener Operette und an Mitzi
er.
stärksten Könner auf dem Theater erfaßt. Günther gerächt. Das Schema der „lustigen „Held
andre
Mimi Kött kam zur „Nana", um sich ein Witwe wurde immer wiederholt und das ist
Wein¬
brecht
mal künstlerisch ganz ausgeben zu können.
mit daran schuld, daß die Wiener Operette
wurde
Luise Kartouch, die im Herbst 1924 in
heute tot ist. Es fehlt ihr an innerer Kraft zur
wert
Berlin als die letzte elementare Operetten
Selbsterneuerung.
erwürgt.
lose
soubrette gelegentlich der Premiere von „Cl.
Und so geht denn auch Mitzi Günther von
duktion ist
Clo“ gefeiert wurde, wandelte sich zur uns. Voll Wehmut wollen wir dieser un¬
ische Zucker¬
„Herzogin von Elba". Louis Treumann gewöhnlichen Frau, die blutjung zum Theater gemei¬
erwürgt tritt heute in der deutschen Uraufführung des
kam und heute im Zenit ihres Lebens steht, grund
Mutmaßung
„Dibuk“ in der Rolandbühne zum erstenma
Fran
gedenken. Dem kultivierten Wien der Vor¬
rden, wider
in einer Schauspielerrolle auf: als Meschulach,
Deut¬
kriegszeit war sie so etwas wie eine
weist eine der Bote aus dem Jenseits. Wieviel wer¬
Sadi
singende Helene Odilon. Ungezählte
Kehlkopf ist
volle Kräfte der Wiener Operette bleiben große Operettenerfolge sind mit ihrem Namen nur
sonder
hin, daß ein ungenützt. Der unwüchsige Tautenhay
verknüpft, in ungezahlten Herzen lebt die
n Mord an
ist in Wien heimatlos. Fritz Werner, der Erinnerung an die großen Abende dieser char¬ ben.
als hat der
manten Vollbluskünstlerin, von der ein Artur Krieg
jede Operette durch sein Temperament halte
decken
osen vor sich
Schnitzler schrieb: „Ein Denkmal,
konnte, betätigt sich nur noch als Automobilist
nige Schläge
Christl Mardayn und Rosy Werginz der Wiener Operette errichtet, Misse
geführt, denn kommen nur noch als gelegentliche Gäste müßte die Züge Mitzi Günthers einer
Schli¬
st eine 3½
tragen.“
zu uns.
von
Hinterhaupt
mit her¬
Not