VII, Verschiedenes 11, 1920–1926, Seite 43

1.
Miscellaneous
box 42/2
onntag
Neue Freie Presse.
noch vermehren,
herein. „Sin ja noch gar nicht aufgestellt!
viele Anzeichen
Also zu vorschnell geurteilt, liest man am Rande.
in Eigenschaft
Keine liebenswürdige Bemerkung seinem hohen Ahnen
nige besonders
gegenüber macht Wilhelm II. bei Otto dem Faulen.
Lambridge ur¬
In dem Aufsatz heißt es: „Wenn man nicht den Namen
läse, wenn man nur die Beine sähe, man müßte wissen, daß
umfassen neben
diese Figur Otto den Faulen darstellt." Se. Majestät unter¬
erbarkeit auch
streicht: nur die Beine sähe — und kritzelt
i Masse der
daneben: „Aber das Gesichte (!) doch noch
die ein hohes
viel mehr. Da bricht die Neigung zum Burschikosen
nen bisher nur
durch, die andernorts manchmal Unheil anrichtete. Wenn
Atomfragmenten
h. Sch. schreibt: „Denn im allgemeinen sind mehr ver¬
nal den sicheren
schiedene Charaktere als verschiedene Beinstellungen vor¬
Tatsache, daß
handen", so bemerkt Se. Majestät: „Sehr natürlich, da
enden Partikel
der Mensch nur zwei Gebrüder Beenekens
hat
rsuche wird zur
Und verzeihen Sie, Herr Landgerichtsrat oder
en der Materie
Geheimer Oberpostrat Th. Sch., daß ich Ihr altes Aufsatz¬
heft durchstöberte. Ohne Wilhelms Marginalien wären die
chstücke durch¬
gelben Hefte längst der Zentralheizung zum Opfer gefallen.
einigen Zenti¬
So aber — sehen Sie: so wird man „unsterblich
28.
zahlreiche Zu=
eschwindigkeit
stoffatome in
Popper-Lynkens im Gespräch.
lekeln unter.
geradlinige
Gedankenaustausch mit Einstein, Schnitzler,
ner von dem
Bahr, Ida Roland.
ode sichtbar
Von Kurt Sonnenfeld.
jener Schule
Letzter Besuch bei einem Todgeweihten. Man fühlt,
Umstand
man weiß es: diesen Menschen werd' ich nie wiedersehen.
eine solchen
Und mit unersättlichen Blicken, in denen das Abschiedsweh
machen, um
brennt, trinkt man die Umrisse der Gestalt in sich hinein,
seit Bahnen
die man lieb gehabt hat und die bald unwiederbringlich
einem in
zerstört sein wird, und man sucht als Erinnerungsbild und
an infolge
Abglanz festzuhalten, was sich im Entschwinden festhalten
strahlung
läßt. Und noch nach Jahren, wenn der Tod schon längst
er als auf
ein Werk getan hat, sieht man ihn greifbar und lebendig
hotographien
vor sich, den leicht nach vorne geneigten Greisenkörper
mühsam atmend inmitten der weißen Kissen im Lehnstuhl.
derten mehr
Man sieht die mächtig gewölbte, von Gedankenrunen zer¬
ößten Teile
pflügte Stirn und den tiefen Glanz der strahlenden Augen,
von Board,
das klare und edle Gesicht, in dem sich alle Linien zu freier
derwärtige
und heiterer Harmonie fügen. Und man hört die Stimme,
hoffen, daß
die tonlos und brüchig ist und oft genug zum Keuchen wird
Oesterreich
und die dennoch so herrliche Worte zu sagen weiß, daß man
wird.
sie nie vergißt.
Plato unter seinen Schülern. War dies nicht der
Eindruck, den man von Popper-Lynkeus empfing
chul¬
wenn seine Freunde und Freundinnen im Gespräch bei ihm
saßen? Eigenartigen Menschen ist man bei ihm begegnet,
Schriftstellern, Schauspielern, Politikern, Trägern berühmter
Namen und auch solchen, die man nur in diesem Freundes¬
kreise kannte, und einigen interessanten Frauen. Aus den
verschiedensten Bezirken des geistigen Lebens waren sie
Berliner
gekommen und saßen nun in vertrauter Gemeinsamkeit
gegeben:
plaudernd bei dem alten Manne wie im Schatten eines
ig der
mächtigen Baumes. Plato unter seinen Schülern.
den
Und wird nicht dieser Eindruck bestätigt, wenn man
scher
die „Gespräche liest, die Poppers treue Freunde
Margit Ornstein und Dr. Heinrich Löwy im Löwit¬
rigierten
Verlag, Wien und Leipzig, veröffentlicht haben? Diese Ge¬
n Rand¬
spräche, denen ein schönes Geleitwort von Poppers seither
ser Hefte
auch schon heimgegangenem Freunde Dr. Julius Ofner
rimaners
vorangestellt ist, sind keineswegs in jedem Satze und in jeder
leicht ist
Wendung bedeutungsschwer und vom Tiefsinn gesättigt, ja
ich eine
man hat mitunter den Eindruck, als ob sub specia aeterni¬
Gegensatz
tatis die eine oder andere beiläufige Bemerkung ohne Rück¬
blauen
sich darauf, daß das schmale Buch dann noch schmäler
macht
geworden wäre, getrost hätte wegbleiben können. Der
scheint
Freundespietät schien eben jeder noch im Gedächtnis
schauung
haftende Ausspruch des großen Toten so ehrwürdig und
räftigen.

25. Juli 1926
Nr. 22220
Einmal wird über die hakenkreuzlerischen Kund¬
gebungen gegen Einstein gesprochen. Dr. Löwy erzählt, daß
Einstein trotzdem Berlin die Treue bewahre. Er habe an der
Kultusminister Hänisch geschrieben, daß er sich durch
menschliche und wissenschaftliche Beziehungen an keine Stadt
so sehr gebunden fühle wie an Berlin, und daß er nur dann
ins Ausland gehen werde, wenn ihn die äußeren Umständ¬
dazu zwingen.
Popper: „Einstein ist mutig. Wenn er sich damals in
der Versammlung in der Berliner Philharmonie durch einen
rückwärtigen Ausgang zurückgezogen hätte, so hätten ihn
die alldeutschen Studenten sicher attackiert.
Für Arthur Schnitzler waren die Besuche bei
Popper-Lynkeus eine liebe Gewohnheit. Traf man ihn am
Sonntag vormittags in Schönbrunn und wunderte man
sich, daß er dem Sommerheidenweg und seinen anderen
Lieblingsspaziergängen auf der Türkenschanze untreu ge¬
worden war, so antwortete er wohl: „Ich gehe zu Popper¬
Lynkeus" oder: „Ich komme von Popper-Lynkeus.
Josef Popper hat nur wenige Menschen so sehr geliebt
wie Schnitzler, dessen Besuche ihm immer ein Fest be¬
deuteten. Und sie waren auch ein Fest, da Schnitzler,
bekanntlich ein Künstler des Gesprächs, den Gedanken¬
austausch mit Popper manchmal zu Hochgipfeln des Geistes
emporführte, daß das zuckende Hin und Her der Unter¬
redung in diamantenen Blitzen flammte.
Darum ist es schade, daß das Buch von Schnitzlers
Besuchen eigentlich nichts anderes festhält, als ein
Gesprächsfragment und eine kleine Anekdote.
Popper im Bett. Arthur Schnitzler erzählt, daß
er jetzt Plutarch und die „Griechische Kulturgeschichte" von
Jakob Burckhardt lese. Er bewundert die unübertreffliche
Kürze und Prägnanz der Ausdrucksweise Burckhardts
und vergleicht sie mit dem Stil des „Michael Kohlhaas":
„Jeder Satz ist von Bedeutung, es gibt keine Ruhepausen
beim Lesen.
Popper nickt zustimmend. Das Gespräch kommt auf
die Griechen.
„Die großen Wohltäter der Menschheit", sagt Popper,
„waren keine Genies.
Schnitzler: „Wie meinen Sie das?“
Popper: „Es bedarf nicht des Genie eines Newton,
um ein Wohltäter der Menschen zu sein.
Schnitzler: „Wen halten Sie für einen Wohltäter
der Menschen?
Popper: „Hippokrates, Euripides."
Das Gespräch wendet sich dem Kriege zu. Schnitzler
bemerkt, daß die Millionenheere, die jetzt an einem Kriege
teilnehmen, eine ganz neue Erscheinung seien. Popper nicht zu¬
stimmend: „Man berichtet von den Riesenheeren des Terres.
Voltaire war der erste, der aufmerksam gemacht hat, daß
diese großen Zahlenangaben nicht richtig sein können. Nach
ihm hat in neuerer Zeit Delbrück das gleiche getan. Tamerlan
zum Beispiel hätte mit so großen Heeren wegen der Ver¬
pflegung nicht durch die Wüste hindurchkonnen.
Ein kleines Scherz. Arthur Schnitzler und die
Schauspielerin am Deutschen Volkstheater Fräulein Else
Schilling sind da. Popper liegt im Bette.
Es wird viel gelacht. Fräulein Schilling scherzt mit
Popper und sagt, daß sie das Spitzbübische an ihm erst jetzt
bemerke. Wir lachen so viel, daß Fräulein Schilling sagt,
sie möchte wissen, ob irgendwo in Wien jetzt so viel gelacht
werde wie hier. Sie erzählt, daß Anton Wildgans
wieder in Mönichkirchen sei, tausend Meter hoch, um zu
arbeiten.
Popper lachend: „Tausend Meter, was ist das?
So viel wie der Semmering. Das ist gar nichts.
Fräulein Schilling lachend): „Natürlich, für Sie ist.
das gar nichts. Hietzing liegt viel höher.
Als sie weggeht, sagt Popper: „Wissen Sie, ich habe