1. Miscellaneous
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WOCHENSCHRIFT FÜR THEATER, KUNST, FILM, MODE GESELLS
FT, SPORT
de redaktionellen Teil enthaltene entgeltliche Finallungen und durch leich
Jahrgang 5, Heft Nr. 183
WIEN, DEN 10. MAI 1928
Erscheint jeden Donnerstag
Gibt es noch das süße Mädel?
Eine Rundfrage mit Antworten von John Quincy Adams,
Julius Bauer, Hedwig Keller, Hansi Niese, Hans Saßmann
Photo First National Studio
ine Frage, einer Rundfrage wert:
Gibt es noch das süße Madel? Ist
es nicht vielleicht bereits ein Inven¬
tarstück des älteren Wien, mit den Ge¬
mütlichkeitsbeständen und den Sorg¬
losigkeitskulissen der alten Zeit wegge¬
räumt und vergessen?
Die heutige Epoche ist auch in Wien,
wo neue Sachlichkeit sich noch nicht
atmosphärisch verdichtet hat, viel zu
erwerbsgierig, zu materialistisch, zu un¬
erbittlich, als daß sie für so schwebende,
zierliche und zärtliche Erscheinungen
wie das Wiener süße Mädel noch Raum
hätte. Der Begriff des süßen Mädels ist
sicherlich Resultat einer Wienerinnen¬
Forschung aus der Zeit um 1900. Arthur
Schnitzler hat den Typus zwar nicht
erfunden, aber er hat ihn in seiner
„Liebelei“ für eine wienerische Ewig-
keit gestaltet. Seine Mizzi Schlager ist
in ihrer Leichtbeschwingtheit, in
ihrer Grazie, in der Gelöstheit ihrer
Lebensauffassung, in ihrer Treue, in
ihrer Liebe, in der Seligkeit ihres Sich¬
Erinnern und in der Anmut ihres
Rasch-Vergessens sicherlich die Gestalt,
die man sich auch noch heute als das
süße Mädel vorstellt. Eine Operette mit
dem Schlager „Das ist das süße Mädel
hat dem Typus dann auch zu lang an¬
dauernden musikalischen Ehren ver¬
holfen. Und das süße Mädel“ rangiert
seit damals unter den Wiener Speziali¬
täten. Es ist berühmt wie der Heurige
aus Grinzing, der Millirahmstrudel aus
Breitenfurt, die Fiaker oder die Back¬
hendeln. Und man kann sich ganz gut
denken, daß ein Provinzler noch heute
nach Wien kommt und sich erkundigt:
Wo kann man denn hier ein süßes
Mädel“ schen? Die Nachfrage nach
süßen Mädeln“ ist namentlich bei den
Fremden rege, sie stellen sich unter
dem Wiener Mädel etwas Blondes oder
Brunettes mit einem Puppengesicht, ein
wenig rundlich, immer gut gelaunt,
immer lustig, immer zu Spassetteln auf¬
gelegt und ganz selbstlos zärtlich und
hingebend vor. Sie wissen nämlich, daß
das süße Mädel immer das Mädel
war, das geliebt hat. Geheiratet wurden
dann die anderen.
Keinesfalls kann sich das süße Ma¬
Das süße Mädel von heute: das Girl.
del von heute den Luxus gestatten,
Dorothy stron (Hollywood).
das süße Mädel“ von früher zu sein.
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WOCHENSCHRIFT FÜR THEATER, KUNST, FILM, MODE GESELLS
FT, SPORT
de redaktionellen Teil enthaltene entgeltliche Finallungen und durch leich
Jahrgang 5, Heft Nr. 183
WIEN, DEN 10. MAI 1928
Erscheint jeden Donnerstag
Gibt es noch das süße Mädel?
Eine Rundfrage mit Antworten von John Quincy Adams,
Julius Bauer, Hedwig Keller, Hansi Niese, Hans Saßmann
Photo First National Studio
ine Frage, einer Rundfrage wert:
Gibt es noch das süße Madel? Ist
es nicht vielleicht bereits ein Inven¬
tarstück des älteren Wien, mit den Ge¬
mütlichkeitsbeständen und den Sorg¬
losigkeitskulissen der alten Zeit wegge¬
räumt und vergessen?
Die heutige Epoche ist auch in Wien,
wo neue Sachlichkeit sich noch nicht
atmosphärisch verdichtet hat, viel zu
erwerbsgierig, zu materialistisch, zu un¬
erbittlich, als daß sie für so schwebende,
zierliche und zärtliche Erscheinungen
wie das Wiener süße Mädel noch Raum
hätte. Der Begriff des süßen Mädels ist
sicherlich Resultat einer Wienerinnen¬
Forschung aus der Zeit um 1900. Arthur
Schnitzler hat den Typus zwar nicht
erfunden, aber er hat ihn in seiner
„Liebelei“ für eine wienerische Ewig-
keit gestaltet. Seine Mizzi Schlager ist
in ihrer Leichtbeschwingtheit, in
ihrer Grazie, in der Gelöstheit ihrer
Lebensauffassung, in ihrer Treue, in
ihrer Liebe, in der Seligkeit ihres Sich¬
Erinnern und in der Anmut ihres
Rasch-Vergessens sicherlich die Gestalt,
die man sich auch noch heute als das
süße Mädel vorstellt. Eine Operette mit
dem Schlager „Das ist das süße Mädel
hat dem Typus dann auch zu lang an¬
dauernden musikalischen Ehren ver¬
holfen. Und das süße Mädel“ rangiert
seit damals unter den Wiener Speziali¬
täten. Es ist berühmt wie der Heurige
aus Grinzing, der Millirahmstrudel aus
Breitenfurt, die Fiaker oder die Back¬
hendeln. Und man kann sich ganz gut
denken, daß ein Provinzler noch heute
nach Wien kommt und sich erkundigt:
Wo kann man denn hier ein süßes
Mädel“ schen? Die Nachfrage nach
süßen Mädeln“ ist namentlich bei den
Fremden rege, sie stellen sich unter
dem Wiener Mädel etwas Blondes oder
Brunettes mit einem Puppengesicht, ein
wenig rundlich, immer gut gelaunt,
immer lustig, immer zu Spassetteln auf¬
gelegt und ganz selbstlos zärtlich und
hingebend vor. Sie wissen nämlich, daß
das süße Mädel immer das Mädel
war, das geliebt hat. Geheiratet wurden
dann die anderen.
Keinesfalls kann sich das süße Ma¬
Das süße Mädel von heute: das Girl.
del von heute den Luxus gestatten,
Dorothy stron (Hollywood).
das süße Mädel“ von früher zu sein.