VII, Verschiedenes 11, 1926–1929, Seite 60

Miscellaneous
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Die republikanischen Blätter des Westens sind da¬
an
rüstet, daß die Industrie einen weitgehenden Schutz erhält,
die Oberhano,
während den Landwirten jegliche Hilfe verweigert werde
größerem Nutzen sind.
Sie drohen mit einer Revolte der Landwirtschaf¬
treibenden Bevölkerung, wenn die Lebens¬
Und noch eins: Industrielle und Finanzleute haben die
tionen in Form von
haltung durch weitere Tariferhöhungen noch mehr ver¬
hohen Zölle durchgesetzt, weil sie besser organisiert waren
barmachung der Wasserkräfte nu.
teuert werden sollte.
Verdienstmöglichkeiten für die Masse¬
als die Agrarier, denen aber mit niedrigeren Zöllen geholfen
lichen Gefahren der ersten Jahre be
wäre Es ist die bessere Organisation, welche auch
Kommission hätte nach dem Muste
in Zukunft den Abbau der Zölle herbeiführen wird.
Schnitzler beisammen. Nur der enge Kreis von Freunden
gewühlte Scholle des Alltags. Oh,
legte er ab, wie man Masken, einst zum Karnevalsscher
Doch bei dem Worte Freund stocke ich schon. Denn Richard
nur einer. Alle Strömungen, alle
vorgebunden, wegwirft, wenn der wirkliche Ernst beginnt.
Beer=Hofmann hat ja einmal gesagt: „Freunde? Wir
sprüche, alle zu erkämpfenden Ziele,
Er war lange schon berühmt, als er, kaum zwanzigjährig,
machen einander nur nicht nervös." Ich glaube, er täuschte
zu Form noch zu Gestalt in seinen
Dragonerfreiwilliger wurde. Er wurde das mit Begeisterung,
sich, sowohl mit dem Nervösmachen, wie mit seinem Zweifel
Er kannte zugleich wie kein anderer
in die sich wieder ein Quentchen Snobbismus mengte. Nie¬
an der Freundschaft. Aber, vielleicht ... vielleicht hatte er
das historisch Gewordene und Gewach
mals hat er von der Schule, niemals von den
trotzdem Recht. Eine geistige Zuneigung hat uns jedenfalls
war er mit allen großen, interessan
Universitätsstudien gesprochen. Aber so ausführlich, wie er
ulle miteinander verbunden. Von jenen Anfängen her bis
Geschichte vertraut, mit den ganzen
vorher das symbolische Rituale der Messe, die Großartigkeit
auf den heutigen Tag. Hugo v. Hofmannsthal ist der erste
Menschen, mit den tugendreichen un
der Sakramente geschildert hatte, so ausführlich erzählte er
von uns, der ins ewige Dunkel sinkt, wie er der erste war,
so nah vertraut, so heimisch in ihre
nun vom Dienst, von der Armee, vom Kameradschaftsgeist
sie Menschen unserer Tage. Wie kei¬
der zum Licht emporstieg.
des Offizierskorps. Wir waren nicht gerade militärisch ge¬
Wenn diese Zusammenkünfte für Sonntag vormittag
turen aller Zeiten und aller Länd
sinnt. Doch wie wir ein paar Jahre vorher von dem poetisch
anderer beherrschte er die großen
vereinbart wurden, erklärte er fast regelmäßig: „Aber erst
entflammten Knaben hingerissen waren, dem die magische
gangenheit und der Gegenwart. Er
gehe ich zur Mess." Noch habe ich den Klang seiner
Schönheit der katholischen Kirche wunderbar erblühte
mit Plato in griechischer Sprache,
Stimme im Ohr, mit der er das sagte. Eine helle Stimme
fühlten wir uns jetzt von dem Dichter=Jüngling bezwungen,
unterhalten, wie er in London dur¬
war es, in der ein Krähen könte und ein Trompeten, Hoch¬
der die heroische Tradition, die einigende Kraft und das
lisch verblüffte, in Paris durch sein
mut sprühte aus dieser Stimme, jener österreichische
stolze Herrentum der österreichischen Armee als ein hohes
und in Rom durch sein klassisches
Aristokratenhochmut, der sich hinter lächelnder Einfachheit
Gu: so stark empfand. Er befand sich nach seiner Geburt
regte. Er hat mit seinen ersten Dich
verbergen will und doch so deutlich bemerkbar bleibt. In
wie nach seinem Blut in einer besonderen Stellung. Hugo
Traditionen angeknüpft, denen er
dieser Stimme schwang ein elastischer, aber stählern harter
v. Hofmannsthal. Als Stämmling früh geadelter In¬
wurzelt war und verwurzelt blieb,
Wille. Er unterstrich ganz wenig, nur so viel, als nötig war
dustrieller und urwüchsig katholischer Wiener Patrizier, so
Reim und Rhythmus seiner und
um es hörbar zu machen, nur so viel, als seine eigene
stand er, gerade um die Zeit der dümmsten rassentheoreti¬
Goethe erinnert und war dennoch,
gebändigte Lust daran es verlangte, unterstrich er, daß er
sierenden Gehässigkeit, an einer haarscharfen Grenzlinie.
ganz und gar ein Eigener. Denn das
„zur Messe ging". Mit den anderen Schülern seiner Klasse
Sie bedeutete gar nichts für den, der sich zur Masse
hatte er erworben. Also besaß er es
nach der Vorschrift von damals. Er legte Wert darauf, und
kehrte, ins Breite, nach unten. Diese Position an der
wohnte mit dem Helden seiner er¬
es war ein bißchen Snobbismus dabei, daß er solchen Wer¬
gesellschaftlichen Grenzlinie wurde aber dem Mann ge¬
zu Imola in einem Schloß. Er hat
darauf legte. Er verstand es so ausgezeichnet, mitten in der
fährlich, der nach oben strebte. Gesellschaftlich nach oben. Und
gewohnt. Er war mit seinem Tor in
heißesten geistigen Gemeinschaft kühle persönliche Distanz
Hofmannsthal drängte nach oben. Er wurde nach oben
des Wienerwaldes einsamen Patri
zu halten. Es gab damals gar keine und auch später nur
getrieben, gejagt, gehetzt. Von einer leidenschaftlichen
hat zeitlos in dem Fürstenschloß sein
sehr selten, nur ganz wenige und ganz flüchtige Möglichkeit
Energie, von seinem glühenden Ehrgeiz, von dem, was wie
die kostbarsten Güter aller Zeiten
zu Gesprächen über private Dinge. Er hatte als Knabe
Snobbismus aussah.
klärlich, daß sein Schönheitsdurst,
schon, hatte nachher als junger Mann die Alliren eines
Harmonie ihn zu den Menschen zu
Längst weiß ich, daß es bei diesem herrlichen Menschen
Prinzen. Er hatte diese wahrhaft königliche Art, Gespräch
Gemächern lebten. Erklärlich, wenn
kein Snobbismus gewesen ist. Mindestens keiner in einem
und Umgang zu beherrschen, zu regulieren, bis zuletzt bei¬
wie der Schwung seiner Phantasie
niedrigen, alltäglichen Sinn. Er trat ja auch in einer Epoche
behalten. Und erweckte damit oft den Glauben, er
den Glauben trieb, das Geschick
hervor, die vom konsequenten, sozial gefärbten Naturalis
herzenskalt. Nur in Briefen wurde er warm, wurde er
von oben her zu überschauen und zu
mus beherrscht wurde. Nach einer umfänglichen Pause
herzlich. Dann, als seine Kinder und mit ihnen, wie das
während welcher armselige Epigonen ihre Röllchen spielten,
Jetzt werden seine unsterbliche
immer ist, seine Sorgen herangewachsen waren, schloß er
hatten neue, führende Männer mit allen Ueberlieferungen
wach, die keiner vergessen wird, de
hie und da sein Inneres auf.
gebrochen, um diese gründlich veränderte Gegenwart, die
wachen auf und sangen sich übe
Es kam die Zeit, da er zur Universität ging.
noch größeren Veränderungen entgegenatmete, dichterisch
Sommertag sehe ich vor mir, der da
frühen Decknamen, Loris und Theophil Morren, die den
zu gestalten. Hofmannsthal fand sich auch hier auf einer
und Ungewitter löste. Wir saßen beid
Gymnasiasten vor professionalen Strafen geschützt hatten, haarscharf gezogenen Grenzlinie. Er betrat nicht die auf¬