VII, Verschiedenes 11, 1929–1931, Seite 10

de de de der Mann die
geworden, die Söhne wuchsen im Dogma des Unglaubens auf
Bouteron mitgeteilt. Balzac zu heiraten gehörte ja Mut, er
das sie dann bei der ersten Gelegenheit verleugneten, sie kehrten
verbrachte sein Leben in einer durchaus imaginären Welt, neben baute
um, wohin? — ja das wußten sie selber nicht. Suchen hat für
der ihn, wenn er aus ihr erwachte, die Wirklichkeit durch ihr
oder vor
frische Jugend weitaus mehr Reiz als der schönste Fund. In
Blässe gespenstisch erschrecken mußte. Madame Hanska wa-
dieser Geistesluft wuchs Reinhard Johannes Sorge zunächst
Zirkusse
offenbar nicht bloß von einer unvergleichlichen opferfreudigen zum P.
auf, Richard Dehmel erkannte die Begabung des zuversichtlichen
Güte, sondern überdies auch eine noch geniale Schauspielerin,
stellt ha
Jünglings, dem er aber, selbst in den geistigen Wirrnissen
nicht als ob sie dem Geliebten vorgetäuscht hätte, was er sehen nur da¬
jener übergehenden Zeit befangen, nicht raten, geschweige denn wollte, sondern sie besaß überdies die Kraft, sich selbst immer
Bühne
helfen konnte. Sorge trug ja von Jugend auf eine schwer¬
wieder in das, was Balzac sehen wollte, durchaus zu ver¬ naturge
Last. Er war der Sohn eines wohlhabenden Berliners, dessen
wandeln. Balzac, in den schöpferischen Augenblicken von einer der Vo
Ahnen aus der Provence stammten; ein solches Erbe zu ver¬
erstaunlichen Kraft, wird, sobald der schaffende Furor ihn ver¬
stehen,
dauen kostet ausdauernde Geduld. Sorge meint, zunächst sich läßt, ein wehrloses, hilfloses, krankes Kind, er quält dann seine
in das
aus Büchern Rat und Trost holen zu können, so gerät ge¬
Umgebung. Seine Frau sagt einmal: „Ich kenne ihn seit sieb¬ orcheste
legentlich Willibrord Verkades „Unruhe zu Gott“ in seine Hand
zehn Jahren und jeder Tag zeigt mir Züge von ihm, die ich
stellten
darin meint er sein eigenes Wesen bestätigt zu finden und ver¬
nicht ahnte. Die Polen begeistern sich für ihn, sie huldiger
Zirkus
gißt dabei nur, daß der Beuroner in seiner Unruhe ja keines
ihm, schon weil er Franzose ist und weil sie Deutschland und
in. Sa¬
wegs behaglich verweilen wollte, sondern durch sie den Heimweg
Oesterreich hassen. Nach Paris heimgekehrt, hat Balzac sogleich
einige
zur Ruhe in Gott fand. Die Freunde Sorges irren auch
wieder Anfälle seines Herzleidens, er muß noch erleben, daß eingefü¬
wenn sie seine Bekehrung mit der Paul Claudels vergleichen.
sein alter Diener François irrsinnig wird. Balzac weiß, daß nicht,
Claudel bekehrte sich, achtzehn Jahre alt, als er einst „zufällig
es ans Ende geht. Viktor Hugo hat ihm den Abschiedsgruß heizung
in eine heilige Messe geriet. „In einem Augenblick war mein der Nation überbracht.
Herz berührt und ich glaubte, erzählt er selbst. Für ihn ge¬
nügte, daß er aus seiner Trägheit, seiner Selbstvergessenheit er¬
wachte, denn er hatte doch auch, als er sich seines Glaubens un¬
bewußt war, die katholische Luft Frankreichs, des „liebsten
Ein Nierenmittel aus dem Gehirn.
sind sie
Kindes der Kirche“, von Jugend auf eingesogen; eine leise Be¬
aus all
Entdeckung eines neuen Hirnhormons. — Wichtige Forschungen wie der
rührung ließ ihn sich auf sich besinnen und zu sich erwachen
an einem Berliner Krankenhaus.
Der arme Sorge aber, dem solche Hilfe fehlt, irrt immer weiter
kunden
überall anklopfend, aber weder Rainer Maria Rilke, der ihn
Seit dem berühmten „Zuckerstich" Claude Bernards
Auto
mächtig anzieht, noch der Kreis um Stephan George, in seiner
ein Stich ins Gehirn, der Erscheinungen der Zuckerkrankheit von der
hervorruft
hohen Form gesichert, noch Karl Muth und der Kreis und das
hat sich die Forschung wiederholt mit dem
von Muth begründete „Hochland“ konnten ihn helfen. Er
Phänomen beschäftigt, daß Einstiche in bestimmte Gehirnteil¬
ist es
war weder zum Denker noch zum Dichter vorbestimmt, er stark
eine explosiv eintretende Förderung der Nierentätigkeit zu¬
einmal
Folge haben.
den Heldentod fürs Vaterland am 1. August 1916. Ein Gebet
haben
das man in seiner Brieftasche fand, schließt mit den Worten:
Vor Jahren machte der Direktor der Inneren Abteilun
gewerb
„Gib mir, Vater der Gnade, wie du willst, und sei im voraus am Augustehospital in Berlin Professor Schlayer ein merk
für die
gepriesen wegen deiner Anordnungen. Gib mir die Gnade, im würdiges Experiment. Er durchschnitt an Versuchstieren alle werke
rechten Sinn zu bitten, im rechten Sinn zu empfangen, im
Nerven, welche die Nieren mit dem Rückenmark und dem Gehirn direktor
rechten Sinn auszuteilen. Wenn du willst, wird mein Leben da¬
verbinden, und führte dann jenen Stich ins Gehirn aus. Wär¬
andere
verborgene eines gerechten Mannes werden, willst du anders
die Theorie, daß bei dem Wasserstich ins Gehirn Nervenreize Bestim¬
so kannst du — nemals ich, o Herr — aus mir einen Heiligen eine Rolle spielen, richtig, dann dürfte an den also entnerten dritte,
machen. Nur um eine Gnade bitte ich: Lieber sterben, als Nieren die Reaktion nicht eintreten. Ist doch gewissermaßen die
falls a¬
sündigen! Hier bin ich, Herr!“ In der Literaturgeschichte
Telephonverbindung zwischen Gehirn und Nieren durch Durch¬ Nur de
schwankt das Bild Sorges, er wird gelegentlich in die Nähe
schneidung der Drähte gestört. Es kam aber anders. Auch in den den sei¬
Strindbergs überhoben oder gar an Handel=Mazettis entnerten Nieren trat die gewaltige Funktionssteigerung nach sind von
hoher Kunst gemessen, was ganz töricht ist: Unsere groß
dem Hirnstich ein. Sohin liegt hier keine Nervensache vor,
suchtest
Dichterin muß nicht erst suchen, sie teilt uns einen Hauch ihre
sondern ein noch unbekanntes chemisches Agens. Vorerst Ver- ebenso
eigenen Vollendung mit und wir sind geborgen.
mutung: durch den Einstich in das Gehirn wird eine Schleuse brillier
10. Januar. Der Nobelpreis für Thomas Mann er geöffnet und aus dem Gehirn sprudelt ein Saft ins Blut, der ebenso
zu den Nieren gelangt und da die eindrucksvolle Wasseraus¬
Deutschland und wir Oesterreicher freuen uns dieser Ehrung
zwische
scheidung bewirkt. Das Gehirn sondert also ein Nierenmittel ab¬
neidlos mit, aber insgeheim fragt sich unsereiner gelegentlich
Herren
Das Gehirn eine Drüse!
doch, ob denn in Schweden niemand bemerkt, daß es noch
deutun
immer, wenn auch bloß in aller Stille, sozusagen verschämt
Neuestens hat nun an der Abteilung des Professors daß die
Oesterreicher gibt. Da Hofmannsthal uns vor der Zeit erlosch
Schlayer Dr. J. Olivet den experimentellen Nachweis dafür er¬ang
wäre für den Nobelpreis jetzt Artur Schnitzler an der Reihe.
bracht. Aus sinnreichen und schlagenden Experimenten folgt die
Ihm selber kam sicherlich der Gedanke daran noch gar nicht
Tatsache, daß das Gehirn ein Medikament absondert, welches an
für sich zu werben oder auch nur sich zu melden ist ganz un¬ Wirksamkeit alle bisher bekannten harntreibenden Mittel weit
österreichisch, wir verzichten eher auf unser gutes Recht, un
in den Schatten stellt. An der ersten Gruppe der Versuchstiere theater
nur ja nicht eitel zu scheinen. Schweden aber meinen vielleicht
wurde mit dem Stich ins Gehirn eine mächtige Harnflut hervor- noch
daß Oesterreich ja längst zu Deutschland gehört. Es gibt
gerufen. In dem Blut dieser Tiere mußte also reichlich jener gesproch
Deutsche, die derselben Meinung sind. Mein neuer Roman heiß
Saft enthalten sein, den das Gehirn auf den Einstich hin ab
Umbau
„Oesterreich in Ewigkeit", so sollte man meinen, daß allein
gesondert hatte. Die Probe aufs Exempel: das Blut dieser Tiere letzten
dieser Titel schon meinen unerschütterlichen Glauben an Oester= wurde abgezapft, eingedickt und anderen völlig normalen und zum
reich offenbart, vielleicht sogar aufdringlicher, als guter Ge¬
gesunden Tieren eingespritzt. Die Wirkung der Injektion ist ver¬ Volksst
schmack erlaubt. Man denke sich nun meine Verwunderung
blüffend. Bereits in den ersten zehn Minuten steigt die Nieren
locken
wenn ich in allerhand durchaus nicht böswilligen, sondern eher
tätigkeit um das Vier= bis Zwanzigfache, manchmal sogar noch
stattun
unverdient anerkennenden Kritiken immer wieder lese, daß ich darüber.
Aussta
für einen „Anschluß Oesterreichs an Bayern werbe und auf ihn
Das Rätsel des Hirnstiches klärt sich dahin: der Stich ins sich, di
hoffe! Das österreichische Innviertel ist bayrischen Stammes
Gehirn bewirkt da eine Ausschüttung des harntreibenden Hirn¬ haben
ja dieser streckt sich über Salzburg und Oberösterreich noch fas
hormons ins Blut. Das Blut solcher Tiere ist dank seines Ge¬ Freiha,
bis in die Wachau vor. Wir Oberösterreicher sind Mostschädel
haltes an dem neuentdeckten Hirnhormon imstande, auch in Böhm
doch in der Wachau löst dann den Most allmählich der Wein
normalen Tieren eine verblüffende Steigerung der Wasser¬ Anhän
ab und mit dem Trank wechselt auch die Rasse, sie fühlt sich
ausscheidung, also der Nierenfunktion in kürzester Zeit geradezu
hier leise vom Osten angehaucht. Schon der alte Metternick
explosiv zu erzeugen. Neuestens gelang es den Berliner
freilich
sagte, daß in der Taborstraße bereits der Balkan beginnt. Mein
Forschern, dieses neue Hirnhormon nicht nur im Blut, sonder
Periph
Roman spielt in einer österreichischen Kleinstadt, die sich noch auch in den Nierenausscheidungen nachzuweisen.
das se
wehrt, entwurzelt zu werden, doch die Morgenluft des fernen
Als Quelle des neuen Hirnhormons muß das Zwischenhirn
Jahre
Ostens zuweilen in allen Gliedern spürt. Davor erschrickt die angesehen werden.
oberös¬
Fürstin meines Romans und dieser Schreck mag flüchtigen
Das Nierenmittel aus dem Gehirn dürfte für die Zukunft den
Lesern in alle Glieder fahren. Lesen ist eine Kunst, die heute eine sehr ersehnte Bereicherung des Arzneischatzes werden. Zwar
Enkel.