VII, Verschiedenes 12, Schnitzlers Tod, Seite 117

12. 12.
Schnitzler's Death Schnitzler's Death
OBS OBS
ERVER ERVER
I. österr. behördl. konzessioniertes I. österr. behördl. konzessioniertes
Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
WIEN, I., WOLLZEILE 11 WIEN, I., WOLLZEILE 11
TELEPHON R-23-0-43 TELEPHON R-23-0-43
Ausschnitt aus: Ausschnitt aus:
Vossisehe Leiting, Pe Vossisehe Leiting, Pe
vom: vom:
22. UK 22. UK
Arthur Schnitzlex Arthur Schnitzlex
Zum Tode des Dichters Zum Tode des Dichters
Lesser Urys tragisches Schicksal wiederholt sich. Aufs Lesser Urys tragisches Schicksal wiederholt sich. Aufs
neue stirbt ein Künstler an der Schwelle des siebzigsten Le¬ neue stirbt ein Künstler an der Schwelle des siebzigsten Le¬
bensjahres, im Moment, da schon die Instrumente für das bensjahres, im Moment, da schon die Instrumente für das
Festkonzert gestimmt werden. Festkonzert gestimmt werden.
Arthur Schnitzler freilich wäre den Flöten und Posaunen Arthur Schnitzler freilich wäre den Flöten und Posaunen
gewiß entwichen. Er musizierte, einer von den Leisen, lieber gewiß entwichen. Er musizierte, einer von den Leisen, lieber
für sich allein. Wer den untersetzten Mann mit dem schönen für sich allein. Wer den untersetzten Mann mit dem schönen
Musikantenkopf, die Locke immer noch über der Stirn, jemals Musikantenkopf, die Locke immer noch über der Stirn, jemals
gesehen hat, vermag ihn sich nicht als Jubilar vorzustellen gesehen hat, vermag ihn sich nicht als Jubilar vorzustellen
Seit der Freitod seiner jungen Tochter ihn ins Herz ge Seit der Freitod seiner jungen Tochter ihn ins Herz ge
troffen hat, zog der Dichter sich noch scheuer als früher vom troffen hat, zog der Dichter sich noch scheuer als früher vom
Lärm der Welt zurück. Aber wäre ihm diese Entsagung auch Lärm der Welt zurück. Aber wäre ihm diese Entsagung auch
nicht zur Natur geworden, so gilt für sein Altern sein nicht zur Natur geworden, so gilt für sein Altern sein
eigenes Wort: „Und wenn uns ein Zug von Bacchanten eigenes Wort: „Und wenn uns ein Zug von Bacchanten
begleitet, den Weg hinab gehen wir alle allein. begleitet, den Weg hinab gehen wir alle allein.
Einsamkeit der Menschen untereinander, Fremdheit vom Einsamkeit der Menschen untereinander, Fremdheit vom
Nächsten zum Nächsten, das ist die Schwermut, aus der Schnitz¬ Nächsten zum Nächsten, das ist die Schwermut, aus der Schnitz¬
lers Kunst von früh an ihre Säfte gesogen hat. Auch im An¬ lers Kunst von früh an ihre Säfte gesogen hat. Auch im An¬
fang, damals, als er, Gerhart Hauptmanns Altersgefährte, fang, damals, als er, Gerhart Hauptmanns Altersgefährte,
beim Ansturm einer neuen Generation die wienerische Heiter¬ beim Ansturm einer neuen Generation die wienerische Heiter¬
keit in Person darzustellen schien. Innerlich stand er, ein keit in Person darzustellen schien. Innerlich stand er, ein
Jünger der romanischen Formenmeister, den Propheten der Jünger der romanischen Formenmeister, den Propheten der
Formlosigkeit zwar schon zu jener Zeit meilenfern. Nur in Formlosigkeit zwar schon zu jener Zeit meilenfern. Nur in
der Ablehnung bürgerlicher Vorurteile, in der ethischen der Ablehnung bürgerlicher Vorurteile, in der ethischen
Toleranz glich er seinem Kameraden. Toleranz glich er seinem Kameraden.
Aus dem Geiste der Schwermut ist schon sein Erstling, sein Aus dem Geiste der Schwermut ist schon sein Erstling, sein
„Anatol“ geboren, der leichtsinnige Melancholiker, über den „Anatol“ geboren, der leichtsinnige Melancholiker, über den
so oft in deutschen Theatern gelächelt worden ist. Naiv und so oft in deutschen Theatern gelächelt worden ist. Naiv und
blasiert zugleich, Lebemann und Lebensklippschüler, ironisch blasiert zugleich, Lebemann und Lebensklippschüler, ironisch
und ironisiert, so erleidet er seine ruhmreichen Niederlagen und ironisiert, so erleidet er seine ruhmreichen Niederlagen
im Kampfe mit der Frau. Als diese Figur in Schnitzlers im Kampfe mit der Frau. Als diese Figur in Schnitzlers
wärmstem Schauspiel, in der „Liebelei“ wiederkehrte, ver¬ wärmstem Schauspiel, in der „Liebelei“ wiederkehrte, ver¬
flocht sich mit ihrem Geschick das Fatum jenes „süßen Wiener flocht sich mit ihrem Geschick das Fatum jenes „süßen Wiener
Mädels", dessen Ruhm später seinem Schör er so heftig auf Mädels", dessen Ruhm später seinem Schör er so heftig auf
die Nerven fiel. die Nerven fiel.

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Schon damals, als die Welt ihn noch für den übermütigen Schon damals, als die Welt ihn noch für den übermütigen
für einen Menschen getan, für einen Menschen getan,
Charmeur hielt, setzte Schnitzler, Arzt und Arztessohn, mit die Welt zu setzen. Charmeur hielt, setzte Schnitzler, Arzt und Arztessohn, mit die Welt zu setzen.
der Skepsis des Naturforschers seine Fragezeichen hinter die der Skepsis des Naturforschers seine Fragezeichen hinter die
In dieser Ethik eines sie In dieser Ethik eines sie
gewaltigen Begriffe der Ethik. „Ist es wirklich groß das gewaltigen Begriffe der Ethik. „Ist es wirklich groß das
überwachen Geistes schwan überwachen Geistes schwan
Große?", Ibsens Vers klingt aus all seinem Grübeln heraus. Große?", Ibsens Vers klingt aus all seinem Grübeln heraus.
„Es fließen ineinander Tri „Es fließen ineinander Tri
Die Lieke, was ist sie anders als das Ausstrecken der Arme Die Lieke, was ist sie anders als das Ausstrecken der Arme
Lüge. Sicherheit ist nirgen Lüge. Sicherheit ist nirgen
nach dem Unerreichbaren, nach dem Besitz eines Mitmenschen? nach dem Unerreichbaren, nach dem Besitz eines Mitmenschen?
wordenen Versen Schnitzlei wordenen Versen Schnitzlei
Im „Schleier der Beatrice“, also im Renaissance=Kostüm, Im „Schleier der Beatrice“, also im Renaissance=Kostüm,
das große Lied von der Ei das große Lied von der Ei
wird die Frage tragisch, in der Komödie vom „Zwischenspiel wird die Frage tragisch, in der Komödie vom „Zwischenspiel
„Wir wissen nichts von and „Wir wissen nichts von and
lachend beantwortet. Aber beide Male heißt die Antwort: immer. Wer es weiß, ist kl lachend beantwortet. Aber beide Male heißt die Antwort: immer. Wer es weiß, ist kl
unmöglich! Das Herz, so lehrt Schnitzler, kennt nur In¬ unmöglich! Das Herz, so lehrt Schnitzler, kennt nur In¬
Das Leben ein Spiel. Das Leben ein Spiel.
stinkte, Momente, Wünsche, kein Gesetz. Es belügt sich freilich stinkte, Momente, Wünsche, kein Gesetz. Es belügt sich freilich
Meisterkomödie vom „Grür Meisterkomödie vom „Grür
oft, und niemand hat die erotische Gefühlskomödie witziger oft, und niemand hat die erotische Gefühlskomödie witziger
der Feudalen und Verbrech der Feudalen und Verbrech
bloßgestellt als der Dichter des Einakters „Literatur“ und bloßgestellt als der Dichter des Einakters „Literatur“ und
mittelbar vor dem Sausen mittelbar vor dem Sausen
des „Reigens“, jenes viel beschrienen Reigens von Naivität, des „Reigens“, jenes viel beschrienen Reigens von Naivität,
Arthur Schnitzler nun ein Arthur Schnitzler nun ein
Blasiertheit, Eitelkeit, Pose, Gefühlslüge um das letzte Myste¬ Blasiertheit, Eitelkeit, Pose, Gefühlslüge um das letzte Myste¬
Widerspiel gelten, bequemer Widerspiel gelten, bequemer
rium der Sexualität herum. Hypochonder der Liebe, Quäler rium der Sexualität herum. Hypochonder der Liebe, Quäler
und Selbstquäler sind sie alle, Schnitzlers Erotiker, die so und Selbstquäler sind sie alle, Schnitzlers Erotiker, die so
Weil er seine Grenzen mi Weil er seine Grenzen mi
gern hinter die Schleier des Traums und der Hypnose sich deshalb lieber das Läck gern hinter die Schleier des Traums und der Hypnose sich deshalb lieber das Läck
spähen, ohne etwas anderes zu finden als ihr eigenes spähen, ohne etwas anderes zu finden als ihr eigenes
Gefällige als das Dumpfe zu Gefällige als das Dumpfe zu
Spiegelbild. Spiegelbild.
Grazie läßt seine Ethik der Grazie läßt seine Ethik der
Güte, nicht Gnade! So heiß Güte, nicht Gnade! So heiß
Auch das große Wort Ehre entgeht seinem Fragezeichen Auch das große Wort Ehre entgeht seinem Fragezeichen
Aerzte, denen er so gern da Aerzte, denen er so gern da
nicht. Der Duellant, eine Lieblingsfigur Schnitzlers, wird nicht. Der Duellant, eine Lieblingsfigur Schnitzlers, wird
Mund legt, entlastet eine1 Mund legt, entlastet eine1
im „Zwischenspiel“ mit dem Witze abgespeist: „Ich denke im „Zwischenspiel“ mit dem Witze abgespeist: „Ich denke
mit dem köstlichen Spruch: mit dem köstlichen Spruch:
immer, es handle sich um ein Duell, und nun sehe ich, du willst immer, es handle sich um ein Duell, und nun sehe ich, du willst
schuldlos sein. schuldlos sein.
ihm ans Leben!“ Der Held ist dem Narren nahe verwandt, ihm ans Leben!“ Der Held ist dem Narren nahe verwandt,
Bernard Shaws Lehre zuckt schon durch den „Ruf des Bernard Shaws Lehre zuckt schon durch den „Ruf des
Wenn einmal der große Wenn einmal der große
Lebens", durch den „Jungen Medardus", nur daß der Lebens", durch den „Jungen Medardus", nur daß der
so hat für sein Schaffen so hat für sein Schaffen
Wiener nicht so stämmig wie der Ire Götzen entthront. Er Bühnensprache beschwingt al Wiener nicht so stämmig wie der Ire Götzen entthront. Er Bühnensprache beschwingt al
zuckt lieber die Achseln und findet sich ab. zuckt lieber die Achseln und findet sich ab.
Als ich den Dichter, im vo Als ich den Dichter, im vo
Die Familie? In Schnitzlers bitterem Roman „Der Weg Die Familie? In Schnitzlers bitterem Roman „Der Weg
Engadin, sprach er mit läch¬ Engadin, sprach er mit läch¬
ins Freie“ wird zwar einmal sehnsüchtig der Traum aus¬ ins Freie“ wird zwar einmal sehnsüchtig der Traum aus¬
und die Berufung auf seine und die Berufung auf seine
gemalt, die Kette vom Urahn zum Urenkel mit beiden gemalt, die Kette vom Urahn zum Urenkel mit beiden
er als verjährt ab. Nun hat er als verjährt ab. Nun hat
Händen anzufassen. Aber Besitz der Eltern an den Kindern, Händen anzufassen. Aber Besitz der Eltern an den Kindern,
wertvollen Leben versagt. wertvollen Leben versagt.
das ist ein Straucheln auf ebenso glattem Boden, wie er das ist ein Straucheln auf ebenso glattem Boden, wie er
frischen Aufschwung in ein frischen Aufschwung in ein
den Liebenden bestimmt ist. „Sie haben uns, wir haben sie den Liebenden bestimmt ist. „Sie haben uns, wir haben sie
in den monologischen Novelle in den monologischen Novelle
nicht", sagt eine Mutter im „Weiten Land" von ihren nicht", sagt eine Mutter im „Weiten Land" von ihren
Fräulein Else. Mit diesen Fräulein Else. Mit diesen
Söhnen. Die Stimme des Blutes endlich klingt im „Ein¬ Söhnen. Die Stimme des Blutes endlich klingt im „Ein¬
Publikum hat Schnitzler sich Publikum hat Schnitzler sich
samen Weg" als eine trügerische Fanfare der Illusion. Herr neratian gestellt, deren Wese samen Weg" als eine trügerische Fanfare der Illusion. Herr neratian gestellt, deren Wese
von Sala, der gereifte Anatol, meint: Man hat sehr wenig von Sala, der gereifte Anatol, meint: Man hat sehr wenig
schied von der Welt prophezei schied von der Welt prophezei