VII, Verschiedenes 12, Schnitzlers Tod, Seite 168

2. Schnitzler's Death 2. Schnitzler's Death
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Form nach reizvolle Variationen. Wie denn überhaupt Form nach reizvolle Variationen. Wie denn überhaupt
Schnitzlers Formkunst, die seine Prosawerke auszeichnet, Schnitzlers Formkunst, die seine Prosawerke auszeichnet,
ihm auch auf dem Theater treu blieb. Es gibt kein Schau¬ ihm auch auf dem Theater treu blieb. Es gibt kein Schau¬
spiel von ihm, in dem sich nicht wirkungsvolle, dramatisch spiel von ihm, in dem sich nicht wirkungsvolle, dramatisch
höchst bewegte Szenen fänden, aus dem sich nicht Dutzende höchst bewegte Szenen fänden, aus dem sich nicht Dutzende
schöner, kluger, kostbar gerundeter, gedankentiefer Sätze schöner, kluger, kostbar gerundeter, gedankentiefer Sätze
sammeln ließen. Ihrer Idee nach aber kreisen sie fast alle sammeln ließen. Ihrer Idee nach aber kreisen sie fast alle
um den gleichen Mittelpunkt. Es scheint, daß dieser um den gleichen Mittelpunkt. Es scheint, daß dieser
Dichter gar nicht den Ehrgeiz besaß, sich an großen Pro¬ Dichter gar nicht den Ehrgeiz besaß, sich an großen Pro¬
blemen, wie sie gemeinhin den Dramatiker bewegen, zu blemen, wie sie gemeinhin den Dramatiker bewegen, zu
versuchen. Wenn man will, mag man ja den Konflikt, den versuchen. Wenn man will, mag man ja den Konflikt, den
er im „Professor Bernardi“ zwischen der seelsorglichen er im „Professor Bernardi“ zwischen der seelsorglichen
Pflicht eines Priesters und der ärztlichen Pflicht eines Pflicht eines Priesters und der ärztlichen Pflicht eines
Mediziners konstruierte, als Problem gelten lassen, doch Mediziners konstruierte, als Problem gelten lassen, doch
erscheint es mit allzu einseitiger Parteinahme gelöst. Der erscheint es mit allzu einseitiger Parteinahme gelöst. Der
größte Wurf, zu dem er ausholte, war „Der junge größte Wurf, zu dem er ausholte, war „Der junge
Medardus“, dem auch am Burgtheater der größte Erfolg Medardus“, dem auch am Burgtheater der größte Erfolg
von all den vielen, dort gespielten Schnitzlerschen Stücken von all den vielen, dort gespielten Schnitzlerschen Stücken
beschieden war. Ein Szenengefüge von erstaunlich bunter beschieden war. Ein Szenengefüge von erstaunlich bunter
und reicher Mannigfaltigkeit, zugleich ein historisches Ge¬ und reicher Mannigfaltigkeit, zugleich ein historisches Ge¬
mälde von breitem Aufriß. Das Wien von 1809, Napoleon mälde von breitem Aufriß. Das Wien von 1809, Napoleon
in Schönbrunn, Kanonendonner auf den Basteien. Hier in Schönbrunn, Kanonendonner auf den Basteien. Hier
bewährt sich auch Schnitzlers Meisterschaft in der szenischen bewährt sich auch Schnitzlers Meisterschaft in der szenischen
Führung, im dramatisch bewegten Dialog. Aber die in Führung, im dramatisch bewegten Dialog. Aber die in
diesen imposanten Rahmen hineingestellte Liebeshandlung diesen imposanten Rahmen hineingestellte Liebeshandlung
zwischen Medardus Klähr, „dieses Krieges letztem und zwischen Medardus Klähr, „dieses Krieges letztem und
seltsamsten Helden" und der Prinzessin Helene verläuft seltsamsten Helden" und der Prinzessin Helene verläuft
ganz so, wie bei Schnitzler jegliche „Liebe verläuft. ganz so, wie bei Schnitzler jegliche „Liebe verläuft.
Er war nicht der Dichter der großen Liebe, der tief¬ Er war nicht der Dichter der großen Liebe, der tief¬
aufwühlenden, echten und starken Leidenschaften. Er war aufwühlenden, echten und starken Leidenschaften. Er war
zeitlebens der Dichter der „Liebeleien". Ein Spiel nur zeitlebens der Dichter der „Liebeleien". Ein Spiel nur
schien ihm die Liebe, tändelndes Abenteuer zwischen heute schien ihm die Liebe, tändelndes Abenteuer zwischen heute
und morgen. Nicht, daß er verschwiegen hätte, mit welchen und morgen. Nicht, daß er verschwiegen hätte, mit welchen
Verzweiflungen solcher flüchtiger, hemmungsloser Rausch Verzweiflungen solcher flüchtiger, hemmungsloser Rausch
Her Sinne oft gebüßt wird. Diese Verzweiflungen treiben Her Sinne oft gebüßt wird. Diese Verzweiflungen treiben
seine unheldische elden und Heldinnen immer wieder seine unheldische elden und Heldinnen immer wieder
in den selbstgewählten Tod. Seine Mädchengestalten von in den selbstgewählten Tod. Seine Mädchengestalten von
der armen Musikantentochter Christine bis zu jener Prin¬ der armen Musikantentochter Christine bis zu jener Prin¬
gessin mögen noch so verschiedenen Gesellschaftskreisen ent¬ gessin mögen noch so verschiedenen Gesellschaftskreisen ent¬
Kommen sein, in dem Einen sind sie doch alle Schwestern: Kommen sein, in dem Einen sind sie doch alle Schwestern:
Jaß sie sich wegwerfen, leichtfertig verlieren an das Jaß sie sich wegwerfen, leichtfertig verlieren an das
lockende Abenteuer. Jede von ihnen ist das „füße Mädl", lockende Abenteuer. Jede von ihnen ist das „füße Mädl",
das Schnitzler in die Literatur eingeführt hat. das Schnitzler in die Literatur eingeführt hat.
Man hat ihn den Dichter des dekadenten Bürger¬ Man hat ihn den Dichter des dekadenten Bürger¬
tumes genannt. Nicht ganz mit Recht. Denn es ist mehr tumes genannt. Nicht ganz mit Recht. Denn es ist mehr
als fraglich, ob dieses B'rgertum der Vorkriegszeit, in als fraglich, ob dieses B'rgertum der Vorkriegszeit, in
der seine Bühnenwerke spielen, auch in der Tat so der seine Bühnenwerke spielen, auch in der Tat so
dekadent war, wie er es schilderte, ob er, seine Kenntnisse dekadent war, wie er es schilderte, ob er, seine Kenntnisse
aus einer ganz bestimmten Schichte schöpfend, nicht aus einer ganz bestimmten Schichte schöpfend, nicht
verallgemeinerte, was sich in einzelnen Fällen in dieser verallgemeinerte, was sich in einzelnen Fällen in dieser
Gesellschaftsschichte zutrug. Am krassesten schien wohl Gesellschaftsschichte zutrug. Am krassesten schien wohl
diese Verallgemeinerung, wenn sie im „Gang zum diese Verallgemeinerung, wenn sie im „Gang zum
Weiher“, seinem letzten am Burgtheater aufgeführten Weiher“, seinem letzten am Burgtheater aufgeführten
Stücke, auch von der Familie eines dem Throne nahe¬ Stücke, auch von der Familie eines dem Throne nahe¬
stehenden Freiherrn Besitz ergriff. stehenden Freiherrn Besitz ergriff.
Vielleicht ist es wirklich eine Art von Tragik, daß Vielleicht ist es wirklich eine Art von Tragik, daß
ihm die Menschen, die er zu gestalten meinte, gewisser¬ ihm die Menschen, die er zu gestalten meinte, gewisser¬
maßen unter den Händen entglitten. Denn es konnte in maßen unter den Händen entglitten. Denn es konnte in
den Jahren nach dem Kriege kaum noch zweifelhaft sein, den Jahren nach dem Kriege kaum noch zweifelhaft sein,
daß es solche, mit ihren Gefühlen und Gefühlchen wort¬ daß es solche, mit ihren Gefühlen und Gefühlchen wort¬
reich kokettierende Menschen nicht mehr gab, immer reich kokettierende Menschen nicht mehr gab, immer
seltener gab, je härter die Zeit diese Menschheit und im seltener gab, je härter die Zeit diese Menschheit und im
besonderen die Jugend anfaßte und zu ernsterer Lebens¬ besonderen die Jugend anfaßte und zu ernsterer Lebens¬
führung nötigte, die gleichzeitig eine kräftigere Lebens¬ führung nötigte, die gleichzeitig eine kräftigere Lebens¬
bejahung bedeutet. Heutige Jugend läßt sich nicht mehr bejahung bedeutet. Heutige Jugend läßt sich nicht mehr
träumerisch treiben, sie weiß, daß sie sich in einer träumerisch treiben, sie weiß, daß sie sich in einer
stürmischer gewordenen Welt zu behaupten hat. Daher stürmischer gewordenen Welt zu behaupten hat. Daher
kam es, daß, wenn in den letzten Jahren ab und zu kam es, daß, wenn in den letzten Jahren ab und zu
wieder einmal eines von den älteren Werken Schnitzlers wieder einmal eines von den älteren Werken Schnitzlers
auf einer Bühne auftauchte, die Menschen, die es vor¬ auf einer Bühne auftauchte, die Menschen, die es vor¬
führte, einen fast gespensterhaften Eindruck machten, führte, einen fast gespensterhaften Eindruck machten,
gleichsam nur ein Schattenleben führten. Sie waren in gleichsam nur ein Schattenleben führten. Sie waren in
des Wortes wörtlichstem Sinne überlebt, bei Lebzeiten des Wortes wörtlichstem Sinne überlebt, bei Lebzeiten
ihres Dichters. ihres Dichters.
Kein Zweifel: Er war die wienerischeste Stimme, die Kein Zweifel: Er war die wienerischeste Stimme, die
je auf dem deutschen Theater gehört wurde, weit je auf dem deutschen Theater gehört wurde, weit
wienerischer, als der dramatisch kräftigere, aber an den wienerischer, als der dramatisch kräftigere, aber an den
groben Konturen des Wienertums haftende Anzengruber. groben Konturen des Wienertums haftende Anzengruber.
Er hat den zartesten Zauber der Wiener Landschaft Er hat den zartesten Zauber der Wiener Landschaft
gestaltet und als mitschwingendes Element in seine gestaltet und als mitschwingendes Element in seine
Bühnendichtungen eingefügt. In vielen seiner Szenen Bühnendichtungen eingefügt. In vielen seiner Szenen
weht sanfte Melancholie, der verträumte Hauch von weht sanfte Melancholie, der verträumte Hauch von
Vergänglichkeit, der eben jetzt, zur Zeit der fallenden Vergänglichkeit, der eben jetzt, zur Zeit der fallenden
Blätter, auf den Wegen om Rande der Stadt den nach¬ Blätter, auf den Wegen om Rande der Stadt den nach¬
denklichen Wanderer empfing. „Wunderschön ist es dann denklichen Wanderer empfing. „Wunderschön ist es dann
immer, wie die Menschen, dies Schnitzlerschen Menschen immer, wie die Menschen, dies Schnitzlerschen Menschen
diesem Stimmungszauber hingegeben sind, sich ihm in diesem Stimmungszauber hingegeben sind, sich ihm in
ihren Reden und Fühlen anpassen. Solche Szenen, erfüllt ihren Reden und Fühlen anpassen. Solche Szenen, erfüllt
von wienerischer Stimmung, wurden uns an vielen von wienerischer Stimmung, wurden uns an vielen
Theaterabenden das eigentliche Erlebnis. Und dafür sei Theaterabenden das eigentliche Erlebnis. Und dafür sei
er bedankt, der nun, in den Tagen der müde fallenden er bedankt, der nun, in den Tagen der müde fallenden
B. B.
Blätter, müde hinüberging. Blätter, müde hinüberging.