VII, Verschiedenes 12, Schnitzlers Tod, Seite 167

2. Schnitzler's Death 2. Schnitzler's Death
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1. österr. behördl. konzessioniertes 1. österr. behördl. konzessioniertes
Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
WIEN, I., WOLLZEILE 11 WIEN, I., WOLLZEILE 11
TELEPHON R-23-0-43 TELEPHON R-23-0-43
naat naat
Reichspost, Reichspost,
Ausschnitt aus: Ausschnitt aus:
93 OKT. 1931 93 OKT. 1931
vom: vom:
Der Dramatiker Schnitzler. Der Dramatiker Schnitzler.
Als am 9. Oktober des Jahres 1895 auf dem von Als am 9. Oktober des Jahres 1895 auf dem von
Burckhardt geleiteten Burgtheater Arthur Schnitzlers Burckhardt geleiteten Burgtheater Arthur Schnitzlers
Schauspiel „Liebelei“ in Szene ging, da erklang auf dem Schauspiel „Liebelei“ in Szene ging, da erklang auf dem
Theater zum ersten Male jener wienerische, herbsüße, Theater zum ersten Male jener wienerische, herbsüße,
spielerisch tragische Ton, den man schon aus ein paar spielerisch tragische Ton, den man schon aus ein paar
Novellen des gleichen, damals 33jährigen Autors kannte. Novellen des gleichen, damals 33jährigen Autors kannte.
Gewiß, es war ein neuer, eigenartiger Ton und er machte Gewiß, es war ein neuer, eigenartiger Ton und er machte
aufhorchen, er fand sogleich seine Schätzer. Ein drama¬ aufhorchen, er fand sogleich seine Schätzer. Ein drama¬
tischer Vorgang, der schließlich überall in der Welt möglich tischer Vorgang, der schließlich überall in der Welt möglich
wäre, schien hier durch die Stimmung, in die er hinein¬ wäre, schien hier durch die Stimmung, in die er hinein¬
komponiert war, mit erstaunlicher Sicherheit örtlich fixiert komponiert war, mit erstaunlicher Sicherheit örtlich fixiert
und unmittelbar durch wienerisches Wesen bedingt. und unmittelbar durch wienerisches Wesen bedingt.
Wenige Jahre später führte das Burgtheater die Einakter Wenige Jahre später führte das Burgtheater die Einakter
„Paracelsus" und „Der grüne Kakadu“ auf. Damit grif „Paracelsus" und „Der grüne Kakadu“ auf. Damit grif
Schnitzler bedeutsam in die Weite der Welt und löste sich Schnitzler bedeutsam in die Weite der Welt und löste sich
von der Bindung an wienerische Gegenwart. Aber nur von der Bindung an wienerische Gegenwart. Aber nur
dieses eine Mal. Inzwischen war auch der Zyklus dieses eine Mal. Inzwischen war auch der Zyklus
„Anatol“ entstanden, der bestimmend werden sollte für „Anatol“ entstanden, der bestimmend werden sollte für
Schnitzlers weiteres Schaffen. Denn es ist schon richtig, Schnitzlers weiteres Schaffen. Denn es ist schon richtig,
was Julius Bab sagt: „Von dem leichtsinnigen Melancho¬ was Julius Bab sagt: „Von dem leichtsinnigen Melancho¬
liker Anatol, dem Manne, der zu wissend ist, um sich mit liker Anatol, dem Manne, der zu wissend ist, um sich mit
Genuß zu betrügen, und zu glaubenslos, um jenseits des Genuß zu betrügen, und zu glaubenslos, um jenseits des
Genusses etwas zu wollen, von ihm stammen im Grunde Genusses etwas zu wollen, von ihm stammen im Grunde
alle Schnitzlerschen Gestalten, alle Schnitzlerschen Stücke alle Schnitzlerschen Gestalten, alle Schnitzlerschen Stücke
ab. Im Grunde stellen sich die späteren Bühnenwerke ab. Im Grunde stellen sich die späteren Bühnenwerke
Schnitzlers — mit ganz wenigen Ausnahmen — als Schnitzlers — mit ganz wenigen Ausnahmen — als
Variationen dieser Melodie dar. Oft sehr melodische, ihrer Variationen dieser Melodie dar. Oft sehr melodische, ihrer
Form nach reizvolle Variationen. Wie denn überhaupt Form nach reizvolle Variationen. Wie denn überhaupt
Schnitzlers Formkunst, die seine Prosawerke auszeichnet, Schnitzlers Formkunst, die seine Prosawerke auszeichnet,
ihm auch auf dem Theater treu blieb. Es gibt kein Schau¬ ihm auch auf dem Theater treu blieb. Es gibt kein Schau¬
spiel von ihm, in dem sich nicht wirkungsvolle, dramatisch spiel von ihm, in dem sich nicht wirkungsvolle, dramatisch
höchst bewegte Szenen fänden, aus den sich nicht Dutzende höchst bewegte Szenen fänden, aus den sich nicht Dutzende
schöner, kluger, kostbar gerundeter, gedankentiefer Sätze schöner, kluger, kostbar gerundeter, gedankentiefer Sätze
sammeln ließen. Ihrer Idee nach aber kreisen sie fast alle sammeln ließen. Ihrer Idee nach aber kreisen sie fast alle
um den gleichen Mittelpunkt. Es scheint, daß dieser um den gleichen Mittelpunkt. Es scheint, daß dieser
Dichter gar nicht den Ehrgeiz besaß, sich an großen Pro¬ Dichter gar nicht den Ehrgeiz besaß, sich an großen Pro¬
blemen, wie sie gemeinhin den Dramatiker bewegen, zu blemen, wie sie gemeinhin den Dramatiker bewegen, zu
versuchen. Wenn man will, mag man ia den Könflikt, den versuchen. Wenn man will, mag man ia den Könflikt, den
er im „Professor Bernardi zwischen der seelsorglichen er im „Professor Bernardi zwischen der seelsorglichen
Pflicht eines Priesters und der ärztlichen Pflicht eines Pflicht eines Priesters und der ärztlichen Pflicht eines
Mediziners konstruierte, als Problem gelten lassen, doch Mediziners konstruierte, als Problem gelten lassen, doch
erscheint es mit allzu einseitiger Parteinahme gelöst. Der erscheint es mit allzu einseitiger Parteinahme gelöst. Der
größte Wurf, zu dem er ausholte, war „Der junge größte Wurf, zu dem er ausholte, war „Der junge
Medardus", dem auch am Burgtheater der größte Erfolg Medardus", dem auch am Burgtheater der größte Erfolg
von all den vielen, dort gespielten Schnitzlerschen Stücken von all den vielen, dort gespielten Schnitzlerschen Stücken
beschieden war. Ein Szenengefüge von erstaunlich bunter beschieden war. Ein Szenengefüge von erstaunlich bunter
und reicher Mannigfaltigkeit, zugleich ein historisches Ge¬ und reicher Mannigfaltigkeit, zugleich ein historisches Ge¬
mälde von breitem Aufriß. Das Wien von 1809, Napoleon mälde von breitem Aufriß. Das Wien von 1809, Napoleon
in Schönbrunn, Kanonendonner auf den Basteien. Hier in Schönbrunn, Kanonendonner auf den Basteien. Hier
bewährt sich auch Schnitzlers Meisterschaft in der szenischen bewährt sich auch Schnitzlers Meisterschaft in der szenischen
Führung, im dramatisch bewegten Dialog. Aber die in Führung, im dramatisch bewegten Dialog. Aber die in
diesen imposanten Rahmen hineingestellte Liebeshandlung diesen imposanten Rahmen hineingestellte Liebeshandlung
zwischen Medardus Klähr, „dieses Krieges letztem und zwischen Medardus Klähr, „dieses Krieges letztem und
seltsamsten Helden" und der Prinzessin Helene verläuft seltsamsten Helden" und der Prinzessin Helene verläuft
ganz so, wie bei Schnitzler jegliche „Liebe" verläuft. ganz so, wie bei Schnitzler jegliche „Liebe" verläuft.
Er war nicht der Dichter der großen Liebe, der tief¬ Er war nicht der Dichter der großen Liebe, der tief¬
aufwühlenden, echten und starken Leidenschaften. Er war aufwühlenden, echten und starken Leidenschaften. Er war
zeitlebens der Dichter der „Liebeleien". Ein Spiel nur zeitlebens der Dichter der „Liebeleien". Ein Spiel nur
schien ihm die Liebe, tändelndes Abenteuer zwischen heute schien ihm die Liebe, tändelndes Abenteuer zwischen heute
und morgen. Nicht, daß er verschwiegen hätte, mit welchen und morgen. Nicht, daß er verschwiegen hätte, mit welchen
Verzweiflungen solcher flüchtiger, hemmungsloser Rausch Verzweiflungen solcher flüchtiger, hemmungsloser Rausch
Her Sinne oft gebüßt wird. Diese Verzweiflungen treiben Her Sinne oft gebüßt wird. Diese Verzweiflungen treiben
eine unheldischen Helden und Heldinnen immer wieder eine unheldischen Helden und Heldinnen immer wieder
n den selbstgewählten Tod. Seine Mädchengestalten von n den selbstgewählten Tod. Seine Mädchengestalten von
der armen Musikantentochter Christine bis zu jener Prin¬ der armen Musikantentochter Christine bis zu jener Prin¬
zessin mögen noch so verschiedenen Gesellschaftskreisen ent¬ zessin mögen noch so verschiedenen Gesellschaftskreisen ent¬
Kommen sein, in dem Einen sind sie doch alle Schwestern: Kommen sein, in dem Einen sind sie doch alle Schwestern:
aß sie sich wegwerfen, leichtfertig verlieren an das aß sie sich wegwerfen, leichtfertig verlieren an das
Lockende Abenteuer. Jede von ihnen ist das „süße Mädl“, Lockende Abenteuer. Jede von ihnen ist das „süße Mädl“,
das Schnitzler in die Literatur eingeführt hat. das Schnitzler in die Literatur eingeführt hat.
Man hat ihn den Dichter des dekadenten Bürger¬ Man hat ihn den Dichter des dekadenten Bürger¬
tumes genannt. Nicht ganz mit Recht. Denn es ist mehr tumes genannt. Nicht ganz mit Recht. Denn es ist mehr
als fraglich, ob dieses Bürgertum der Vorkriegszeit, in als fraglich, ob dieses Bürgertum der Vorkriegszeit, in
der seine Bühnenwerke spielen, auch in der Tat der seine Bühnenwerke spielen, auch in der Tat
dekadent war, wie er es schilderte, ob er, seine Kenntnisse dekadent war, wie er es schilderte, ob er, seine Kenntnisse