VII, Verschiedenes 12, Schnitzlers Tod, Seite 272

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Aber niemand sah den Dichter, niemand er¬ Aber niemand sah den Dichter, niemand er¬
kannte Arthur Schnitzler. Ich ging mebrmals kannte Arthur Schnitzler. Ich ging mebrmals
unbemerkt hinter ihm und sah, wie fremd er unbemerkt hinter ihm und sah, wie fremd er
dieser Zeit geworden war. Niemand machte dieser Zeit geworden war. Niemand machte
seinen Begleiter auf ihn aufmerksam, nie¬ seinen Begleiter auf ihn aufmerksam, nie¬
mand grüßte ihn, niemand beachtete ihn. mand grüßte ihn, niemand beachtete ihn.
Ich weiß nicht, ob Arthur Schnitzler, der Ich weiß nicht, ob Arthur Schnitzler, der
sich immer vornehm und bescheiden zurück¬ sich immer vornehm und bescheiden zurück¬
hielt, dieses Unbekanntsein schmerzlich emp¬ hielt, dieses Unbekanntsein schmerzlich emp¬
fand. Ich aber empfand es als tiefste Undank¬ fand. Ich aber empfand es als tiefste Undank¬
barkeit und trauerte. barkeit und trauerte.
Undankbarkeit? Es gibt keine Dankbarkeit. Undankbarkeit? Es gibt keine Dankbarkeit.
Nach ihnen kam Stefan Zweig, für den das, bleibt traurig, daß der Lebensabend eines so Nach ihnen kam Stefan Zweig, für den das, bleibt traurig, daß der Lebensabend eines so
Und wer auf Dankbarkeit rechnet, hat au Und wer auf Dankbarkeit rechnet, hat au
großen und gütigen Dichters zerquält wurde großen und gütigen Dichters zerquält wurde
gleiche gilt, und Franz Werfel, der als Erster gleiche gilt, und Franz Werfel, der als Erster
Sand gebaut. Wenn es auch vielleicht in der Sand gebaut. Wenn es auch vielleicht in der
aus diesem Milien Fren machte, sich zur von dem Danebenstehenmüssen, von der immer aus diesem Milien Fren machte, sich zur von dem Danebenstehenmüssen, von der immer
Entwicklung kein Vorwärts gibt, ein Zurüch Entwicklung kein Vorwärts gibt, ein Zurüch
Revolution bekannte, a r, wie aus seinem geringer werdenden Resonanz, von der Sorge Revolution bekannte, a r, wie aus seinem geringer werdenden Resonanz, von der Sorge
um die materielle Existenz und durch persön¬ um die materielle Existenz und durch persön¬
gibt es noch viel weniger. gibt es noch viel weniger.
letzten Werk: „Die Geschwister von Neapel letzten Werk: „Die Geschwister von Neapel
Wäre Arthur Schnitzler ein Dichter Frank Wäre Arthur Schnitzler ein Dichter Frank
hervorgeht, heimgefunden hat. (In Gegensatz lichstes Leid um Tragödien im engsten Kreis hervorgeht, heimgefunden hat. (In Gegensatz lichstes Leid um Tragödien im engsten Kreis
der Familie. der Familie.
reichs, an seiner Totenbahre, an seinem Sarg reichs, an seiner Totenbahre, an seinem Sarg
etwa zu Jakob Wassermann, der ehrlich be¬ etwa zu Jakob Wassermann, der ehrlich be¬
Welch ungeheure Resignation liegt in bes Welch ungeheure Resignation liegt in bes
würde sich spontan die beste Jugend des Lan¬ würde sich spontan die beste Jugend des Lan¬
müht ist, den Geist der neuen Zeit zu er¬ müht ist, den Geist der neuen Zeit zu er¬
toten Meisters Wunsch, ein Begräbnis letzter toten Meisters Wunsch, ein Begräbnis letzter
des versammelt haben, sie würde es sich nicht des versammelt haben, sie würde es sich nicht
kämpfen und in sich aufzunehmen, der aller kämpfen und in sich aufzunehmen, der aller
dings aber auch aus ganz anderem Milieu Klasse zu erhalten. Sein Freund Hugo von dings aber auch aus ganz anderem Milieu Klasse zu erhalten. Sein Freund Hugo von
nehmen lassen, den Dichter der Liebe, der nehmen lassen, den Dichter der Liebe, der
Hofmannsthal wurde in der härenen Kutte Hofmannsthal wurde in der härenen Kutte
Sehnsucht und des Leides zur letzten Ruhe zu Sehnsucht und des Leides zur letzten Ruhe zu
stammt. stammt.
der Kapuziner beigesetzt. In dieser Geste lag der Kapuziner beigesetzt. In dieser Geste lag
tragen, auch wenn er nicht mehr Herold und tragen, auch wenn er nicht mehr Herold und
Wie begreiflich also ist es, daß Arthur Wie begreiflich also ist es, daß Arthur
Schnitzler, der Dichter des Leides, des Leides das Pathos seiner Dichtung. In Arthur Schnitz¬ Schnitzler, der Dichter des Leides, des Leides das Pathos seiner Dichtung. In Arthur Schnitz¬
Sprecher ihrer Gefühle ware. Sprecher ihrer Gefühle ware.
der Einsamkeit, selbst immer mehr verein= lers Wunsch verkörpert sich seine Bescheidenheit der Einsamkeit, selbst immer mehr verein= lers Wunsch verkörpert sich seine Bescheidenheit
Wäre Arthur Schnitzlers letztes Lebens¬ Wäre Arthur Schnitzlers letztes Lebens¬
samte und immer mehr verlassen wurde. Er und seine Güte, denn er, der Armgewordene, samte und immer mehr verlassen wurde. Er und seine Güte, denn er, der Armgewordene,
drittel nicht in das Katastrophentief von drittel nicht in das Katastrophentief von
verfügte, daß die dadurch ersparten Mehr¬ verfügte, daß die dadurch ersparten Mehr¬
wuchs aus der Konsequenz seiner Zeit in eine wuchs aus der Konsequenz seiner Zeit in eine
Krieg und Nachkrieg, von Umsturz und Revo¬ Krieg und Nachkrieg, von Umsturz und Revo¬
Zeit hinein, die rascher gekommen war, als kosten eines Prunkbegräbnisses für Spitals¬ Zeit hinein, die rascher gekommen war, als kosten eines Prunkbegräbnisses für Spitals¬
lattion in allem gefallen, er wäre wohl noch lattion in allem gefallen, er wäre wohl noch
zwecke verwendet werden, den Armsten also zwecke verwendet werden, den Armsten also
der Stunden Folge entspricht, und diese Zei der Stunden Folge entspricht, und diese Zei
der Dichter auch der neuen Generation. Aber der Dichter auch der neuen Generation. Aber
zugute kommen sollen. zugute kommen sollen.
entwuchs ihm, fremd und unberührt, so sehr entwuchs ihm, fremd und unberührt, so sehr
die Zeit schlug -in neues, ein überstürzendes die Zeit schlug -in neues, ein überstürzendes
Es ist trauvig, daß Anatol und das süße Es ist trauvig, daß Anatol und das süße
daß sie seine Tapferkeit, seinen aufrechten Mut daß sie seine Tapferkeit, seinen aufrechten Mut
Tempo ein und die Entfesselung fand noch Tempo ein und die Entfesselung fand noch
Mädel ihren Dichter nicht zu Grabe gerragen Mädel ihren Dichter nicht zu Grabe gerragen
nicht in neue Dämme; unruhig und ziellos nicht in neue Dämme; unruhig und ziellos
mitvergaß. mitvergaß.
Niemand kann daraus ein Vorwurf gemacht haben. Aber sie sind vor ihm gestorben. Niemand kann daraus ein Vorwurf gemacht haben. Aber sie sind vor ihm gestorben.
strömen die Wässer dahin, das Morgen ist so strömen die Wässer dahin, das Morgen ist so
Hanns Margulies. Hanns Margulies.
unsicher wie das Heute. unsicher wie das Heute.
werden. Niemand ist schuld daran, aber es werden. Niemand ist schuld daran, aber es

Es ist müßig zu betonen, daß das politisch Es ist müßig zu betonen, daß das politisch
und wirtschaftliche Chaos auch das kulturelle und wirtschaftliche Chaos auch das kulturelle
und künstlerische Chaos mitgeschaffen hat. und künstlerische Chaos mitgeschaffen hat.
Die Kontinuitat der Kultur ist keine gerade Die Kontinuitat der Kultur ist keine gerade
Linie, sondern ein Auf und Nieder periodi¬ Linie, sondern ein Auf und Nieder periodi¬
scher Schwankungen. Wir wissen heute besten¬ scher Schwankungen. Wir wissen heute besten¬
falls, daß wir uns einem Wellental nähern, falls, daß wir uns einem Wellental nähern,
daß wir gewaltig rasch hinabgerissen werden daß wir gewaltig rasch hinabgerissen werden
in eine Tiefe, deren Abgrund wir nicht er¬ in eine Tiefe, deren Abgrund wir nicht er¬
messen können, und daß es dann, spater, messen können, und daß es dann, spater,
wieder ein Hinauf geben wird, geben muß, wieder ein Hinauf geben wird, geben muß,
über das wir nichts aussagen, von dem wir über das wir nichts aussagen, von dem wir
uns auch gar keine Vorstellung machen kön¬ uns auch gar keine Vorstellung machen kön¬
nen. Das einzige, was uns bleibt, ist, den Zu¬ nen. Das einzige, was uns bleibt, ist, den Zu¬
stand zu konstatieren. stand zu konstatieren.
Wenn es ein Trost ist, so können wir aus Wenn es ein Trost ist, so können wir aus
der Vergangenheit lernen, daß es langgestreckte der Vergangenheit lernen, daß es langgestreckte
Kulturperioden gab, in denen, wie etwa im Kulturperioden gab, in denen, wie etwa im
alten Agypten die Baukunst, im alten alten Agypten die Baukunst, im alten
Griechenland die Bildhauerei in höchster Blüte Griechenland die Bildhauerei in höchster Blüte
stand und dem Zeitalter das Gepräge gab. stand und dem Zeitalter das Gepräge gab.
Wir kennen Zeiten der Malerei, kennen Jahr¬ Wir kennen Zeiten der Malerei, kennen Jahr¬
hunderte der Dichtkunst und können die hunderte der Dichtkunst und können die
Wiederkehr solcher Blüteperioden, die Wieder¬ Wiederkehr solcher Blüteperioden, die Wieder¬
kehr der Niedergänge feststellen. Selten oder kehr der Niedergänge feststellen. Selten oder
nie aber ihre Gründe. nie aber ihre Gründe.
Unsere Zeit aber, wann immer wir diese Unsere Zeit aber, wann immer wir diese
Periode beginnen lassen wollen, ist ausgefüllt Periode beginnen lassen wollen, ist ausgefüllt
mit Niedergang. Die Dichtkunst ist gestorben mit Niedergang. Die Dichtkunst ist gestorben
wie vor ihr schon die Musik aufgehört hat, der wie vor ihr schon die Musik aufgehört hat, der
Zeit ihren Stempel aufzudrücken. (Muß aus¬ Zeit ihren Stempel aufzudrücken. (Muß aus¬
drücklich gesagt werden, daß zwischen den ein¬ drücklich gesagt werden, daß zwischen den ein¬
zelnen Kunstperioden auch große Künstler zelnen Kunstperioden auch große Künstler
noch existent werden und wirken können?) noch existent werden und wirken können?)
Wir erleben keine Kunst, von der wir an Wir erleben keine Kunst, von der wir an
nehmen können, daß sie unser und unserer nehmen können, daß sie unser und unserer
Zeit überlebender Ausdeuck ist. Vielleicht sind Zeit überlebender Ausdeuck ist. Vielleicht sind
in der Baukunst von heute Ansätze zu finden, in der Baukunst von heute Ansätze zu finden,
aber wenn, dann auch noch nicht mehr als aber wenn, dann auch noch nicht mehr als
Ansätze. Die Dichtkunst aber ist tot, wenn auch Ansätze. Die Dichtkunst aber ist tot, wenn auch
die Literatur weiterlebt und versucht Spiegel die Literatur weiterlebt und versucht Spiegel
unserer Zeit zu sein. Je mehr sie uns aber zu¬ unserer Zeit zu sein. Je mehr sie uns aber zu¬
sagt, desto mehr kehrt sie sich von der Dichtung sagt, desto mehr kehrt sie sich von der Dichtung
ab und konkretisiert Zeitgeschehen in Kunst ab und konkretisiert Zeitgeschehen in Kunst
form. Denn nicht Erbauung, sondern form. Denn nicht Erbauung, sondern
Spannung, nicht Erfüllung, sondern Aus¬ Spannung, nicht Erfüllung, sondern Aus¬
füllung suchen wir und wird uns geboten. füllung suchen wir und wird uns geboten.
Wie ganz anders waren Atmosphäre und Wie ganz anders waren Atmosphäre und
Milieu, aus dem Artur Schnitzler kam. Er Milieu, aus dem Artur Schnitzler kam. Er
und seine Freunde, der ihm in den Tod vor¬ und seine Freunde, der ihm in den Tod vor¬
angegangene Hrgo von Hofmannsthal und angegangene Hrgo von Hofmannsthal und
Beer-Hofmann entstammten hochkultivierten, Beer-Hofmann entstammten hochkultivierten,
geistig ungemel; regsamen jübisch-wienerischen geistig ungemel; regsamen jübisch-wienerischen
Bürgerfamilien, wuchsen in einer Behaglich Bürgerfamilien, wuchsen in einer Behaglich
keit und einem geistigen Konfort auf, von keit und einem geistigen Konfort auf, von
dem unsere Jugend gar nichts mehr weiß. dem unsere Jugend gar nichts mehr weiß.