VII, Verschiedenes 12, Schnitzlers Tod, Seite 271

2. 2.
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Schnitzlers Deat Schnitzlers Deat
OBSERVER“ OBSERVER“
I. österr. behördl. konzessioniertes I. österr. behördl. konzessioniertes
Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
WIEN, I, WOLLZEILE 11 WIEN, I, WOLLZEILE 11
TELEPHON R-23-0-43 TELEPHON R-23-0-43
Ausschnitt aus: Ausschnitt aus:
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Der Tod des Dichters. Der Tod des Dichters.
Aber ein Dichter — das ist schon eine Aber ein Dichter — das ist schon eine
andere Art Mensch wie unsereiner, Borro¬ andere Art Mensch wie unsereiner, Borro¬
mäus. Wenn so einer in Pension geht, mäus. Wenn so einer in Pension geht,
kann's passieren, daß die Stelle recht lang kann's passieren, daß die Stelle recht lang
unbesetzt bleibt. unbesetzt bleibt.
(Arthur Schnitzler: „Lebendige Stun¬ (Arthur Schnitzler: „Lebendige Stun¬
en en
Manchmal, wenn man in der Mittags¬ Manchmal, wenn man in der Mittags¬
stunde über den Graben ging, konnte man stunde über den Graben ging, konnte man
Arthur Schnitzler begegnen. Sein ergrauter Arthur Schnitzler begegnen. Sein ergrauter
Spitzbart und sein breitkrempiger Hut hätten Spitzbart und sein breitkrempiger Hut hätten
allein schon die Aufmerksamkeit auf ihn lenken allein schon die Aufmerksamkeit auf ihn lenken
müssen, und wer dann näher hinschaute, müssen, und wer dann näher hinschaute,
hätte an den gütigen Augen erkennen müssen, hätte an den gütigen Augen erkennen müssen,
daß ein besonderer Mensch da vorbeigehe. daß ein besonderer Mensch da vorbeigehe.
Aber niemand sah den Dichter, niemand er¬ Aber niemand sah den Dichter, niemand er¬
kannte Arthur Schnitzler. Ich ging mebrmais kannte Arthur Schnitzler. Ich ging mebrmais
unbemerkt hinter ihm und sah, wie fremd er unbemerkt hinter ihm und sah, wie fremd er
dieser Zeit geworden war. Niemand machte dieser Zeit geworden war. Niemand machte
seinen Begleiter auf ihn aufmerksam, nie¬ seinen Begleiter auf ihn aufmerksam, nie¬
mand grüßte ihn, niemand beachtete ihn. mand grüßte ihn, niemand beachtete ihn.
Ich weiß nicht, ob Arthur Schnitzler, der Ich weiß nicht, ob Arthur Schnitzler, der
sich immer vornehm und bescheiden zurück¬ sich immer vornehm und bescheiden zurück¬
hielt, dieses Unbekanntsein schmerzlich emp¬ hielt, dieses Unbekanntsein schmerzlich emp¬
fand. Ich aber empfand es als tiefste Undank¬ fand. Ich aber empfand es als tiefste Undank¬
barkeit und trauerte. barkeit und trauerte.
Undankbarkeit? Es gibt keine Dankbarkeit Undankbarkeit? Es gibt keine Dankbarkeit
Nach ihnen kam Stefan Zweig, für den das bleibt traurig, daß der Lebensabend eines so Nach ihnen kam Stefan Zweig, für den das bleibt traurig, daß der Lebensabend eines so
Und wer auf Dankbarkeit rechnet, hat au Und wer auf Dankbarkeit rechnet, hat au
großen und gütigen Dichters zerquält wurde großen und gütigen Dichters zerquält wurde
Sand gebaut. Wenn es auch vielleicht in der gleiche gilt, und Franz Werfel, der als Erster Sand gebaut. Wenn es auch vielleicht in der gleiche gilt, und Franz Werfel, der als Erster
aus diesem Milieu Front machte, sich zur von dem Danebenstehenmüssen, von der inmer aus diesem Milieu Front machte, sich zur von dem Danebenstehenmüssen, von der inmer
Entwicklung kein Vorwärts gibt, ein Zurüdh Entwicklung kein Vorwärts gibt, ein Zurüdh
Revolution bekannte, aber, wie aus seinem geringer werdenden Resonanz, von der Sorge Revolution bekannte, aber, wie aus seinem geringer werdenden Resonanz, von der Sorge
gibt es noch viel weniger. gibt es noch viel weniger.
um die materielle Existenz und durch persön¬ um die materielle Existenz und durch persön¬
letzten Werk: „Die Geschwister von Neapel“ letzten Werk: „Die Geschwister von Neapel“
Wäre Arthur Schnitzler ein Dichter Frank Wäre Arthur Schnitzler ein Dichter Frank
hervorgeht, heimgefunden hat. (In Gegensatz lichstes Leid um Tragödien im engsten Kreis hervorgeht, heimgefunden hat. (In Gegensatz lichstes Leid um Tragödien im engsten Kreis
reichs, an seiner Totenbahre, an seinem Sarg reichs, an seiner Totenbahre, an seinem Sarg
etwa zu Jakob Wassermann, der ehrlich be¬der Familie. etwa zu Jakob Wassermann, der ehrlich be¬der Familie.
würde sich spontan die beste Jugend des Lan¬ würde sich spontan die beste Jugend des Lan¬
Welch ungeheure Resignation liegt in des Welch ungeheure Resignation liegt in des
müht ist, den Geist der neuen Zeit zu er müht ist, den Geist der neuen Zeit zu er
des versammelt haben, sie würde es sich nich des versammelt haben, sie würde es sich nich
toten Meisters Wunsch, ein Begräbnis letzter toten Meisters Wunsch, ein Begräbnis letzter
kämpfen und in sich aufzunehmen, der aller kämpfen und in sich aufzunehmen, der aller
nehmen lassen, den Dichter der Liebe, der nehmen lassen, den Dichter der Liebe, der
dings aber auch aus ganz anderem Milieu Klasse zu erhalten. Sein Freund Hugo von dings aber auch aus ganz anderem Milieu Klasse zu erhalten. Sein Freund Hugo von
Sehnsucht und des Leides zur letzten Ruhe zu Sehnsucht und des Leides zur letzten Ruhe zu
Hofmannsthal wurde in der härenen Kutte Hofmannsthal wurde in der härenen Kutte
stammt.) stammt.)
trugen, auch wenn er nicht mehr Herold und trugen, auch wenn er nicht mehr Herold und
der Kapuziner beigesetzt. In dieser Geste lag der Kapuziner beigesetzt. In dieser Geste lag
Wie begreiflich also ist es, daß Arthur Wie begreiflich also ist es, daß Arthur
Sprecher ihrer Gefühle ware. Sprecher ihrer Gefühle ware.
das Pathos seiner Dichtung. Jn Arthur Schnitz= das Pathos seiner Dichtung. Jn Arthur Schnitz=
Schnitzler, der Dichter des Leides, des Leides Schnitzler, der Dichter des Leides, des Leides
Wäre Arthir Schnitzlers letztes Lebens¬ Wäre Arthir Schnitzlers letztes Lebens¬
lers Wunsch verkörpert sich seine Bescheidenheit lers Wunsch verkörpert sich seine Bescheidenheit
der Einsamkeit, selbst immer mehr verein¬ der Einsamkeit, selbst immer mehr verein¬
drittel nicht a das Katastrophentief von drittel nicht a das Katastrophentief von
und seine Güte, denn er, der Armgewordene, und seine Güte, denn er, der Armgewordene,
samte und immer mehr verlassen wurde. Ei samte und immer mehr verlassen wurde. Ei
Krieg und Nachtrieg, von Umsturz und Revo¬ Krieg und Nachtrieg, von Umsturz und Revo¬
verfügte, daß die dadurch ersparten Mehr¬ verfügte, daß die dadurch ersparten Mehr¬
wuchs aus der Konsequenz seiner Zeit in eine wuchs aus der Konsequenz seiner Zeit in eine
lution in allem gefallen, er wäre wohl noch lution in allem gefallen, er wäre wohl noch
Zeit hinein, die rascher gekommen war, als kosten eines Prunkbegräbnisses für Spitals¬ Zeit hinein, die rascher gekommen war, als kosten eines Prunkbegräbnisses für Spitals¬
der Dichter auch der neuen Generation. Aber der Dichter auch der neuen Generation. Aber
zwecke verwendet werden, den Armsten also zwecke verwendet werden, den Armsten also
der Stunden Folge entspricht, und diese Zeit der Stunden Folge entspricht, und diese Zeit
die Zeit schlug ein neues, ein überstürzendes die Zeit schlug ein neues, ein überstürzendes
zugute komm n sollen. zugute komm n sollen.
entwuchs ihm, fremd und unberührt, so sehr entwuchs ihm, fremd und unberührt, so sehr
Tempo ein und die Entfesselung fand noch Tempo ein und die Entfesselung fand noch
Es ist traurig, daß Anatol und das süße Es ist traurig, daß Anatol und das süße
daß sie seine Tapferkent, seinen aufrechten Mut daß sie seine Tapferkent, seinen aufrechten Mut
nicht in neue Dämme; unruhig und ziellos nicht in neue Dämme; unruhig und ziellos
Mädel ihren Dichter nicht zu Grabe gervagen Mädel ihren Dichter nicht zu Grabe gervagen
mitvergaß. mitvergaß.
stromen die Wässer dahin, das Morgen ist so stromen die Wässer dahin, das Morgen ist so
haben. Aber sie sind vor ihm gestorben. haben. Aber sie sind vor ihm gestorben.
Niemand kann daraus ein Vorwurf gemacht Niemand kann daraus ein Vorwurf gemacht
unsicher wie das Heute. unsicher wie das Heute.
Hanns Margulies. Hanns Margulies.
werden. Niemand ist schuld daran, aber es werden. Niemand ist schuld daran, aber es
Es ist müßig zu betonen, daß das politische Es ist müßig zu betonen, daß das politische
und wirtschaftliche Chaos auch das kulturelle und wirtschaftliche Chaos auch das kulturelle
und künstlerische Chaos mitgeschaffen hat. und künstlerische Chaos mitgeschaffen hat.
Die Kontinuität der Kultur ist keine gerade Die Kontinuität der Kultur ist keine gerade
Linie, sondern oin Auf und Nieder periodi¬ Linie, sondern oin Auf und Nieder periodi¬
scher Schwankungen, Wir wissen heute besten¬ scher Schwankungen, Wir wissen heute besten¬