VII, Verschiedenes 12, Schnitzlers Tod, Seite 294

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Schnitzler's Death Schnitzler's Death
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mehrjähriger Praxis wandte er sich dem li=, zur Hand gehen konnte. mehrjähriger Praxis wandte er sich dem li=, zur Hand gehen konnte.
terarischen Schaffen zu, in das aber immer terarischen Schaffen zu, in das aber immer
In einem Nachruf heißt es von dem heim¬ In einem Nachruf heißt es von dem heim¬
und immer wieder das Erleben des Arztes und immer wieder das Erleben des Arztes
gegangenen Dichter: „Er war ein feiner, ein gegangenen Dichter: „Er war ein feiner, ein
tiefgründig hineinspielte. Mit einem Einakter¬ tiefgründig hineinspielte. Mit einem Einakter¬
grundgütiger Mensch, ein treuer Freund seiner grundgütiger Mensch, ein treuer Freund seiner
zyklus „Anatol", der eine kleine Welt aus der zyklus „Anatol", der eine kleine Welt aus der
Freunde, frei von jedem Eigendünkel und jeder Freunde, frei von jedem Eigendünkel und jeder
Lebemannsschau gesehen, umzirkelt, faßte Lebemannsschau gesehen, umzirkelt, faßte
Selbstüberschätzung. Er war von einer mimo¬ Selbstüberschätzung. Er war von einer mimo¬
Schnitzler rasch Fuß auf den deutschen Bühnen. Schnitzler rasch Fuß auf den deutschen Bühnen.
senhaften Scheu, abhold dem Lärm des offenen senhaften Scheu, abhold dem Lärm des offenen
Dann aber wandte er sich ernsteren Problemen Dann aber wandte er sich ernsteren Problemen
Marktes. Aber er lebte die großen Ereignisse Marktes. Aber er lebte die großen Ereignisse
zu. Weitere dramatische Werke folgten: zu. Weitere dramatische Werke folgten:
der Zeit, in die er hineingeboren war, mit. der Zeit, in die er hineingeboren war, mit.
„Liebelei", „Paracelsus", „Der grüne Ka- „Liebelei", „Paracelsus", „Der grüne Ka-
Seine Teilnahme an dem Los der Enterbten Seine Teilnahme an dem Los der Enterbten
kadu", „Der junge Medardus", „Professor kadu", „Der junge Medardus", „Professor
war alles eher denn gemacht oder oberflächlich war alles eher denn gemacht oder oberflächlich
Bernhardi“, „Freiwild", „Vermächtnis", „Der Bernhardi“, „Freiwild", „Vermächtnis", „Der
angeschminkt. Er, der sonst ein Meister der angeschminkt. Er, der sonst ein Meister der
einsame Weg", „Die letzten Masken“, „Rei¬ einsame Weg", „Die letzten Masken“, „Rei¬
Selbstzucht gewesen ist, konnte entgegen seiner Selbstzucht gewesen ist, konnte entgegen seiner
gen“, um nur die bekanntesten zu nennen. Wir gen“, um nur die bekanntesten zu nennen. Wir
sonstigen Art in glühender Leidenschaft auf¬ sonstigen Art in glühender Leidenschaft auf¬
besitzen einen einzigen großen Roman von besitzen einen einzigen großen Roman von
brausen, wenn er von Unrecht und schnöder brausen, wenn er von Unrecht und schnöder
Arthur Schnitzler, eine Synthese des geistigen Arthur Schnitzler, eine Synthese des geistigen
Gewalt erfuhr. Mit seiner ganzen Herzens¬ Gewalt erfuhr. Mit seiner ganzen Herzens¬
und gesellschaftlichen Wiener Lebens vor 30 und gesellschaftlichen Wiener Lebens vor 30
wärme und Liebesbedürftigkeit hing er an sei¬ wärme und Liebesbedürftigkeit hing er an sei¬
Jahren. Novellen hat er eine ganze Reihe ge¬ Jahren. Novellen hat er eine ganze Reihe ge¬
nen Kindern, an seinem Sohn, der zu den stärk¬ nen Kindern, an seinem Sohn, der zu den stärk¬
schrieben, die wahre Kleinodien einer gepfleg¬ schrieben, die wahre Kleinodien einer gepfleg¬
sten Hoffnungen der deutschen Regiekunst zählt, sten Hoffnungen der deutschen Regiekunst zählt,
ten Erzählerkunst sind. Die zuletzt aufgeführ¬ ten Erzählerkunst sind. Die zuletzt aufgeführ¬
und an seiner Tochter, deren plötzliches Ster¬ und an seiner Tochter, deren plötzliches Ster¬
ten Werke „Spiel der Sommerlüfte“ und ten Werke „Spiel der Sommerlüfte“ und
ben ihn über Nacht um Jahrzehnte altern ben ihn über Nacht um Jahrzehnte altern
„Gang zum Weiher" gaben dem rastlos arbei¬ „Gang zum Weiher" gaben dem rastlos arbei¬
ließ. ließ.
tenden Dichter Gelegenheit, neue Probleme zu tenden Dichter Gelegenheit, neue Probleme zu
Ein edler Repräsentant Österreichs ist mit Ein edler Repräsentant Österreichs ist mit
behandeln. Als Sohn eines Burgtheaterarztes behandeln. Als Sohn eines Burgtheaterarztes
Arthur Schnitzler ins Grab gesunken, eine Dich¬ Arthur Schnitzler ins Grab gesunken, eine Dich¬
hatte Schnitzler schon früh Einblick in das Büh¬ hatte Schnitzler schon früh Einblick in das Büh¬
terseele, die im Kampf ums Recht und gegen terseele, die im Kampf ums Recht und gegen
nengeschehen bekommen und zeitlebens blieb er nengeschehen bekommen und zeitlebens blieb er
die Heuchelei erglühen konnte, wie wenige die Heuchelei erglühen konnte, wie wenige
dem Theater mit seltenem Verständnis ver¬ dem Theater mit seltenem Verständnis ver¬
neben ihm. Ein Aufrührer war der Verstor¬ neben ihm. Ein Aufrührer war der Verstor¬
bunden, sodaß er den Darstellern seiner Werke bunden, sodaß er den Darstellern seiner Werke
bene nicht. Seine messerscharfe Erkenntnis bene nicht. Seine messerscharfe Erkenntnis
oft mit wertvollsten psychologischen Aufschlüssen oft mit wertvollsten psychologischen Aufschlüssen
alles Seienden vermochte in die Tiefe eines je¬ alles Seienden vermochte in die Tiefe eines je¬
den Übels zu dringen. Die Phrase aber blieb den Übels zu dringen. Die Phrase aber blieb
ihm im Innersten verhaßt und so war es ihm ihm im Innersten verhaßt und so war es ihm
denn versagt für soziale und politische Mi߬ denn versagt für soziale und politische Mi߬
stände Allheilmittel anzupreisen. Weil er als stände Allheilmittel anzupreisen. Weil er als
ein ernst und aufrichtiger Suchender vom Be¬ ein ernst und aufrichtiger Suchender vom Be¬
cher des Lebens trank, blieb ihm nach jedem cher des Lebens trank, blieb ihm nach jedem
tiefen Zug der bittere Wermutgeschmack auf tiefen Zug der bittere Wermutgeschmack auf
den Lippen. Diese herbe Erkenntnis ließ ihn den Lippen. Diese herbe Erkenntnis ließ ihn
die Worte prägen: „Was uns daheim auf Er¬ die Worte prägen: „Was uns daheim auf Er¬
den fühlen läßt, ist allerlei Betrug, der uns den fühlen läßt, ist allerlei Betrug, der uns
umgibt. Wer Wahrheit sucht, ist fremd und umgibt. Wer Wahrheit sucht, ist fremd und
bleibt allein. bleibt allein.
Mit dem Geständnis seines „Paracelsus" sei Mit dem Geständnis seines „Paracelsus" sei
dem toten Dichter ein letztes Lebewohl zuge¬ dem toten Dichter ein letztes Lebewohl zuge¬
rufen: rufen:
„Es fließen ineinander Traum und Wachen, „Es fließen ineinander Traum und Wachen,
Wahrheit und Lüge. Sicherheit ist nirgends. Wahrheit und Lüge. Sicherheit ist nirgends.
Wir wissen nichts von andern, nichts von uns; Wir wissen nichts von andern, nichts von uns;
Wir spielen immer; wer es weiß ist klug. Wir spielen immer; wer es weiß ist klug.