VII, Verschiedenes 12, Schnitzlers Tod, Seite 341

Schnitzler's Death Schnitzler's Death
OBSERVER OBSERVER
I. österr. behördl. konzessioniertes I. österr. behördl. konzessioniertes
Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
WIEN, I., WOLLZEILE 11 WIEN, I., WOLLZEILE 11
TELEPHON R-23-0-43 TELEPHON R-23-0-43
Ausschnitt aus: Ausschnitt aus:
Mödlinger Nachichten Mödlinger Nachichten
31. 0KT. 131 31. 0KT. 131
vom: vom:
Zu Arthur-Schnitzlers Tod. Zu Arthur-Schnitzlers Tod.
Nun ist er seinem Freunde Hofmannsthal Nun ist er seinem Freunde Hofmannsthal
im Tode nachgefolgt, ruhig und gelassen, wie im Tode nachgefolgt, ruhig und gelassen, wie
er gelebt, er war ja als Arzt wie als Künstler er gelebt, er war ja als Arzt wie als Künstler
mit dem Tode so vertraut. Die beiden Dichter, mit dem Tode so vertraut. Die beiden Dichter,
die um die Jahrhundertwende den Ruhm des die um die Jahrhundertwende den Ruhm des
österreichischen Schrifttums bedeutet hatten, österreichischen Schrifttums bedeutet hatten,
sind nicht mehr. Der österreichische Skeptizis¬ sind nicht mehr. Der österreichische Skeptizis¬
mus und die Müdigkeit alter Kultur waren in mus und die Müdigkeit alter Kultur waren in
ihnen, doch besaß Schnitzler viel mehr Frische ihnen, doch besaß Schnitzler viel mehr Frische
und Lebendigkeit als Hofmannsthal. Während und Lebendigkeit als Hofmannsthal. Während
dieser kraft seiner Naturanlage eine vornehme dieser kraft seiner Naturanlage eine vornehme
Einsamkeit wahrte und seine wundervollen, oft Einsamkeit wahrte und seine wundervollen, oft
pompösen Verse für Kenner und Feinschmecker pompösen Verse für Kenner und Feinschmecker
schrieb, tauchte Schnitzler gern in der Menge schrieb, tauchte Schnitzler gern in der Menge
des Wiener Volkes unter und seine ersten des Wiener Volkes unter und seine ersten
Wiener Stucke „Liebelei, „Das Vermächtnis", Wiener Stucke „Liebelei, „Das Vermächtnis",
„Freiwild“ u.a. atmen eine gemütvolle Wärme, „Freiwild“ u.a. atmen eine gemütvolle Wärme,
seine Liebe zu den frischen Kindern des Lebens, seine Liebe zu den frischen Kindern des Lebens,
die er da zeichnet, wodurch er sich sofort das die er da zeichnet, wodurch er sich sofort das
Herz der Wiener erobert hat. Das farbenreiche, Herz der Wiener erobert hat. Das farbenreiche,
vielsprachige Völkergemisch des alten Oester¬ vielsprachige Völkergemisch des alten Oester¬
reich hatte in ihm einen liebevollen Schilderer, reich hatte in ihm einen liebevollen Schilderer,
freilich auch einen scharfen Kritiker. Bekannt freilich auch einen scharfen Kritiker. Bekannt
ist ja, wie er, der Regimentsarzt u. D., wegen ist ja, wie er, der Regimentsarzt u. D., wegen
seiner allzu aufrichtigen Porträtierung des seiner allzu aufrichtigen Porträtierung des
oberflächlichen jungen österreichischen Offiziers oberflächlichen jungen österreichischen Offiziers
im „Leutnant Gustl“ seine Charge verlor und im „Leutnant Gustl“ seine Charge verlor und
nicht mit einer Wimper zuckte. Skeptizismus nicht mit einer Wimper zuckte. Skeptizismus
und Resignation hatten übrigens bei ihm einen und Resignation hatten übrigens bei ihm einen
tieferen Grund als den bloß politischen Alt¬ tieferen Grund als den bloß politischen Alt¬
österreichs. Schnitzler war durchdrungen von österreichs. Schnitzler war durchdrungen von
dem Wissen um die Vergänglichkeit alles Ir¬ dem Wissen um die Vergänglichkeit alles Ir¬
dischen, in der nichts Bestand hat, am wenig¬ dischen, in der nichts Bestand hat, am wenig¬
sten unsere eigenen Gefühle. „Nichts vorher¬ sten unsere eigenen Gefühle. „Nichts vorher¬
sagen, für sich nicht und für andere, nicht für sagen, für sich nicht und für andere, nicht für
die nächste Minute!“ ist das Leitmotiv, das die nächste Minute!“ ist das Leitmotiv, das
in seinen Schriften oft wiederkehrt. Damit in seinen Schriften oft wiederkehrt. Damit
kontrastiert ein stets durchleuchtender Glaube kontrastiert ein stets durchleuchtender Glaube
an ethische Verpflichtungen und die ausge¬ an ethische Verpflichtungen und die ausge¬
sprochene Vorliebe für ehrenwerte Charaktere, sprochene Vorliebe für ehrenwerte Charaktere,
deren Schnitzler viele gezeichnet hat. An das deren Schnitzler viele gezeichnet hat. An das
Herz der Schnitzler'schen Kunst gelangt man Herz der Schnitzler'schen Kunst gelangt man
in Meisterwerken wie „Der grüne Kakadu“, in Meisterwerken wie „Der grüne Kakadu“,
„Der einsame Weg, „Das weite Land", die „Der einsame Weg, „Das weite Land", die
von Beziehungen zu Tagesfragen ganz frei von Beziehungen zu Tagesfragen ganz frei
sind und die Vollendung seiner dramatischen sind und die Vollendung seiner dramatischen
Technik, seines von Geist und Humor sprühen¬ Technik, seines von Geist und Humor sprühen¬
den Dialogs rein zur Entfaltung bringen. Daß den Dialogs rein zur Entfaltung bringen. Daß
unsere Zeit, die in zehn Jahren Jahrhunderte unsere Zeit, die in zehn Jahren Jahrhunderte
zu durchleben scheint, ihn hinter sich gelassen zu durchleben scheint, ihn hinter sich gelassen
hat, was will das besagen? Welchem Dichter hat, was will das besagen? Welchem Dichter
seiner Generation ist es anders gegangen? seiner Generation ist es anders gegangen?
Schnitzler konnte sich damit trösten, daß unser Schnitzler konnte sich damit trösten, daß unser
neues Geschlecht schließlich auch Erscheinun¬ neues Geschlecht schließlich auch Erscheinun¬
gen wie Gerhard Hauptmann, Thomas Mann, gen wie Gerhard Hauptmann, Thomas Mann,
omai omai

box 43/13 box 43/13
VER VER
OBSEF OBSEF
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Ausschnitt aus: Ausschnitt aus:
The Continental-Ti The Continental-Ti
ien-terlin, ien-terlin,
vom: 31.10.1931 vom: 31.10.1931
Arthur Schnitzler, Arthur Schnitzler,
der Dichter des Vorkriegs-Wien der Dichter des Vorkriegs-Wien
Eine Zeit, die täglich neuen Taktik in den persönlichen Bezie¬ Eine Zeit, die täglich neuen Taktik in den persönlichen Bezie¬
Schrecken und neue Verzweiflung hungen, der Kampf gegen die ma¬ Schrecken und neue Verzweiflung hungen, der Kampf gegen die ma¬
hervorbringt, hat keinen Raum für terielle Verelendung hat einen Be¬ hervorbringt, hat keinen Raum für terielle Verelendung hat einen Be¬
den Dichter der sanften Empfin- griff geboren, der alle Konflikte den Dichter der sanften Empfin- griff geboren, der alle Konflikte
Kameradschaft. Kameradschaft.
dung und lächelnden Tragik. Arthur zunichte macht: dung und lächelnden Tragik. Arthur zunichte macht:
Schnitzler, in dessen Werk alle Ge- Das Wagnis eines „Reigen“ Schnitzler, in dessen Werk alle Ge- Das Wagnis eines „Reigen“
fühlsinnigkeit dieser Stadt einge- längst überholt. Edelste Klarheit fühlsinnigkeit dieser Stadt einge- längst überholt. Edelste Klarheit
schlossen ist, aus dessen Dichtung des Reims bleibt in dieser Welt, schlossen ist, aus dessen Dichtung des Reims bleibt in dieser Welt,
noble Abseitigkeit und Ueberlegen- die ihr poetisches Auskommen in noble Abseitigkeit und Ueberlegen- die ihr poetisches Auskommen in
sachlichen Gedichten Kästnerscher sachlichen Gedichten Kästnerscher
heit spricht, hat sich aus einem heit spricht, hat sich aus einem
Dasein geflüchtet, dessen hastiges Prägung und der Reklamepoesie Dasein geflüchtet, dessen hastiges Prägung und der Reklamepoesie
jund wirres Geschehen ihm fremd ihrer Plakate findet, ohne Wirkung. jund wirres Geschehen ihm fremd ihrer Plakate findet, ohne Wirkung.
Arthur Schnitzler, der in diesen Arthur Schnitzler, der in diesen
erscheinen mußte. Sein Werk war erscheinen mußte. Sein Werk war
mit dem Vorkriegswien unlöslich Tagen von uns gegangen ist, hat mit dem Vorkriegswien unlöslich Tagen von uns gegangen ist, hat
verbunden. Aus der Freude an Epi- sich tatsächlich schon seit langen verbunden. Aus der Freude an Epi- sich tatsächlich schon seit langen
Jahren aus der Gegenwart absen¬ Jahren aus der Gegenwart absen¬
soden, die seinen Zeitgenossen eigen soden, die seinen Zeitgenossen eigen
war und über der sie zumeist aus tiert. Sein Werk, eines der vor¬ war und über der sie zumeist aus tiert. Sein Werk, eines der vor¬
dem Schwung der Zielstrebigkeit nehmsten und innigsten Dokumente dem Schwung der Zielstrebigkeit nehmsten und innigsten Dokumente
gerieten, entstanden Schnitzlers dieses liebenswerten Vorkriegswien, gerieten, entstanden Schnitzlers dieses liebenswerten Vorkriegswien,
feinste dichterische Nuancen. Seine lebt in allen weiter, die neben feinste dichterische Nuancen. Seine lebt in allen weiter, die neben
der stündlichen Erschütterung durch der stündlichen Erschütterung durch
Probleme ergaben sich aus den Probleme ergaben sich aus den
das Erdbeben zusammenbrechender das Erdbeben zusammenbrechender
Konflikten junger Leute, die revo¬ Konflikten junger Leute, die revo¬
lutionär waren aus Mut, nicht aus Staats- und Wirtschaftssysteme lutionär waren aus Mut, nicht aus Staats- und Wirtschaftssysteme
Gleichgültigkeit. Anatol, der lä- der Gedanke an eine Zeit erfüllt, Gleichgültigkeit. Anatol, der lä- der Gedanke an eine Zeit erfüllt,
lächelnde Melancholiker, gehörte in der die Resignation noch lächelnd, lächelnde Melancholiker, gehörte in der die Resignation noch lächelnd,
jeiner Kulturperiode an, die uns und die Melancholie noch harm¬ jeiner Kulturperiode an, die uns und die Melancholie noch harm¬
heute ferner scheint als histo- lose Manier war, um die Last der heute ferner scheint als histo- lose Manier war, um die Last der
„schönen Tage“ leichter zu ertra¬ „schönen Tage“ leichter zu ertra¬
risches Geschehen. risches Geschehen.
Das Spiel dieses Lebens ist ernst gen. Das Spiel dieses Lebens ist ernst gen.
Hilde Spiel. Hilde Spiel.
geworden, es scheint keinen Sinn geworden, es scheint keinen Sinn
mehr zu haben, so krampfhaft wir mehr zu haben, so krampfhaft wir
ihn auch suchen. Die Weisheit eines ihn auch suchen. Die Weisheit eines
Parazelsus ist überholt durch einen Parazelsus ist überholt durch einen
Taumel realer und gedanklicher Taumel realer und gedanklicher
Wirrnisse, wie er nicht vorherzuse¬ Wirrnisse, wie er nicht vorherzuse¬
hen war. Die Welt des katastro- hen war. Die Welt des katastro-
phalen wirtschaftlichen Zusammen¬ phalen wirtschaftlichen Zusammen¬
bruchs mißt der subjektiven Emp¬ bruchs mißt der subjektiven Emp¬
findung, dem individuellen Schick¬ findung, dem individuellen Schick¬
sal keine Wichtigkeit mehr bei. Je¬ sal keine Wichtigkeit mehr bei. Je¬
der versucht, in der allgemeinen der versucht, in der allgemeinen
Auflösung sein kleines Maß an Auflösung sein kleines Maß an
Freude und Glück für sich zu ret Freude und Glück für sich zu ret
ten. Man erschwert sich nicht mehr ten. Man erschwert sich nicht mehr
das Leben durch nervenaufreibende das Leben durch nervenaufreibende