VII, Verschiedenes 12, Schnitzlers Tod, Seite 614

stellung oder gar bei einem Heeresbest¬ stellung oder gar bei einem Heeresbest¬
schießen. Natürlich, ein Landesvater hat's schießen. Natürlich, ein Landesvater hat's
nicht leicht, er kann sich seine Tagesein¬ nicht leicht, er kann sich seine Tagesein¬
teilung bekanntlich nicht aussuchen. Die teilung bekanntlich nicht aussuchen. Die
alte berühmte Höflichkeit der Könige ist ein alte berühmte Höflichkeit der Könige ist ein
saures Amt, zu dem noch dazu frohe und saures Amt, zu dem noch dazu frohe und
festliche Miene gemacht werden muß. Viel¬ festliche Miene gemacht werden muß. Viel¬
leicht wußte der Herr Bundespräsident leicht wußte der Herr Bundespräsident
übrigens gar nicht, daß Oesterreichs größter übrigens gar nicht, daß Oesterreichs größter
Dichter gestorben ist, ich bitt' Sie, Wichtig¬ Dichter gestorben ist, ich bitt' Sie, Wichtig¬
keit, in diesen aufgeregten Zeiten. Aber keit, in diesen aufgeregten Zeiten. Aber
schließlich gibt es sogar in der Republik schließlich gibt es sogar in der Republik
und in dieser erst recht noch Sektionschefs und in dieser erst recht noch Sektionschefs
und Präsidialisten, deren verdammte und Präsidialisten, deren verdammte
Pflicht und Schuldigkeit es ist, ihr Staats¬ Pflicht und Schuldigkeit es ist, ihr Staats¬
oberhaupt mit entsprechend devotem Nach¬ oberhaupt mit entsprechend devotem Nach¬
bruck aufmerksam zu machen. bruck aufmerksam zu machen.
Herrn Miklas hat niemand aufmerk¬ Herrn Miklas hat niemand aufmerk¬
sam gemacht. Auch seine Minister unter¬ sam gemacht. Auch seine Minister unter¬
ließen diesen lästigen Friedhofsbesuch, nur ließen diesen lästigen Friedhofsbesuch, nur
der erkrankte Bürgermeister der Stadt der erkrankte Bürgermeister der Stadt
Wien hat sich vertreten lassen und außer¬ Wien hat sich vertreten lassen und außer¬
dem nur noch der Unterrichtsminister. dem nur noch der Unterrichtsminister.
Auch dieser hielt es offenbar für taktvoller Auch dieser hielt es offenbar für taktvoller
und vermutlich auch diplomatischer, am und vermutlich auch diplomatischer, am
Grabe des Mannes, der in seinem „Pro¬ Grabe des Mannes, der in seinem „Pro¬
dem ultramontanen dem ultramontanen
fessor Bernhardi fessor Bernhardi
österreichischen Unterrichtswesen österreichischen Unterrichtswesen
satirischen Genickfang gegeben hatte, lieber satirischen Genickfang gegeben hatte, lieber
durch Abwesenheit zu glänzen. Als durch Abwesenheit zu glänzen. Als
routinierte Oesterreicher hegen wir da routinierte Oesterreicher hegen wir da
nämlich einen ganz kleinen, unschönen nämlich einen ganz kleinen, unschönen
Verdacht: es wird schon kein Zufall, keine Verdacht: es wird schon kein Zufall, keine
Vergeßlichkeit, keine Verschlampung ge¬ Vergeßlichkeit, keine Verschlampung ge¬
wesen sein. Namentlich Herr Miklas, das wesen sein. Namentlich Herr Miklas, das
muß ihm selbst der Parteigegner lassen, muß ihm selbst der Parteigegner lassen,
kann ja auch anders. Er hat am Sarge kann ja auch anders. Er hat am Sarge
seines politischen Antipoden Matthias seines politischen Antipoden Matthias
Eldersch sehr würdige, ja ergreifende Worte Eldersch sehr würdige, ja ergreifende Worte
gesprochen. Das wäre ihm nun freilich gesprochen. Das wäre ihm nun freilich
kraft Arthurs Schnitzlers eigenem Wunsch kraft Arthurs Schnitzlers eigenem Wunsch
und Willen diesmal nicht möglich gewesen, und Willen diesmal nicht möglich gewesen,
aber kein Staat der Erde, der nicht ganz aber kein Staat der Erde, der nicht ganz
vom Geiste verlassen ist, hätte es bei diesem vom Geiste verlassen ist, hätte es bei diesem
Anlaß unterlassen, wenigstens mit einer Anlaß unterlassen, wenigstens mit einer
Geste in Erscheinung zu treten. Geste in Erscheinung zu treten.
Die Republik Oesterreich meint offenbar Die Republik Oesterreich meint offenbar
nicht nötig zu haben, wozu sich sogar der nicht nötig zu haben, wozu sich sogar der
etwas entferntere preußische Unterrichts¬ etwas entferntere preußische Unterrichts¬
minister veranlaßt fühlte. Sie ließ sich am minister veranlaßt fühlte. Sie ließ sich am
Grabe des Mannes, der den Ruhm des Grabe des Mannes, der den Ruhm des
jungen Wien bis an die entferntesten Gren¬ jungen Wien bis an die entferntesten Gren¬
zen der Kulturwelt getragen hat, durch zwei zen der Kulturwelt getragen hat, durch zwei
Ministerialbeamte vertreten. Sonst durch Ministerialbeamte vertreten. Sonst durch
nichts, aber schon gar nichts. Sie hat nicht nichts, aber schon gar nichts. Sie hat nicht
kondoliert, diese Republik, die sich vor einem kondoliert, diese Republik, die sich vor einem
Akademietheater=Lustspiel fürchtet und deren Akademietheater=Lustspiel fürchtet und deren
geistige — nein, diesmal soll es nicht heißen geistige — nein, diesmal soll es nicht heißen
geistliche — Würdenträger Fersengeld ge¬ geistliche — Würdenträger Fersengeld ge¬
ben, wenn die Innsbrucker christlichen Post¬ ben, wenn die Innsbrucker christlichen Post¬
beamten ein Aergernis nehmen. Nein, es beamten ein Aergernis nehmen. Nein, es
wurde nicht kondoliert, es wurde nicht zur wurde nicht kondoliert, es wurde nicht zur
Kenntnis genommen, es wurde taktvoll Kenntnis genommen, es wurde taktvoll
mißvergnügt geschwiegen. mißvergnügt geschwiegen.
Gerade dieses Schweigen jedoch, diese Gerade dieses Schweigen jedoch, diese
einfach herausfordernde Abwesenheit, diese einfach herausfordernde Abwesenheit, diese
scheinbar unschuldige Nichtinformiertheit scheinbar unschuldige Nichtinformiertheit
ist natürlich die aufreizendste Demonstra¬ ist natürlich die aufreizendste Demonstra¬
tion, die man sich bei einer solchen noch da¬ tion, die man sich bei einer solchen noch da¬
zu höchst unpassenden Gelegenheit denken zu höchst unpassenden Gelegenheit denken
kann. Man versteht sich ja in Altösterreich kann. Man versteht sich ja in Altösterreich
sehr gut auf diese Art von Demonstrationen, sehr gut auf diese Art von Demonstrationen,
die sozusagen vernichtend lautlos und die sozusagen vernichtend lautlos und
himmelschreiend absichtslos vor sich gehen. himmelschreiend absichtslos vor sich gehen.
Erinnert man sich noch, mit welch inferna¬ Erinnert man sich noch, mit welch inferna¬
lisch wohlberechneter Ahnungslosigkeit Karl lisch wohlberechneter Ahnungslosigkeit Karl
Schönherr an seinem letzten Jubiläumstage Schönherr an seinem letzten Jubiläumstage
nicht ausgezeichnet wurde. Gibt es in Oester nicht ausgezeichnet wurde. Gibt es in Oester
reich ein noch so naives Gemüt, das nicht reich ein noch so naives Gemüt, das nicht
wüßte, warum? Vor allem wußte es Karl wüßte, warum? Vor allem wußte es Karl
dem letzten großen Dichter und Träumer dem letzten großen Dichter und Träumer
Oesterreichs, jene letzte Ehre zu erweisen, Oesterreichs, jene letzte Ehre zu erweisen,
die er unter gegebenen Umständen keinem die er unter gegebenen Umständen keinem
verweigern verweigern
braven Veteranenobmann braven Veteranenobmann
würde. Die Umstände scheinen uns, scheinen würde. Die Umstände scheinen uns, scheinen
der ganzen Kulturwelt, diesmal durchaus der ganzen Kulturwelt, diesmal durchaus
gegeben. Es gibt keine Ausrede für dieses gegeben. Es gibt keine Ausrede für dieses
Fernbleiben, keine noch so amtliche Ab¬ Fernbleiben, keine noch so amtliche Ab¬
haltung, keine noch so feierliche Dienstes¬ haltung, keine noch so feierliche Dienstes¬
Geschlechtsverkehrs bezichtigt, der einen Geschlechtsverkehrs bezichtigt, der einen
jüdischen Gelehrten zum Helden einer jüdischen Gelehrten zum Helden einer
klerikalen Verfolgung gemacht hat, an klerikalen Verfolgung gemacht hat, an
diesem Grabe durften die Dichter und diesem Grabe durften die Dichter und
Denker Oesterreichs stehen, aber nicht der Denker Oesterreichs stehen, aber nicht der
Herr Bundespräsident. Herr Bundespräsident.
Bitte, Herr Bundespräsident, werden Bitte, Herr Bundespräsident, werden
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Ludwig Ullmann Ludwig Ullmann