VII, Verschiedenes 12, Schnitzlers Tod, Seite 747

12. 12.
Sehnitzler Sehnitzler
box 44/3 box 44/3
Doat Doat
DOBSERVER DOBSERVER
I. österr. behördl. konzessioniertes I. österr. behördl. konzessioniertes
Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
WIEN, I., WOLLZEIE 11 WIEN, I., WOLLZEIE 11
TELEPHON R-23-0-43, TELEPHON R-23-0-43,
Ausschnitt aus: Ausschnitt aus:
Neues Wiener Jornal, Neues Wiener Jornal,
vom: 18.5.19.32 vom: 18.5.19.32
als Lyriker. als Lyriker.
Ein Gedenkblatt zu seinem 70. Geburtstag Ein Gedenkblatt zu seinem 70. Geburtstag
Von Von
Theobor v. Sosnosky. Theobor v. Sosnosky.
Vom Dramatiker und Erzähler Schnitzler weiß alle Welt; Vom Dramatiker und Erzähler Schnitzler weiß alle Welt;
nicht aber, daß er auch lyrische Gedichte geschrieben hat. Womit nicht aber, daß er auch lyrische Gedichte geschrieben hat. Womit
ich selbstverständlich nicht etwa „Gedichte" meine, wie sie, ich selbstverständlich nicht etwa „Gedichte" meine, wie sie,
wenigstens in früherer Zeit, nahezu jeder halbwegs gebildete wenigstens in früherer Zeit, nahezu jeder halbwegs gebildete
junge Mensch verbrochen hat, entweder verschämt und heimlich junge Mensch verbrochen hat, entweder verschämt und heimlich
oder lobdürstend und zum Schrecken seiner Umgebung. Nein, ich oder lobdürstend und zum Schrecken seiner Umgebung. Nein, ich
meine wirkliche Gedichte, keine Dilletantenverse. Daß Schnitzler meine wirkliche Gedichte, keine Dilletantenverse. Daß Schnitzler
solche geschrieben, dürfte außer seinen intimen Freunden wohl solche geschrieben, dürfte außer seinen intimen Freunden wohl
kaum jemand wissen. Daß ich, ohne Schnitzler persönlich ge¬ kaum jemand wissen. Daß ich, ohne Schnitzler persönlich ge¬
kannt zu haben, zu dieser Kenntnis kam, hatte seine besondere kannt zu haben, zu dieser Kenntnis kam, hatte seine besondere
Bewandtnis. Ich gab um die Wende des Jahrhunderts bei Cotta Bewandtnis. Ich gab um die Wende des Jahrhunderts bei Cotta
eine Anthologie heraus, „Die Lyrik des 19. Jahrhunderts", in eine Anthologie heraus, „Die Lyrik des 19. Jahrhunderts", in
der ich Dichtern aus Oesterreich um so lieber das Wort erteilte, der ich Dichtern aus Oesterreich um so lieber das Wort erteilte,
als sie in den von Reichsdeutschen herausgegebenen Anthologien als sie in den von Reichsdeutschen herausgegebenen Anthologien
meist nur stiefmütterlich behandelt oder gar nicht vertreten meist nur stiefmütterlich behandelt oder gar nicht vertreten
waren. Eine patriotische Absicht, die mir, beiläufig bemerkt, von waren. Eine patriotische Absicht, die mir, beiläufig bemerkt, von
einem reichsdeutschen Kritiker, der selber eine Anthologie einem reichsdeutschen Kritiker, der selber eine Anthologie
herausgegeben hatte und in der meinen offenbar eine un¬ herausgegeben hatte und in der meinen offenbar eine un¬
erwünschte Konkurrenz besorgte, übel vermerkt worden ist und erwünschte Konkurrenz besorgte, übel vermerkt worden ist und
mir die spöttische Bemerkung eingetragen hat, ich hätte augen¬ mir die spöttische Bemerkung eingetragen hat, ich hätte augen¬
scheinlich den Parnaß mit dem Kahlenberg verwechselt scheinlich den Parnaß mit dem Kahlenberg verwechselt
Nun war ich in den Erzählungen Schnitzlers, soweit solche Nun war ich in den Erzählungen Schnitzlers, soweit solche
damals schon erschienen waren, wiederholt auf Stellen damals schon erschienen waren, wiederholt auf Stellen
stoßen, an denen mir unter dem epischen Gestein eine lyrische stoßen, an denen mir unter dem epischen Gestein eine lyrische
Ader verborgen zu sein schien. Es reizte mich, zu erfahren, ob Ader verborgen zu sein schien. Es reizte mich, zu erfahren, ob
diese Witterung mich trog oder nicht, und ich fragte bei ihm diese Witterung mich trog oder nicht, und ich fragte bei ihm
brieflich an, ob er mir für die geplante Anthologie nicht einige brieflich an, ob er mir für die geplante Anthologie nicht einige
Gedichte zur erfügung stellen wolle, denn ich hätte ihr, im Gedichte zur erfügung stellen wolle, denn ich hätte ihr, im
Verdacht, ein heimlicher Lyriker zu sein. Ich erhielt daraufhin Verdacht, ein heimlicher Lyriker zu sein. Ich erhielt daraufhin
folgende Antwort: folgende Antwort:
Sehr geehrter Herr v. Sosnosky! In einigen Tagen Sehr geehrter Herr v. Sosnosky! In einigen Tagen
werde ich Ihnen ein paar Gedichte in Abscyrift senden (so daß werde ich Ihnen ein paar Gedichte in Abscyrift senden (so daß
Sie sie nicht kopieren zu lassen brauchen). Ich habe kaum ein Sie sie nicht kopieren zu lassen brauchen). Ich habe kaum ein
Dutzend geschrieben, die angehen. Was Sie an Lyrik an mir Dutzend geschrieben, die angehen. Was Sie an Lyrik an mir
finden, hat sich in meine Erzählungen und Stücke hinein¬ finden, hat sich in meine Erzählungen und Stücke hinein¬
geschlichen — was nicht ner von Nortell war. geschlichen — was nicht ner von Nortell war.
Mit verkindlichen Mit verkindlichen
hochachtungsvoll hochachtungsvoll
Dr. Artur Schnitzler. Dr. Artur Schnitzler.
30. 12. 99. 30. 12. 99.
Wenige Tage später erhielt ich auch richtig die in Aus¬ Wenige Tage später erhielt ich auch richtig die in Aus¬
sicht gestellten Gedichte, fünf an der Zahl, von denen ich dann sicht gestellten Gedichte, fünf an der Zahl, von denen ich dann
drei für die Anthologie behielt. In seinem Begleitschreiben drei für die Anthologie behielt. In seinem Begleitschreiben
sprach er, wiewohl er, nach dem ersten Briefe zu schließen, sprach er, wiewohl er, nach dem ersten Briefe zu schließen,
von seiner lyrischen Begabung nicht viel zu halten schien, doch von seiner lyrischen Begabung nicht viel zu halten schien, doch
sein Bedauern darüber aus, daß er nicht mehr Gedichte ge¬ sein Bedauern darüber aus, daß er nicht mehr Gedichte ge¬
schrieben habe, die ihm selber gefielen. Die drei in meiner schrieben habe, die ihm selber gefielen. Die drei in meiner
Sammlung veröffentlichten Gedichte Schnitzlers sind also Sammlung veröffentlichten Gedichte Schnitzlers sind also
vielleicht die einzigen lyrischen Gedichte aus seiner Feder, die vielleicht die einzigen lyrischen Gedichte aus seiner Feder, die
einem weiteren Leserkreis bekannt geworden sind. einem weiteren Leserkreis bekannt geworden sind.
Ich glaube, daß sie gerade jetzt, nach dem Ableben ihres Ich glaube, daß sie gerade jetzt, nach dem Ableben ihres
Autors, besonderes Interesse erwecken dürften. Sie sind für Autors, besonderes Interesse erwecken dürften. Sie sind für
seine von tiefer Melancholie beschattete Erotik charakteristisch; seine von tiefer Melancholie beschattete Erotik charakteristisch;