VII, Verschiedenes 12, Schnitzlers Tod, Seite 751

nicht daran denken, wieviel ich selbst durch diesen Tod ver¬ nicht daran denken, wieviel ich selbst durch diesen Tod ver¬
loren habe. loren habe.
Ich habe Arthur Schnitzler sehr gern — es klingt Ich habe Arthur Schnitzler sehr gern — es klingt
hoffentlich nicht überschwenglich, wenn ich sage: sehr lieb - hoffentlich nicht überschwenglich, wenn ich sage: sehr lieb -
gehabt. Jedes Beisammensein mit ihm hatte etwas Be¬ gehabt. Jedes Beisammensein mit ihm hatte etwas Be¬
glückendes für mich. Seine Reife und Milde, seine glückendes für mich. Seine Reife und Milde, seine
Weisheit und Güte machten ihn zu einem wunder¬ Weisheit und Güte machten ihn zu einem wunder¬
vollen Menschen. Wenn ich mir den Begriff der Liebens¬ vollen Menschen. Wenn ich mir den Begriff der Liebens¬
würdigkeit personifiziert dächte, so wäre Schnitzler seine würdigkeit personifiziert dächte, so wäre Schnitzler seine
vollkommenste Verkörperung. vollkommenste Verkörperung.
Auch zu Arthur Schnitzlers Lebenswerk Auch zu Arthur Schnitzlers Lebenswerk
und seiner Problematik habe ich seit jeher eine ganz und seiner Problematik habe ich seit jeher eine ganz
besonders persönliche und intime seelische besonders persönliche und intime seelische
Beziehung, obwohl doch dieses Gesamtwerk spezifisch Beziehung, obwohl doch dieses Gesamtwerk spezifisch
österreichischer Art ist und ich ein Norddeutscher bin. Zwischen österreichischer Art ist und ich ein Norddeutscher bin. Zwischen
Schnitzler und mir, uns beiden Menschen von verschiedener Schnitzler und mir, uns beiden Menschen von verschiedener
Stammeszugehörigkeit, bestand immer die innigste brüder¬ Stammeszugehörigkeit, bestand immer die innigste brüder¬
liche Sympathie. liche Sympathie.
Die Furcht, das Leben zu versäumen. Die Furcht, das Leben zu versäumen.
Das Problem, das mich in jungen Jahren besonders Das Problem, das mich in jungen Jahren besonders
lebhaft beschäftigt hat und auch in Schnitzlers Schaffen eine lebhaft beschäftigt hat und auch in Schnitzlers Schaffen eine
starke Rolle spielte, ist der Gegensatz zwischen starke Rolle spielte, ist der Gegensatz zwischen
Kunst und Leben. Nimmt man Schnitzlers Einakter Kunst und Leben. Nimmt man Schnitzlers Einakter
„Lebendige Stunden" und stellt meine Novelle „Lebendige Stunden" und stellt meine Novelle
„Tonio Kröger" daneben, die ich als etwa Dreißig¬ „Tonio Kröger" daneben, die ich als etwa Dreißig¬
jähriger geschrieben habe, so sieht man eine Verwandtschaft jähriger geschrieben habe, so sieht man eine Verwandtschaft
der Lebensstimmung und der Probleme. Sowohl in Schnitzlers der Lebensstimmung und der Probleme. Sowohl in Schnitzlers
wie in meinem Jugendwerk spürt man eine gewisse Schwver¬ wie in meinem Jugendwerk spürt man eine gewisse Schwver¬
mut des Künstlers, der das Gefühl hat, über dem mut des Künstlers, der das Gefühl hat, über dem
Schaffen das Leben zu versäumen. Diese Schaffen das Leben zu versäumen. Diese
Grundstimmung erfüllt die meisten Bücher Schnitzlers und Grundstimmung erfüllt die meisten Bücher Schnitzlers und
ist für ihn kennzeichnend. ist für ihn kennzeichnend.
Der Teufel, der die Dächer abdeckt. Der Teufel, der die Dächer abdeckt.
Ganz besonders liebe ich Arthur Schnitzlers Roman Ganz besonders liebe ich Arthur Schnitzlers Roman
„Therese". Dieses Meisterwerk stelle ich noch höher als „Therese". Dieses Meisterwerk stelle ich noch höher als
den „Weg ins Freie", der ja gleichfalls zu Schnitzlers edelsten den „Weg ins Freie", der ja gleichfalls zu Schnitzlers edelsten
Schöpfungen gehört. Von der Eintönigkeit, die manche Be¬ Schöpfungen gehört. Von der Eintönigkeit, die manche Be¬
urteiler an „Therese“ tadeln, habe ich niemals etwas ent¬ urteiler an „Therese“ tadeln, habe ich niemals etwas ent¬
dechen können. Das intensive Lebensgefühl der Trauer, das dechen können. Das intensive Lebensgefühl der Trauer, das
dieses Buch erfüllt, hat mich immer wieder ganz ungeheuer dieses Buch erfüllt, hat mich immer wieder ganz ungeheuer
ergriffen. Schnitzlers „Therese“ hat etwas bezwingend ergriffen. Schnitzlers „Therese“ hat etwas bezwingend
Geniales in der Komposition. Das Schicksal dieser Er¬ Geniales in der Komposition. Das Schicksal dieser Er¬
zieherin, die in einer Reihe von Bürger¬ zieherin, die in einer Reihe von Bürger¬
häusern dient, bietet dem Dichter Gelegenheit zu einem häusern dient, bietet dem Dichter Gelegenheit zu einem
Gesellschaftsgemälde von hinreißendem Farbenreichtum. Gesellschaftsgemälde von hinreißendem Farbenreichtum.
Arthur Schnitzler macht es wie der Teufel in der berühmten Arthur Schnitzler macht es wie der Teufel in der berühmten
Dichtung von Le Saye — der Teufel, der die Dichtung von Le Saye — der Teufel, der die
Dächer der Häuser abdecht und die verwirrende Dächer der Häuser abdecht und die verwirrende
Mannigfaltigkeit der Schicksale sichtbar werden läßt. Mannigfaltigkeit der Schicksale sichtbar werden läßt.
Für Arthur Schnitzlers Lebenswerk ist ein Zauber der Für Arthur Schnitzlers Lebenswerk ist ein Zauber der
Weichheit charakteristisch, der echtwienerischist: etwas Weichheit charakteristisch, der echtwienerischist: etwas
Pastellhaftes, Schimmerndes, Einschmeichelndes, Liebens¬ Pastellhaftes, Schimmerndes, Einschmeichelndes, Liebens¬
würdiges — zugleich aber auch eine Lebensstrenge, würdiges — zugleich aber auch eine Lebensstrenge,
die beinahe grausam wirkt und den Arzt üenn¬ die beinahe grausam wirkt und den Arzt üenn¬
zeichnet. Man spürt eben in Schnitzler den Arzt, dem das zeichnet. Man spürt eben in Schnitzler den Arzt, dem das
Leiden vertraut ist und der ohne falsche Empfindsamkeit den Leiden vertraut ist und der ohne falsche Empfindsamkeit den
Kranken beobachtet und behandelt. In Schnitzlers Büchern Kranken beobachtet und behandelt. In Schnitzlers Büchern
spürt man zuweilen eine unerbittliche Strenge, die fast spürt man zuweilen eine unerbittliche Strenge, die fast
wehtut und die in der Mischung und im Zusammenhang wehtut und die in der Mischung und im Zusammenhang
mit der Zartheit und Weichheit seines Wesens einen unge¬ mit der Zartheit und Weichheit seines Wesens einen unge¬
wöhnlichen dichterischen Reiz ausübt. wöhnlichen dichterischen Reiz ausübt.
Der Dichter als Führer. Der Dichter als Führer.
Es ist ein Unglück, daß Arthur Schnitzler gestorben ist, Es ist ein Unglück, daß Arthur Schnitzler gestorben ist,
denn gerade jetzt hätte die Welt ihn ge¬ denn gerade jetzt hätte die Welt ihn ge¬
braucht. Wie Hugo Hofmannsthal wurzelte auch braucht. Wie Hugo Hofmannsthal wurzelte auch
Schnitzler als Mensch und Künstler im alten Oesterreich und Schnitzler als Mensch und Künstler im alten Oesterreich und
war dessen vollendetster Ausdruck. Aber Schnitzler hatte alle war dessen vollendetster Ausdruck. Aber Schnitzler hatte alle
Voraussetzungen, um in unsere neue Welt hereinzureichen Voraussetzungen, um in unsere neue Welt hereinzureichen
und herüberzuwachsen. Schnitzler hätte unserer Gegenwart und herüberzuwachsen. Schnitzler hätte unserer Gegenwart
unendlich viel sein können: ein Berater und eine unendlich viel sein können: ein Berater und eine
Stütze in unseren geistigen Kämpfen, ein Stütze in unseren geistigen Kämpfen, ein
Führer in unseren Bemühungen um das Leben, um die Führer in unseren Bemühungen um das Leben, um die
Kunst, um die Politih, um die Gesellschaftsgestaltung. Denn Kunst, um die Politih, um die Gesellschaftsgestaltung. Denn
Arthur Schnitzler war nicht nur ein Künstler, sondern Arthur Schnitzler war nicht nur ein Künstler, sondern
auch ein weiser und mutiger Mensch — ein vorbild¬ auch ein weiser und mutiger Mensch — ein vorbild¬
liches Beispiel. Sein Wort und sein Rat wären liches Beispiel. Sein Wort und sein Rat wären
gerade jetzt der Welt nötig gewesen. In ehrfurchtsvoller gerade jetzt der Welt nötig gewesen. In ehrfurchtsvoller
Liebe und Trauer grüße ich den großen Toten. Liebe und Trauer grüße ich den großen Toten.

I. österr. behördl. konzessioniertes I. österr. behördl. konzessioniertes
Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
WIEN, I., WOLLZEILE 11 WIEN, I., WOLLZEILE 11
TELEPHON R-23-0-43 TELEPHON R-23-0-43
Ausschnitt aus : Ausschnitt aus :
BOHEMIA, PRAG BOHEMIA, PRAG
23 0KT. 1932 23 0KT. 1932
vom: vom:
In Hemortam Arthur Schnitzler In Hemortam Arthur Schnitzler
(Zum ersten Todestag am 23. Oklober 1932.) (Zum ersten Todestag am 23. Oklober 1932.)
Von Rudolf Felmayer. Von Rudolf Felmayer.
Wie er zuietzt uns einen seiner Helden zeigte, Wie er zuietzt uns einen seiner Helden zeigte,
allein am Himmelsrand des Kolosseums weilend, allein am Himmelsrand des Kolosseums weilend,
indessen aus dem ungeheuren Rund des abend¬ indessen aus dem ungeheuren Rund des abend¬
stillen Baus stillen Baus
die Nacht über der Sitze leere Stufenreihn die Nacht über der Sitze leere Stufenreihn
mit dunklem Schritt zu ihm emporstieg: mit dunklem Schritt zu ihm emporstieg:
So gleicherweise ward sein eignes Schicksal. So gleicherweise ward sein eignes Schicksal.
Das bunte Spiel dort unten war zu Ende. Das bunte Spiel dort unten war zu Ende.
Und jene Glänzend-Flüchtigen, Und jene Glänzend-Flüchtigen,
die Tänzer und die Kämpfer, die Tänzer und die Kämpfer,
die Jäger und die Reiter auf den Rennern die Jäger und die Reiter auf den Rennern
entschwanden in den dunklen Toren der Arena entschwanden in den dunklen Toren der Arena
Es drängte nach die Menge der Besucher, Es drängte nach die Menge der Besucher,
um noch des Spieles Nachglanz zu erhaschen um noch des Spieles Nachglanz zu erhaschen
Und seltsam reich erschienen ihnen Und seltsam reich erschienen ihnen
die weichen, lauen nachtgeküßten Lüfte ... die weichen, lauen nachtgeküßten Lüfte ...
Allein Allein
Er aber blieb zurück Er aber blieb zurück
Denn nicht verführte ihn dies scheinbar freie Spiel, Denn nicht verführte ihn dies scheinbar freie Spiel,
des vorbestimmte, immergleiche Handlung des vorbestimmte, immergleiche Handlung
er zutiefst durchschaute. er zutiefst durchschaute.
Und da, mit einem Male sah er: Und da, mit einem Male sah er:
Dies war der ungeheure Trichter eines Kraters, Dies war der ungeheure Trichter eines Kraters,
auf dessen wiegend-trügerischem Schlammgrund auf dessen wiegend-trügerischem Schlammgrund
der Brodem schillernd seine Blasen warf der Brodem schillernd seine Blasen warf
und den die Hänge lückenlos umringten, und den die Hänge lückenlos umringten,
in ewigen Stufen zu ihm niedersteigend. in ewigen Stufen zu ihm niedersteigend.
Dies blieb für immer und es zeigte Dies blieb für immer und es zeigte
nun in der Leere erst die ungeheure Kraft. nun in der Leere erst die ungeheure Kraft.
Dort aber, wo ein Dauerndes das Flüchtige trägt, Dort aber, wo ein Dauerndes das Flüchtige trägt,
ist es ein Tor, durch das ein Gott die Welt betritt. ist es ein Tor, durch das ein Gott die Welt betritt.
Und wie er so vom Himmelsrande der Arena schaute Und wie er so vom Himmelsrande der Arena schaute
hinab ins leere, gottbereite Rund, hinab ins leere, gottbereite Rund,
da füllte mit des Gottes Dasein sich der Bau da füllte mit des Gottes Dasein sich der Bau
und aus des Grundes Tiefe stieg der Gott empor, und aus des Grundes Tiefe stieg der Gott empor,
mit Nacht und Stille schattend rings den Stufen¬ mit Nacht und Stille schattend rings den Stufen¬
raum, raum,
und hüllte ihn mit seinem dunklen Schweigen ein. und hüllte ihn mit seinem dunklen Schweigen ein.