12. Schnitzler s Death 12. Schnitzler s Death
Grazer Tagblatt. Grazer Tagblatt.
3 NOV 3 NOV
Aus Gram über den Tod Schuitzlers hat in Gro߬ Aus Gram über den Tod Schuitzlers hat in Gro߬
Kanisza ein Fräulein Irmä Nägol, die zu dem Dichter Kanisza ein Fräulein Irmä Nägol, die zu dem Dichter
in freundschaftlichen Beziehungen stand, einen Selbst¬ in freundschaftlichen Beziehungen stand, einen Selbst¬
mordversuch durch Vergiften unternommen. Die Dame mordversuch durch Vergiften unternommen. Die Dame
konnte gerettet werden. konnte gerettet werden.
ONE ONE
Or. coper Mn Pre Peranal n Or. coper Mn Pre Peranal n
iniscences of the Viennese noveljt and iniscences of the Viennese noveljt and
playwright, Arthur Schnitzlor, i a talk playwright, Arthur Schnitzlor, i a talk
at the Roerich Museum tonight at 8 at the Roerich Museum tonight at 8
o'dock. Schitzler's last book, published o'dock. Schitzler's last book, published
ony a few days after his death, is ony a few days after his death, is
ight IntoDarknesS(Soy & ight IntoDarknesS(Soy &
LSotruster) LSotruster)
box 44/4 box 44/4
en ltng en ltng
0 0
Nr. 258. Erstes Beiblatt Nr. 258. Erstes Beiblatt
Sterbelei Sterbelei
Von Stefan Großmann Von Stefan Großmann
Am Sonntag hat sich in Budapest die Tochter Am Sonntag hat sich in Budapest die Tochter
eines hauptstädtischen Mittelschulprofessors, eines hauptstädtischen Mittelschulprofessors,
Fräulein Irma Nagel, umzubringen versucht. In Fräulein Irma Nagel, umzubringen versucht. In
einem Abschiedsbrief erklärte sie, nach Arthur einem Abschiedsbrief erklärte sie, nach Arthur
Schnitzlers Tod wolle sie nicht Schnitzlers Tod wolle sie nicht
weiterleben. Es gelang, die Selbstmord¬ weiterleben. Es gelang, die Selbstmord¬
versucherin zu retten. versucherin zu retten.
Das junge Mädchen, dem die Welt nach Das junge Mädchen, dem die Welt nach
Schnitzlers Ende keine Lust mehr machte, ist nicht Schnitzlers Ende keine Lust mehr machte, ist nicht
vom Film, nicht vom Theater, es ist ein vom Film, nicht vom Theater, es ist ein
anonymes Bürgerkind, und also nicht anzuneh¬ anonymes Bürgerkind, und also nicht anzuneh¬
men, daß hier ein Reklamebedürfnis auf einem men, daß hier ein Reklamebedürfnis auf einem
etwas ungewöhnlichen Wege durchbrechen wollte. etwas ungewöhnlichen Wege durchbrechen wollte.
Wie aber kann man sich erklären, daß ein acht¬ Wie aber kann man sich erklären, daß ein acht¬
zehnjähriges Mädel Schluß machen wollte, weil zehnjähriges Mädel Schluß machen wollte, weil
ein alter Dichter in der benachbarten Hauptstadt ein alter Dichter in der benachbarten Hauptstadt
gestorben ist? gestorben ist?
Am besten, man versucht, den merkwürdigen Am besten, man versucht, den merkwürdigen
Vorfall mit Schnitzlers Analysiermethode zu be¬ Vorfall mit Schnitzlers Analysiermethode zu be¬
greifen. Alle Schnitzlerfiguren haben Todes¬ greifen. Alle Schnitzlerfiguren haben Todes¬
launen, von der Liebelei der Christine bis zur launen, von der Liebelei der Christine bis zur
Sterbelei des Fräulein Else — immer wieder lag Sterbelei des Fräulein Else — immer wieder lag
den süßen und bitteren Mädeln die Flucht in die den süßen und bitteren Mädeln die Flucht in die
Finsternis im Blute. Schicksalsschläge erwiderten Finsternis im Blute. Schicksalsschläge erwiderten
die reifen Männer Schnitzlers mit Resignation, die reifen Männer Schnitzlers mit Resignation,
seine jungen Frauen aber spielten schnell ent¬ seine jungen Frauen aber spielten schnell ent¬
schlossen Schicksal über sich selbst. Wenn die schlossen Schicksal über sich selbst. Wenn die
Wiener darüber nachdenken wollten, wie ein Wiener darüber nachdenken wollten, wie ein
Denkmal für Schnitzler aussehen sollte, so müßten Denkmal für Schnitzler aussehen sollte, so müßten
sie aus seinen Dichtungen zu dem plastischen Ge¬ sie aus seinen Dichtungen zu dem plastischen Ge¬
danken kommen, die Figur eines zarten, kaum danken kommen, die Figur eines zarten, kaum
gereiften, zum Tode geneigten Mädchens auf sein gereiften, zum Tode geneigten Mädchens auf sein
Grab zu stellen. Grab zu stellen.
Wie aber — ist denn der Weg vom Buch Wie aber — ist denn der Weg vom Buch
zum Leben, von der Dichtung zur Realisation zum Leben, von der Dichtung zur Realisation
so kurz? Das ungarische Mädchen, das mit so kurz? Das ungarische Mädchen, das mit
Schnitzler weggehen wollte, stammt aus dem ge¬ Schnitzler weggehen wollte, stammt aus dem ge¬
bildeten Bürgerstand, aus jener tragischen bildeten Bürgerstand, aus jener tragischen
Mittelstandsklasse, die nach dem Kriege auf¬ Mittelstandsklasse, die nach dem Kriege auf¬
gerieben und in Wien wie in Budapest fast aus¬ gerieben und in Wien wie in Budapest fast aus¬
gelöscht wurde. Schnitzler, ohne es zu wollen, gelöscht wurde. Schnitzler, ohne es zu wollen,
nur weil er es fühlte, war der Dichter dieser nur weil er es fühlte, war der Dichter dieser
sterbenden Donaukultur, seine Figuren waren sterbenden Donaukultur, seine Figuren waren
Modelle, er gab den melancholischen Männern Modelle, er gab den melancholischen Männern
das Vorbild für ihren einsamen Weg, er schrieb das Vorbild für ihren einsamen Weg, er schrieb
den jungen Mädchen des Bürgertums, die keine den jungen Mädchen des Bürgertums, die keine
Zukunft, höchstens ein bißchen Gegenwarts¬ Zukunft, höchstens ein bißchen Gegenwarts¬
schwips erlebten, den Weg in die Verklärung schwips erlebten, den Weg in die Verklärung
vor. Goethes Werther konnte sich umdrehen vor. Goethes Werther konnte sich umdrehen
und den Selbstmordkandidaten seiner Zeit zu¬ und den Selbstmordkandidaten seiner Zeit zu¬
rufen: „Sei ein Mann und folge mir nicht rufen: „Sei ein Mann und folge mir nicht
nach!“ Fräulein Elses müdes Stimmchen war nach!“ Fräulein Elses müdes Stimmchen war
zu schwach, um ihren Nachfolgerinnen irgend zu schwach, um ihren Nachfolgerinnen irgend
etwas zuzurufen. etwas zuzurufen.
Aber wegen eines fast siebzigjährigen Dich¬ Aber wegen eines fast siebzigjährigen Dich¬
ters? Das ist nun das Merkwürdigste: Schnitzler ters? Das ist nun das Merkwürdigste: Schnitzler
wurde erst in seinen Nekrologen siebzig Jahre. wurde erst in seinen Nekrologen siebzig Jahre.
In den Phantasien seiner Leser und Leserinnen In den Phantasien seiner Leser und Leserinnen
war er der ewig junge, jugendschwermütige Dich¬ war er der ewig junge, jugendschwermütige Dich¬
ter mit der blonden Stirnlocke. Solange Schnitz¬ ter mit der blonden Stirnlocke. Solange Schnitz¬
ler lebte, schien er jung. Erst der Tod hat ihn ler lebte, schien er jung. Erst der Tod hat ihn
jählings weiß gemacht. Ist das kein Selbstmord¬ jählings weiß gemacht. Ist das kein Selbstmord¬
motiv: Das plötzliche Altern eines geliebten motiv: Das plötzliche Altern eines geliebten
Menschen? Und wieviele junge Mädchen dieser Menschen? Und wieviele junge Mädchen dieser
sterbenden Donauwelt haben bloß einen Ge¬ sterbenden Donauwelt haben bloß einen Ge¬
liebten: den Dichter, den sie lesen und der in liebten: den Dichter, den sie lesen und der in
uan aadlen a uan aadlen a
Grazer Tagblatt. Grazer Tagblatt.
3 NOV 3 NOV
Aus Gram über den Tod Schuitzlers hat in Gro߬ Aus Gram über den Tod Schuitzlers hat in Gro߬
Kanisza ein Fräulein Irmä Nägol, die zu dem Dichter Kanisza ein Fräulein Irmä Nägol, die zu dem Dichter
in freundschaftlichen Beziehungen stand, einen Selbst¬ in freundschaftlichen Beziehungen stand, einen Selbst¬
mordversuch durch Vergiften unternommen. Die Dame mordversuch durch Vergiften unternommen. Die Dame
konnte gerettet werden. konnte gerettet werden.
ONE ONE
Or. coper Mn Pre Peranal n Or. coper Mn Pre Peranal n
iniscences of the Viennese noveljt and iniscences of the Viennese noveljt and
playwright, Arthur Schnitzlor, i a talk playwright, Arthur Schnitzlor, i a talk
at the Roerich Museum tonight at 8 at the Roerich Museum tonight at 8
o'dock. Schitzler's last book, published o'dock. Schitzler's last book, published
ony a few days after his death, is ony a few days after his death, is
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Nr. 258. Erstes Beiblatt Nr. 258. Erstes Beiblatt
Sterbelei Sterbelei
Von Stefan Großmann Von Stefan Großmann
Am Sonntag hat sich in Budapest die Tochter Am Sonntag hat sich in Budapest die Tochter
eines hauptstädtischen Mittelschulprofessors, eines hauptstädtischen Mittelschulprofessors,
Fräulein Irma Nagel, umzubringen versucht. In Fräulein Irma Nagel, umzubringen versucht. In
einem Abschiedsbrief erklärte sie, nach Arthur einem Abschiedsbrief erklärte sie, nach Arthur
Schnitzlers Tod wolle sie nicht Schnitzlers Tod wolle sie nicht
weiterleben. Es gelang, die Selbstmord¬ weiterleben. Es gelang, die Selbstmord¬
versucherin zu retten. versucherin zu retten.
Das junge Mädchen, dem die Welt nach Das junge Mädchen, dem die Welt nach
Schnitzlers Ende keine Lust mehr machte, ist nicht Schnitzlers Ende keine Lust mehr machte, ist nicht
vom Film, nicht vom Theater, es ist ein vom Film, nicht vom Theater, es ist ein
anonymes Bürgerkind, und also nicht anzuneh¬ anonymes Bürgerkind, und also nicht anzuneh¬
men, daß hier ein Reklamebedürfnis auf einem men, daß hier ein Reklamebedürfnis auf einem
etwas ungewöhnlichen Wege durchbrechen wollte. etwas ungewöhnlichen Wege durchbrechen wollte.
Wie aber kann man sich erklären, daß ein acht¬ Wie aber kann man sich erklären, daß ein acht¬
zehnjähriges Mädel Schluß machen wollte, weil zehnjähriges Mädel Schluß machen wollte, weil
ein alter Dichter in der benachbarten Hauptstadt ein alter Dichter in der benachbarten Hauptstadt
gestorben ist? gestorben ist?
Am besten, man versucht, den merkwürdigen Am besten, man versucht, den merkwürdigen
Vorfall mit Schnitzlers Analysiermethode zu be¬ Vorfall mit Schnitzlers Analysiermethode zu be¬
greifen. Alle Schnitzlerfiguren haben Todes¬ greifen. Alle Schnitzlerfiguren haben Todes¬
launen, von der Liebelei der Christine bis zur launen, von der Liebelei der Christine bis zur
Sterbelei des Fräulein Else — immer wieder lag Sterbelei des Fräulein Else — immer wieder lag
den süßen und bitteren Mädeln die Flucht in die den süßen und bitteren Mädeln die Flucht in die
Finsternis im Blute. Schicksalsschläge erwiderten Finsternis im Blute. Schicksalsschläge erwiderten
die reifen Männer Schnitzlers mit Resignation, die reifen Männer Schnitzlers mit Resignation,
seine jungen Frauen aber spielten schnell ent¬ seine jungen Frauen aber spielten schnell ent¬
schlossen Schicksal über sich selbst. Wenn die schlossen Schicksal über sich selbst. Wenn die
Wiener darüber nachdenken wollten, wie ein Wiener darüber nachdenken wollten, wie ein
Denkmal für Schnitzler aussehen sollte, so müßten Denkmal für Schnitzler aussehen sollte, so müßten
sie aus seinen Dichtungen zu dem plastischen Ge¬ sie aus seinen Dichtungen zu dem plastischen Ge¬
danken kommen, die Figur eines zarten, kaum danken kommen, die Figur eines zarten, kaum
gereiften, zum Tode geneigten Mädchens auf sein gereiften, zum Tode geneigten Mädchens auf sein
Grab zu stellen. Grab zu stellen.
Wie aber — ist denn der Weg vom Buch Wie aber — ist denn der Weg vom Buch
zum Leben, von der Dichtung zur Realisation zum Leben, von der Dichtung zur Realisation
so kurz? Das ungarische Mädchen, das mit so kurz? Das ungarische Mädchen, das mit
Schnitzler weggehen wollte, stammt aus dem ge¬ Schnitzler weggehen wollte, stammt aus dem ge¬
bildeten Bürgerstand, aus jener tragischen bildeten Bürgerstand, aus jener tragischen
Mittelstandsklasse, die nach dem Kriege auf¬ Mittelstandsklasse, die nach dem Kriege auf¬
gerieben und in Wien wie in Budapest fast aus¬ gerieben und in Wien wie in Budapest fast aus¬
gelöscht wurde. Schnitzler, ohne es zu wollen, gelöscht wurde. Schnitzler, ohne es zu wollen,
nur weil er es fühlte, war der Dichter dieser nur weil er es fühlte, war der Dichter dieser
sterbenden Donaukultur, seine Figuren waren sterbenden Donaukultur, seine Figuren waren
Modelle, er gab den melancholischen Männern Modelle, er gab den melancholischen Männern
das Vorbild für ihren einsamen Weg, er schrieb das Vorbild für ihren einsamen Weg, er schrieb
den jungen Mädchen des Bürgertums, die keine den jungen Mädchen des Bürgertums, die keine
Zukunft, höchstens ein bißchen Gegenwarts¬ Zukunft, höchstens ein bißchen Gegenwarts¬
schwips erlebten, den Weg in die Verklärung schwips erlebten, den Weg in die Verklärung
vor. Goethes Werther konnte sich umdrehen vor. Goethes Werther konnte sich umdrehen
und den Selbstmordkandidaten seiner Zeit zu¬ und den Selbstmordkandidaten seiner Zeit zu¬
rufen: „Sei ein Mann und folge mir nicht rufen: „Sei ein Mann und folge mir nicht
nach!“ Fräulein Elses müdes Stimmchen war nach!“ Fräulein Elses müdes Stimmchen war
zu schwach, um ihren Nachfolgerinnen irgend zu schwach, um ihren Nachfolgerinnen irgend
etwas zuzurufen. etwas zuzurufen.
Aber wegen eines fast siebzigjährigen Dich¬ Aber wegen eines fast siebzigjährigen Dich¬
ters? Das ist nun das Merkwürdigste: Schnitzler ters? Das ist nun das Merkwürdigste: Schnitzler
wurde erst in seinen Nekrologen siebzig Jahre. wurde erst in seinen Nekrologen siebzig Jahre.
In den Phantasien seiner Leser und Leserinnen In den Phantasien seiner Leser und Leserinnen
war er der ewig junge, jugendschwermütige Dich¬ war er der ewig junge, jugendschwermütige Dich¬
ter mit der blonden Stirnlocke. Solange Schnitz¬ ter mit der blonden Stirnlocke. Solange Schnitz¬
ler lebte, schien er jung. Erst der Tod hat ihn ler lebte, schien er jung. Erst der Tod hat ihn
jählings weiß gemacht. Ist das kein Selbstmord¬ jählings weiß gemacht. Ist das kein Selbstmord¬
motiv: Das plötzliche Altern eines geliebten motiv: Das plötzliche Altern eines geliebten
Menschen? Und wieviele junge Mädchen dieser Menschen? Und wieviele junge Mädchen dieser
sterbenden Donauwelt haben bloß einen Ge¬ sterbenden Donauwelt haben bloß einen Ge¬
liebten: den Dichter, den sie lesen und der in liebten: den Dichter, den sie lesen und der in
uan aadlen a uan aadlen a