VII, Verschiedenes 13, 1932–1933, Seite 22

Der „Große Cafetier erinnert sich.
Vielleicht zum Kolschitzky=Jubiläum, viel- ja, es war das Kaffeehaus des Parlaments,
leicht anläßlich seines 85. Geburtstages er= und die Gebrüder Pach hatten die Erlaubnis,
ihren Zeitungskatalog im Reichsrat auflegen
innert sich Herr Gustav Pach an die 60 Jahre,
zu lassen. Dieser Zeitungskatalog
die er nun in Wien ist, an die fast 35 Jahre,
die er hier eines der bekanntesten Prater= umfaßte die Kleinigkeit von 350 Blättern.
Sie machten eine Hauptattraktion des Café
gasthäuser, das Schweizerhaus, und das
damals berühmteste Café, das Central, Central aus, sie bildeten den Grundstock zu
dem großen Vermögen, das sich hier die beiden
geleitet und besessen hat. Er erinnert sich und
Pach erworben haben. Aber um noch bei den
er möchte gern wissen, ob die vielen, die Zehn¬
Gästen zu bleiben: Die Runde um Peter
tausende, die ihn und seine Etablissements ge¬
kannt haben, es auch tun. Ob die alte, die Altenberg und Friedell war ja stadtbekannt,
wer Schachmatadore sehen wollte, mußte
ältere oder gar noch die junge Generation
ins Central. Der Zeitungen wegen sah man
etwas Gedenken übrig hat für die großen
Sammelstätten von Kunst, Politik und Schach= hier auch früher berühmt gewesene oder später
spiel, wie es im Sommer in den erstgenannten berühmt gewordene Emigranten (Trotzkij),
beiden Rubriken das Gasthaus im Prater und Fürsten, Häuptlinge, Abgeordnete, die es
waren, gewesen sind oder werden wollen. Wie
zehn Monate im Jahr in allen Rubriken das
das die Pachs gemacht haben, ein um
Café in der Herrengasse gewesen ist. Jedenfalls
sendet er allen seinen Freunden einen sehr herz- die Jahrhundertwende fast zugrunde ge¬
lichen Gruß aus dem Lainzer Krankenhaus, gangenes Kaffeehaus derart in die Höhe zu
bringen? Der alte Herr Gustav zuckt die
wo er seit zwei Jahren untergebracht und so
Achseln:
zufrieden ist, daß er 21 Kilogramm zu¬
genommen hat und viel glücklicher als sonst
Rezept für gute Wirte.
einer in seinem Alter sein mag, der wie er
„Das Rezept ist allzu selbstverständlich.
allein auf der Welt steht, zwei Millionen Gold¬
Meine fünfzehn Kellner haben den strengsten
kronen aus dem Nichts in harter Arbeit er¬
Auftrag gehabt, sämtliche Wünsche eines
worben und dann ohne seine Schuld -
Gastes, die über die Normalität hinausgehen,
Kriegsanleihe — verloren hat.
zu melden. Was ich erfüllen konnte, wurde
erfüllt. Beim Stammplatz des Grafen
Vom Tee über Bier zum Kaffee.
Stürgkh, der immer bei einer gewissen Säule
Das alles kam so (der „Große Cafetier¬
sitzen wollte, wo nicht besonders gutes Licht
so nannte ihn Wien — erzählt es in völliger
war, ließ ich, ohne irgendwie dazu aufgefordert
geistiger Frische, fließend, ohne auch einen
worden zu sein, eine Lampe anbringen. Dies
Augenblick nachzudenken): In Stettin ge¬
nur als einziges Beispiel. Oder: Als wir das
boren, Gymnasium absolviert, nach London in
Central übernahmen, fand meine Frau, die
eine Teehandlung, Chef ruft ihn, den „Mister übrigens immer auch das süße Gebäck zu
Petch", der bisher Buchhalter war: „Sie bereitet hat, den Kaffee nicht gut genug.
werden für uns nun reisen. Leben Sie wohl.
„Aber die Gäste sind ihn so gewohnt," sagte
Mit diesem „Leben Sie wohl“, etwas Diäten
der Küchenchef. „Man wird sie an Besseres
und Provision ist er drei Jahre unterwegs
gewöhnen," sagte meine Frau, und sechs
bis er nach Wien kommt und von hier nich
Monate darauf hatte sich der Umsatz ver¬
mehr fort will. Es gefällt ihm alles zu gut
sechsfacht. Das Geschäft blühte, solange ich
und dieses Wohlgefallen, das er an unsrer
es hatte, also 16 Jahre lang. Die Losung
Stadt findet, ist gegenseitig geworden. Kassier
betrug bis 1500 Goldkronen im Tag.
im Bräuhaus Straßnicky. Im Restauran
Ja trotz aller Billigkeit ging es uns bis zur
dort sitzt seine Frau an der Kassa. So sammeln Kriegsanleihe wunderbar. 1916 verkaufte
sie Erfahrungen, die Eltern aus Deutschland
ich das Central um eine halbe Million Kronen.
borgen etwas Geld, und damit übernimm
Damit begann mein Abstieg, und jetzt lebe ich
Gustav Pach das Schweizerhaus von Straß
körperlich von der Güte der Gemeinde, seelisch
nicky und führt es von 1883 bis 1900.
von Erinnerungen.
Was berühmt ist im Wien von damals
Grüße von Roosevelt.
verkehrt da unten, und Pach, der nach der
Die wichtigste von diesen Erinnerungen
guten, alten Gastwirtsitte jeden gekannt hat
hängt neben dem Bett, in dem Drei-Mann¬
weiß von jedem auch Anekdoten genug. Wie
Zimmer im Pavillon X. Unter der Photo¬
stets mit Gersuy-
der Billroth
graphie und den herzlichen Grüßen von
immer nach dem Brahms, der Brahms immer
Julius Tandler, nämlich ein Porträt von
nach dem Billroth fragte, daß Anton
Theodore Roosevelt, bei dem er 1907 im
Bruckner in der Küche immer zusehen
Weißen Hause eingeladen war. Um einen
wollte, wie für ihn gekocht wurde, und sich
Vetter in Amerika zu besuchen, reiste er
während des Wartens nicht selten bitter
dem Wiener
(übrigens zugleich mit
darüber beschwerte, daß ihn seine Zeit¬
Männergesangverein) nach New-York und
genossen nicht verstünden. „Aber wenn ich tot
Washington, und er ist vom Prä¬
bin, werde ich bestimmt berühmt," sagte dieser
sidenten, der Präsident von ihm so er¬
freut, daß Teddy dem Wiener Cafétier die
Meister nicht nur der Musik, sondern auch
der Vorahnung. Mit Sueß und dem General herzliche Inschrift und das schöne Bild mit
dem Sternenstreisenbanner beschert.
intendanten Bezeny hat Pach pokuliert. Mi¬
Schönere Zeiten nicht nur für Gustav
Georg Reimers, um einen Lebenden zu
nennen, ebenso, und ein halbes Dutzend Pach, sondern auch für Wien, das Gast¬
Bilder gibt davon Beweis, daß nicht nur wirtgewerbe und für die Kaffeesieder steigen
auf, wenn man ihn sprechen hört. Ein Stück
der Pach nicht den Reimers, sondern auch der
Vergangenheit lebt da aufgehoben in diesem
Reimers nicht den Pach vergessen hat, es be¬
alten Mann, in seinen Bildern, Zeitungen
zeugt die Loge, die ihm unser Altmeister vom
und auch in den vielen Briefen, die er be¬
Burgtheater zu seinem Jubiläum vor einigen
Jahren geschickt hat. Und da ist noch vom kommen hat. Das aber ist das Erstaunliche:
er hat nicht nur nicht vergessen, er ist auch
Theater der Hofopern=Jahn und die Materna
der Baumeister natürlich, hier beweist Devrient nicht vergessen. Eine ganze Galerie von ehe¬
maligen Besuchern und Freunden schreibt ihm
durch ein sehr jugendliches Bild die früh
noch gestern und heute. Da liest man nod
Freundschaft mit dem Wirt, und ebens¬
vor drei Jahren Artur Schnitzler, in den
Speidel und Robert, die beiden Freunde
Kritiker und schöner Bühnenheld. Und jetzt Vorjahren Felix Salten oder Max Hussarek¬
Heinlein, Huberman, da liest man — aber
erst die Liste der Politiker. Hier hat der spätere
es ist schon genug aufgezählt worden. Der
Ministerpräsident Ernest v. Koerber die
Große Cafetier erinnert sich und man erinner
Hofraternennung gefeiert, Generalpostdirektor
sich an ihn. Was ihm Mar Devrient (1905)
Hohentraut, der Czedik.
einmal auf eines seiner Bilder schrieb,
Gold aus der Zeitung.
wirklich Wahrheit geworden: „Wer nicht die
Welt in seinen Freunden sieht, verdient nicht,
Aber das ist alles noch nichts gegen jene
R. B.
die dann ins Café Central kamen. Man weiß daß er sie besitze.
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„OBSERVER
I. österr. behördl. konzessioniertes
Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
WIEN, I., WOLLEILE 11
TELEPHON R-23-0-43
Ausschnitt aus:
ne re¬
29
vom
932
(Sachliche Jugend.) Anner war sechzehn Jahre alt, blond,
blauangig und suchte einen Posten. Als sie den Laden des Par¬
fümeriewarenhändlers betrat, der eine Verkäuferin engagieren
wollte, da duftete es mit einem Male nach Frühling. Daran waren
aber die verschiedenen Parfümfläschchen vollkommen unschuldig.
Mit der jungen Annerl selbst war der Lenz in den Laden ge¬
kommen. So empfand es wenigstens der Geschäftsinhaber, der aber
zu seinem ehrlichen Bedauern sagen mußte, daß der Posten bereits
vergeben sei. Da hat Annerl in ihrer schmerzlichen Enttäuschung
so hübsch ausgesehen, daß der Ladeninhaber das dringende Be¬
dürfnis empfand, sie zu trösten. Auch Parfümeriewarenhändler
haben ein Herz. Der unsrige war noch dazu ungefähr dreimal
so alt als seine Besucherin, und da bekam er es naturgemäß mit
den väterlichen Gefühlen. Ob der herzhafte Kuß, den er dem
Annerl auf die roten Lippen drückte, wirklich nur ein väterlicher
gewesen ist, das bleibe dahingestellt. Darüber muß sich der Par¬
fümeriewarenhändler mit seiner angetrauten Gattin auseinander¬
setzen. Dieser Gattin ist nämlich die Kußgeschichte kein Geheimnis
geblieben. Der reuige Ehemann selbst hat ihr sein Herz aus¬
geschüttet. Mit gutem Grund. Die Sache hat nämlich für ihn ein
recht unangenehmes Nachspiel gehabt. Annerl hat nicht reinen
Mund gehalten. Sie hat von ihrem Abenteuer gleich einer ganzen
Anzahl von Freunden Mitteilung gemacht. Ob sie damit be¬
zweckte, die halbwüchsigen Burschen davon zu überzeugen, daß
sie auch wisse, wie man reise Männer feßle, ob sie sich einzig und
allein interessant machen wollte, wer kann das sagen? Anneris
Freunde aber sind jedenfalls sachliche junge Leute. Sie haben
sofort scharfsinnig erkannt, daß diese Geschichte Geld wert sei.
Geld haben sie aber alle durch die Bank dringend notwendig. Sie
sind nämlich ebenso jung wie arbeitslos. Und nun ging in einem¬
fort die Ladentur des Parfümeriewarenhändlers. Nie zuvor ist
dieser Laden so gut besucht gewesen. Es waren freilich keine
zahlenden Kunden. Es war auch nicht Annerl, die wieder er¬
schienen wäre. Wohl aber kamen ihre jungen Freunde und
heischten mit gerunzelter Stirn, in strengen Befehlshaberton
Seifen, Parfums und Bargeld. Auch eine Puderdose stand auf
der Liste ihrer Requisitionen. Schließlich hat der Kaufmann, der
nicht mehr ein und aus wußte, seiner Gattin gebeichtet. Und die
hat ihm den einzig vernünftigen Rat gegeben: „Geh zur Polizei!"
Gestern standen die jungen Erpresser vor den Schöffen. Das heißt,
nur zwei von ihnen. Für die anderen, die noch gar zu halbwüchsig
sind, ist der Jugendrichter kompetent. Auch die geküßte Annerl
war als Zeugin erschienen. Und als man sie fragte, warum sie
sich überhaupt habe küssen lassen, statt davonzulaufen und dem
Kußlüsternen einen Wachmann auf den Hals zu schicken, da hat
sie mit unschuldigen Augenaufschlag und mit naivem Erstaunen
geantwortet: „Er hat mir doch eine Puderdose geschenkt!“ Paris
ist eine Messe und eine Puderdose einen Kuß wert. Eine neue
Sachlichkeit, von der Arthur Schnitzlers süßes Mädel freilich noch
keine blasse Ahnung gehabt hat.