VII, Verschiedenes 13, 1932–1933, Seite 24

droll unverdorbenen Kindergemus.
Einmal — das Dirnchen gerät durch
den verwegenen, aber nicht unamüsanten
Einfall ihres Nachtlokal=Stimmungsdichters
Lentel in ein ehrbarstes Bürgerhaus¬
steht sie, das Köpfchen sehnsuchtsvoll auf
eine Wäschekommode gebeugt, gespannt zit¬
ternd, ein stummer Schatten spröder Hilf¬
losigkeit, mit dem Rücken zum Publikum.
Und dieses Publikum hält, ergriffen, den
Atman.
Man nimmt die belanglos betriebsame,
geschickt verlogene Komödie mit in Kauf:
Dirnenrettung durch einen Parsifal aus
Massachusetts. Halb Gartenlaube, halb
„Paradies=Bar“. Mehr freche als flotte
Arbeit, weniger aufdringlich, als unlogisch,
im Grunde aber auf eine Exaktkeit des
Miliens angewiesen, die von der dreimal
gewechselten, salopp durchgepeitschten Regie
nicht erbracht wurde. Den nominellen
Schluß=Spielleiter Hans Wengraf muß man
dabei loyal vermutlich freisprechen von so
mancher kläglich provinziellen Nebende¬
setzung und so reichlicher Schäbigkeit der
Details.
Wengraf spielt übrigens jenen jungen
Yankee mit den breiten und so budapeste¬
risch voraussetzungslosen Schultern mit
wirklich treuherzigem Charme, sehr männ¬
lich und ohne die geringste Dosis allzugefäl¬
liger Innigkeit.
Die auch nicht überaus glaubwürdige
Gestalt eines Althietzinger Großpapa
bringt Willi Thaller und mit ihm sattesten
Patriarchenhumor auf die Bühne, eine
Aureole verschmitzt herzensseligen Froh¬
sinns, in der Lengels dick aufgetragenes
Situationsschmalz aufleuchtet wie echter
Lustspielzauber. Willi Thallers hochbetagtes
Knabenlächeln ist volle Theatersonne, und
ihr Glanz vergoldet, was an diesem Rüh¬
rungssteich Talmi des Gefühls wie der
Mache ist. Und es ist viel Talmi.
Eine Episode Frau Karolyis hat be=
sonders scharfen Schnitt, eine andere Frau
Wilkes die äußerste, bravours burgtheater¬
ketzerische Kärntnerstraßen=Echtheit. Für
Herrn Eidlitz scheint es eher ein Kompli¬
ment, wenn man ihm die Eignung zum
Gigolo entschieden abspricht, und Herrn
Ebners Oberkellner ist sehr lustig, aber,
gelinde gesagt, nicht gerade großstädtisch.
Ueberhaupt scheinen die Mitglieder
des Burgtheaters Barbesuche nur auf ihren
Provinztourneen zu absolvieren.
ne
Zeitung
Allgemeine
szene überaus, ja mitunter gefährlich sicher)
Melchior Lengel hat eine unbedenk¬
spart mit ihnen, klüger, beherrschter, er¬
liche, aber schmissige Hand. So manche
wachsener als ihr Autor. Besser gesagt, sie
technische und atmosphärische Hilflosigkeit
weint sie, bisweilen erschütternd possier¬
dieses Abends geht gewiß nicht auf sein
lich, ohne Glyzerinzauber.
Konto. Eine einfallsreicher studierte Vor¬
stellung hätte vermutlich den üblen Pro¬
Man sitzt da, geistvoll gaukelnde
blemgeschmack dieses Nachtcaféschwänkchens
Schnitzler=Worte im Sinn, und sieht diesen
Bühnensteg der jüngsten Generation mit
verwischt und seinen vorsichtig satirischen
Witz herausgeputzt. Hätte etwa dem Ver¬
an. Zweifellos, auch die kleine Maria
legenheitsschluß eines unabsichtlich fingier¬
kämpft für Illusionen. Aber sie lächelt sie
ten Selbstmordversuches die Operetten¬
heroisch hinweg. Flüstert hart und hastig
tragik abgestreift und der ganzen heuch¬
darüber hin. Blickt besonnen putzig und
lerisch freiherzigen Lavendelpikanterie jenen
alltagssicher in die Unendlichkeit ihrer
grotesken Anstrich gegeben, den sie jetzt nur
Wünsche. Sie schüttelt das siegessichere
Köpfchen. Aber sie schüttelt nicht Löckchen
unfreiwillig hat.
Gleichwohl ist es ein nicht uninter¬
sie schüttelt Gedanken. Wodurch rührt sie
essanter, wenn auch mit reichlichen Zu¬
dann so sehr? Wenn nicht durch jene unbe¬
mutungen garnierter Ausflug der „Kirchen¬
stimmbarste Gabe des Schweigen?
maus" in die Gefilde, wo Schampus und
Trägt sie, noch oder schon wieder,
unverstandene käufliche Tränen fließen.
Herz: Ja, aber nach innen.
Tränen? Die kleine Kramer (bis zu der
Ludwig Ullmann
„dichterisch überaus affektierten Schlu߬