VII, Verschiedenes 13, 1932–1933, Seite 47

13. Miscellane
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vom
Karl Glossy.
Zu seinem 85. Geburtstag.
Heute feiert Hofrat Dr. Karl Glossy seinen
85. Geburtstag — soweit es seine Freunde erlauben werden -
in aller Stille mit der ihm eigenen liebenswerten
Bescheidenheit, mit der er den 60., 70. und 80. Geburtstag
feierte und - man kann es sich gar nicht anders denken -
noch viele Geburtstage feiern wird. Er ist ein Wahrzeichen
Wiens geworden, des geistigen Wien, ein lebendiges und be¬
lebendes Archiv der Wiener Vergangenheit, der Wiener
Theater= und Kulturgeschichte. Wer kennt ihn nicht, den echt
wienerischen, freundlichen alten Herrn mit der zierlichen Ge¬
stalt, dem interessanten Kopf, der sowohl an Liszt wie an
Mommsen erinnert und charakteristisch für sein Künstler= und
Gelehrtentum ist. Seine unverminderte Arbeitsfreude und
seine unvergeßliche Liebe zu Wien erhalten ihn ewig jung.
Man sieht ihn noch immer im Theater, in den Archiven und
bei dem täglichen Spaziergang und kann es kaum glauben,
daß dieser an unsern heutigen Sorgen und Problemen so
teilnehmende, aller strebenden Jugend so wohlgesinnte
Mensch im denkwürdigen Revolutionsjahr 1848 zur Welt ge¬
kommen ist. Daß er so etwas wie der Vater der Wiener
Kulturgeschichte, des ästhetisch verbrämten Wiener Lokal¬
patriotismus ist, die uns allen nun so geläufig sind. Ehrlich¬
ster Verwalter der liebenswürdigsten Güter unsrer Vergangen¬
heit, stellt er die freundliche Brücke zwischen einst und jetzt
dar, über alles informiert und nach allen Seiten hin mitteil¬
sam und befruchtend. Was er durch seine spezielle Berufs¬
arbeit als Direktor der städtischen Bibliothek und der städti¬
schen Sammlungen, als Schriftsteller und Forscher geleistet
hat, ist oft gewürdigt worden. Zu seinem 85. Geburtstag sei
er als Ganzes betrachtet und als eine der freundlichsten
Zierden Wiens beglückwünscht, das auf ihn stolz ist und
ihn liebt.
Karl Glossy hat durch viele Jahrzehnte mit den
scharfen Augen des geschulten Forschers die Entwicklung der
Wiener Kultur in den vergangenen Jahrhunderten studiert
und die Ergebnisse seiner Arbeit in feinsinniger und eleganter
Darstellung in Zeitschriften, Zeitungen oder Sammelwerken
veröffentlicht. In ihrer Zusammenfassung ergeben diese
zahlreichen Abhandlungen, Aufsätze und Aktenpublikationen
eine Wiener Kulturgeschichte von lebensvoller Eigenart, voll
interessanter Einblicke und Perspektiven. Nicht nur das
Gebiet der Kulturgeschichte im engeren Sinn, sondern eben¬
sosehr ihre Teilgebiete, die Literatur= und vor allem die
Theatergeschichte, danken Glossy bedeutende und richtung
gebende Beiträge von bleibendem Wert. Eine Auswahl dieser
bisher nur in Zeitschriften oder Zeitungen veröffentlichten
wissenschaftlichen Arbeiten wurde zum 60. Geburtstag des
Forschers von seinen Freunden unter dem Titel: „Wiener
Studien und Dokumente. Von Dr. Karl Glossy.“ (Steyrer¬
mühl-Verlag, Wien) zu einem Band vereinigt, der ein Gesamt¬
bild seiner Lebensarbeit bietet. Neben größeren historischen
Abhandlungen, die unter anderm die Geschichte des vormärz¬
lichen Wien, die Entwicklung des Wiener Schulwesens, die Er¬
eignisse des Jahres 1848, die Gründungszeit des Burgtheaters,
die Tätigkeit Laubes in Wien, die Bühnenschicksale von
Werken Grillparzers, Raimunds,
Nestroys, Schnitzlers usw.
betreffen, bringt der Band von den jüngsten, bisher noch un¬
veröffentlichten Arbeiten Glossys einen Aufsatz über die
Oktoberrevolution 1848 und einen bisher nicht bekannten
Briefwechsel zwischen Gerhart Hauptmann und Max
Burkhardt.
Gestern, am Vortage von Hofrat Dr. Karl Glossys
85. Geburtstag, erschienen in der Wohnung des greisen Ge¬
lehrten als Vertreter des Vereines der Freunde der National¬
bibliothek, des Wiener Zweigvereines der Deutschen Schiller¬
Stiftung und des Wiener Goethe=Vereines, deren Ausschüssen
Glossy angehört, Sektionschef W. Weckbecker, Generaldirektor
der Nationalbibliothek J. Bick, Professor R. Arnold, Direktor
der Theatersammlung I. Gregor und die Herren Heinrich
Lieben und Robert Mohr, um dem Jubilar Adressen der be¬
treffenden Körperschaften zu überreichen. Als Wortführer
sprach Sektionschef Weckbecker den Dank der erwähnten
Vereine für Glossys langjährige, sachkundige Mitarbeit aus
und hob bewundernd seine ungeschwächte Arbeitslust und
Arbeitskraft hervor. Der Gefeierte antwortete mit rührender
Herzlichkeit.