VII, Verschiedenes 13, 1934–1935, Seite 21

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13. Miscellaneous
im „Veilchenfresser, der Camouflet in der „Tasse tragen und dafür ein vorstellungsfähiger Frack ein¬
Die
Tee", aber auch ernste Rollen, wie der Dienstmann getauscht. Später, schon in Wien, spielt er den
Thimig spricht
Löffler im „Kollegen Crampton“, der Etchépare in der
Schummrich in einer, wie man theaterhaft sagt, stink¬
aber er ist längst W
„Roten Robe“, alle waren jene Benachteiligten des vornehmen Garderobe. „Wo lassen Sie denn arbeiten?
kommt's nicht an,
forscht Dingelstedt. — „Bei Ebenstein!" erwidert
Lebens, die das Publikum so gern sieht, weil es sich
nach Wien kam, führ
zurückgeworfenen Hauptes der Mime. — „Und ist
in ihnen wiedersieht. Jeder stand einmal in einem ein¬
„Fledermaus" auf, fi
schüchternd schönen Zimmer vor weiß Gott wie ein der Anzug auch bezahlt?" — „Er wird's, er wird's!
ihre Sprachenstreite
„Gewiß, er wird's," beschließt der Direktor das
schüchternden Menschen und konnte nicht mehr hinaus.
vor, denn es gab no
Interview, „aber nicht von Ihnen, sondern von der
Jeder ist einmal über seine eigenen Unzulänglichkeiten
im Reich begannen
Hoftheaterkasse..." Es waren märchenhafte Zeiten,
gestolpert und sieht sich nun da oben wiederholt, in
kamen auch nach Wi¬
seiner Treuherzigkeit verraten und dem allgemeinen unvorstellbar märchenhaft
Theaterjahre, denen noch
denn hier blühte M
Mitleid ausgesetzt. Es ist zum Lachen, manchmal auch
Wortbildungen
Abbau, Sparmaßnahmen
Wiens in farbenreic
zum Heulen schön, und die Aesthetik nennt es: den
Kürzungen nicht geläufig waren, in denen Schulden
der Kunst. Noch gib
eine fröhliche Angelegenheit und Sorgen himmelblau
Identitätsrausch.
die alten Linienwall
zerflatternde Wolken waren.
Gern spielte Thimig damals den Chlestakow in
wo Thimi
gründet,
Gogols „Revisor", er spielte ihn so natürlich, daß der
Das Burgtheater ist
Aus dieser Zeit lächelte Hugo Thimig stilvoll
M.
russische Schriftsteller Boborkin auf ihn zustürzte und heraus. Er war einer Gesellschaft zugeboren, deren oft
theater,
dessen
ihn fragte, wie lange er in Rußland gelebt habe.
während
später
unterschätzte Harmlosigkeit ihren Grund in einer heute
Thimig aber hatte gar nicht in Rußland, er hatte bloß
hardt=Bühnen werde
sehr geschätzten Sicherheit fand. Und diese Gesellschaft
in der Anschauung der Figur gelebt, und daraus wurde
Wilbrandt, Förster,
der sicheren Existenz sah im hurlebuschnen Komiker, im
er der hochstaplerisch=flunkernde, echt russische Mensch
Haus wird eröffnet
hurtigen Jongleur das Gegenbild zu ihrer eigenen
Chlestakows. Man kann sagen: es war Intuition, oder
Direktors
als Doye
Festigkeit. Wenn er ihr dann sein Erlebnis vom kurzer
der liebe Gott hat es ihm gezeigt.
neue Kunst
kommt
sächsischen Registrator vortrug, der für seine lange
dinavier, Ibsen, St.
Frau einen langen Sarg bauen ließ, jedoch selbst
Graziosos Abenteuer.
früher „abkratzte", worauf die Frau den jahrelang mit Naturalisten erschein¬
ihm bleibt der
geschleppten langen Sarg aus Ersparungsgründen ein¬
Hugo Thimig ist ein geborner Grazioso, und er
Stunde in Wien. Er
fach abschneiden ließ, so konnten diese Zeitgenossen
besitzt die seltenste aller deutschen Eigenschaften,
gelegt, eine der größ
selbst über Sarg und Tod und Bahre Tränen lachen.
graziös zu ein: Seine Figuren, ob Zettel, Dromio,
schenkt
er aber
Bleichwang, Holzapfel, Schmack, Bellmaus, Lanzelot
Hugo Thimig hat mit seinem Sohn Hermann zu¬
kuriosestes Kuriosum
Gobbo, Busch (in den „Pagenstreichen"), sind alle mit
sammen in der Guitryschen Komödie „Mein Vater hat
man den Zwanzig
Lustspielanmut gesegnet. Und wie es schon kommt, wie
recht gehabt" gespielt, und einmal haben alle vier
redivivus.
es die höhere Regiekunst des Schicksals einrichtet, er¬
Thimigs zugleich in der Josefstadt, in der Friedellschen
Er hat einmal
lebt der Grazioso auch meistens graziöse Dinge. Sein
Bearbeitung von „Alles oder Nichts gespielt. Zwei
von Philippi, „Das¬
Leben ist von Anekdoten umflattert, und wie der große
Generationen spielten Theater, Grazioso sen, samt
figur gespielt, den
Alexander Girardi mitten in der Nacht aufwachen und
Tochter und Söhnen, und Julius Bab vermerkt es
schweigend zuzuhörer
sagen konnte: „Mir hat eben was furchtbar Lustiges
als Ereignis in seinen Porträts moderner Schauspieler.
Sartorius auszufüh¬
träumt...", so spielte sich Thimigs Leben in Lustig
interessierte nun di
Gehört nun Thimigs Kunst einer alten oder neuen
keiten hinein. Dingelstedt will ihn in Breslau sehen.
hörenkönnen, sein
Schauspielergeneration an oder ist sie zeitlos, hat der
Der Theaterdiener kommt: Dingelstedt wartet, Herr
mehr als die vortrei
Hans Narr auf der Mysterienbühne, hat der Mime auf
Thimig solle sich schleunigst vorstellen. Aber Her
Thimig heute: er ste
Thimig hat keinen Frack, er wohnt zu zweien mit der Aristophanes=Bühne ebenso gespielt — wie immer
akteure reden, befehl
jedenfalls hat Thimig zeitlebens fürs Licht geschaffen
einem Kollegen, der zwar viel Talent, aber auch keinen
interessiert in seiner
sein Name ist ein fröhlicher Akkord und weckt in jedem
Frack hat. Was tun? Also wird der rote Zwischen¬
vorhang der gemeinsamen Bude ins Leibhaus ge- seiner Zuhörer ein Lächeln der Beglückung.