VII, Verschiedenes 13, 1934–1935, Seite 34

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Miscellaneous
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S. Fischer gestorben.
Das deutsche Schrifttum verliert mit S. Fischer seinen
bedeutendsten Verleger. S. Fischer, der aus seiner ungarischen
Heimat als ganz junger Mensch nach Berlin kam und dort in
der Friedrichstraße eine Buchhandlung eröffnete, ist nicht allein
deutscher, eigentlich preußischer Staatsbürger geworden,
sondern Wegweiser, Anreger, Helfer und Freund der modernen
deutschen Dichtung. Deutsch gedacht, deutsch gefühlt hat
S. Fischer, trotzdem seine Wiege in Ungarn stand, von Geburt
an. Er stand mit hervorragendem Begreifen an der Schwelle
einer neuen Zeit, die vor fünfzig Jahren unter stürmischen
Kämpfen begann. Sein Ahnungsvermögen, sein Spürsinn
hatten etwas von großer Kraft der Intuition. Sein höher und
höher reifendes Urteil unterschied absolut trefflicher Wert von
Unwert, erkannte oft, geradezu divinatorisch die Entwicklungs¬
möglichkeiten junger talentierter Anfänger. Als S. Fischer
sich entschloß, den jungen Gerhart Hauptmann zu verlegen,
war der geschäftliche Erfolg dieses neuen Dichters, dieser
ganzen, damals nur widerstrebend aufgenommenen neuartigen
Dichtkunst noch keineswegs gewiß. Die offiziellen Kreise
boten alles auf, diese moderne Literatur zu unterdrücken.
Damals sprach ein preußischer Minister das Wort: „Die
ganze Richtung paßt uns nicht." Und Wilhelm II. kündigte
seine Loge im Deutschen Theater nach der „Weber“=Auf¬
führung. Allein für S. Fischer war der geschäftliche Erfolg
weder ausschlaggebend noch ein Gradmesser. Innerlich,
seelisch und geistig, fand er sich an Hauptmann gebunden.
Trat mit dem Einsatz seiner ganzen Existenz für Hauptmann
ein und hielt ihm die Treue, wie Otto Brahm Hauptmann
immer die Treue gehalten hat. Mit Otto Brahm und Paul
Schlenther war S. Fischer Gründer der „Freien Bühne", gab
die gleichnamige Zeitschrift heraus, die unter dem Titel
„Neue Rundschau“ heute noch einen hohen Rang bewahrt.
Damals, im ersten und zweiten Dezennium ihres Erscheinens,
war diese Zeitschrift von bestimmendem Einfluß auf das ganze
geistige Leben Deutschlands
Die hervorragende Persönlichkeit S. Fischers, der mit
seinem bescheidenen, gütigen Wesen die Herzen rasch eroberte,
zog nach und nach fast alle bedeutende Talente an sich.
2. Fischer wurde der Verleger Arthur Schnitzlers. Hermann
Bahr, Hugo v. Hofmannsthal erschienen bei S. Fischer.
Jakob Wassermann kam da heraus, Thomas Mann, Hermann
Hesse und viele andere erfolgreiche Autoren. Der S.-Fischer¬
Verlag, eigentlich S. Fischer selbst, griff über die deutschen
Grenzen weit hinaus. Zunächst dankte man ihm eine meister¬
hafte Ausgabe der Werke von Henrik Ibsen. Dann wurde
er der Verleger von Bernard Shaw, dessen Welterfolg erst in
Deutschland seinen Anlauf nahm. Das sind nur die Haupt¬
stationen eines enormen Aufstieges, die wichtigsten Leistungen
einer im ganzen riesenhaften Leistung. Von den lange ver¬
storbenen Verlegern Georg Müller und Alfred Walter Heymel
befeuert, wandte Fischer seine Aufmerksamkeit der äußeren
Gestalt des deutschen Buches zu und hat mit noblen Geschmack
bahnbrechend auch hier gewirkt. Bis in die letzte Zeit war
Fischer auf seinem Gebiet führend. Das Erscheinen der
Meisterromane des zum englischen Dichter gewordenen Polen
Josef Conrad, der Werke des englischen Historikers Strachey
sei nur als Stichprobe erwähnt.
Fischer war als Verleger ein vorbildlicher Anreger, ein
unvergleichlicher Versteher, ein warmfühlender Mensch, der
Sinn für alles, der das feinste Urteil und zu viel gesunden
Humor hatte, um irgendjemanden zu verurteilen. So viele
Enttäuschungen und so krassen Undank er, wie natürlich, auch
erleben mußte, er blieb immer der vertrauensvolle Schätzer
jeglichen Talents, er blieb der großzügige, freigebig fürsorg¬
liche Freund seiner Autoren. Jetzt, da er verschwindet, ermißt
man das weite Gebiet, das er Jahrzehnte hindurch sanft, klug
und charaktervoll bebaut hat. Aufrichtig wird der Verlust
dieses seltenen Mannes von einem großen Kreis erlesener
Geister betrauert.
de
Die
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6.OKT,
gelungen, die geistig sinnliche
Intensität der Aufführungen von
16.10.
oder Stanislawski zu erreichen. Ei¬
Reinhardt-Aufführungen waren
Anna
Wunderwirkungen hochgezüchte
semblekunst, aber es waren meh¬
resultate, während Otto Brahm un
lawski immer für die Idee des
gearbeitet haben, das Theater
resultat des Ensembles betrachten
Jetzt ist der Ensemble gedanke

längst zerschlagen, da dort ein
render Austausch von Schauspie
fand und stattfindet. Nur die deut¬
vinz hatte noch ihre Ensembles,
dort wurden die Schauspieler vor
Gäste und Ensemble
Jahr getauscht. Die letzte Stadt
Die Mitglieder des Deutschen
bens an das Ensemble ist Wien.
Volkstheaters haben gegen das
in der Josefstadt gibt es ein Ende
Gastspielwesen im Deutschen Volks¬
eine Anzahl Schauspieler seit Jahr
theater Protest erhoben.
Geschlossenheit schauspielerisch
drucke zeigt, das Burgtheater hat
Die Ensembleschauspieler sehen natürlich
immer ein wenig scheel auf den großen Gast, semble, das die Geklärtheit, den
tivismus und die klassische Tradit
der den großen Erfolg und meist auch die
Theater repräsentiert. Und das Vo
große Gage wegschleppt, während das En¬
semble sich nur in seinem Schatten dankend hat ein Ensemble, das einmal für
schaftsstück ganz besonders gei¬
verbeugen darf. Der Gast räumt ab und das
Wenn man von einer Physiognomie
Ensemble hat gewöhnlich das Nachsehen,
man spricht vom Gast und die Mitglieder des gen Volkstheaterensembles spricht
Hauses figurieren nur so nebenbei als seine
Trabanten. Zu allen Zeiten, auch in den
guten Jahren des Theaters, war das En¬
semble innerlich gegen den Gast eingestellt.
wenn es auch in Garderoben und Korrido¬
ren, vor dem Auftreten und in den großen
Szenen mit ihm sehr freundschaftlich um¬
ging; die Liebe erwies sich stets als truge¬
risch. Der große Schauspieler sieht auf den
kleinen herab, aber der kleine lehnt es ab,
zum großen Bruder emporzuschauen. Schau¬
spieler sind gerecht, aber auch ungerecht,
sie teilen nicht immer die Meinung des Publi¬
kums, sie glauben tiefer in die Geheimnisse
des Metiers zu sehen und nicht jeder Gast
scheint ihnen wert, ein Gast zu sein. Sie ken¬
nen die Konjunkturen, die Zufälle, die per¬
sönliche Reklametüchtigkeit, die einen
Schauspieler oder eine Schauspielerin auf
die Höhen des Theaters wirbelt. Nicht immer
geht es da mit gerechten Dingen zu, meinen
sie, und mancher Ensembleschauspieler emp¬
findet schmerzlich das Unrecht, daß nicht
auch er das Glück hatte, ein berühmter Gast
zu werden.
Jetzt haben die Schauspieler wieder ein¬
mal Mut gefaßt und sind einfach vor ihren
Direktor hingetreten, um das Gastwesen als
Gastunwesen zu erklären, sie haben die
Wünsche des Ensembles geäußert, das als
Ensemble vor das Publikum gestellt und
gewertet werden will. Alles darum, weil
zwei Gäste im Volkstheater jetzt nicht wie
sonst das große Geschäft gemacht haben,
trotzdem sie größere Gagen beziehen als die
Ensemblemitglieder, trotzdem sie von außen
hergerufen wurden, natürlich mit der Ver¬
pflichtung, besonders volle Häuser zu
machen. Da haben sich die Mitglieder des
Theaters gesagt: das können wir auch.
Wozu also die Mehrbelastung des abend¬
lichen Etats, die noch dazu mit einer
Schädigung unseres künstlerischen Renom¬
mees verbunden ist? Das Publikum wird