VII, Verschiedenes 13, 1934–1935, Seite 35


wenn es auch in Garderoben und Korrido¬
ren, vor dem Auftreten und in den großen
Szenen mit ihm sehr freundschaftlich um¬
ging; die Liebe erwies sich stets als truge¬
risch. Der große Schauspieler sieht auf den
kleinen herab, aber der kleine lehnt es ab,
zum großen Bruder emporzuschauen. Schau¬
spieler sind gerecht, aber auch ungerecht,
sie teilen nicht immer die Meinung des Publi¬
kums, sie glauben tiefer in die Geheimnisse
des Metiers zu sehen und nicht jeder Gast
scheint ihnen wert, ein Gast zu sein. Sie ken¬
nen die Konjunkturen, die Zufälle, die per¬
sönliche Reklametüchtigkeit, die einen
Schauspieler oder eine Schauspielerin auf
die Höhen des Theaters wirbelt. Nicht immer
geht es da mit gerechten Dingen zu, meinen
sie, und mancher Ensembleschauspieler emp¬
findet schmerzlich das Unrecht, daß nicht
auch er das Glück hatte, ein berühmter Gast
zu werden.
Jetzt haben die Schauspieler wieder ein¬
mal Mut gefaßt und sind einfach vor ihren
Direktor hingetreten, um das Gastwesen als
Gastunwesen zu erklären, sie haben die
Wünsche des Ensembles geäußert, das als
Ensemble vor das Publikum gestellt und
gewertet werden will. Alles darum, weil
zwei Gäste im Volkstheater jetzt nicht wie
sonst das große Geschäft gemacht haben.
trotzdem sie größere Gagen beziehen als die
Ensemblemitglieder, trotzdem sie von außen
hergerufen wurden, natürlich mit der Ver¬
pflichtung, besonders volle Häuser zu
machen. Da haben sich die Mitglieder des
Theaters gesagt: das können wir auch.
Wozu also die Mehrbelastung des abend¬
lichen Etats, die noch dazu mit einer
Schädigung unseres künstlerischen Renom¬
mees verbunden ist? Das Publikum wird
dazu erzogen, an die Kraft der Gäste zu
glauben und ein Ensemble kann niemals zu
Ensembleehren kommen, wenn es immer
wieder durch Solisten gestört wird, die groß
gedruckt und hoch bezahlt, als Mittelpunkt
des Abends figurieren. Es ist natürlich nur
ein Zufall gewesen, daß die bisherigen
großen Gäste des Deutschen Volkstheaters
Stücke wählten, die sich als geschäftlich un¬
zulänglich erwiesen, die nicht gefielen, in
denen ihr persönlicher Erfolg mangelndes
Interesse am Stück nicht ausgleichen
konnte. Die Leute gehen eben nur wegen
des Stars nicht mehr ins Theater. Der
Appetit des Publikums verlangt heute nach
Außergewöhnlichen. Man kann ihm nicht
das erste Beste vorsetzen.
Der Begriff des Ensembles bedeutete vor
Jahren in Wien, und als Otto Brahm lebte
in Berlin, dann im Theater Stanislawskis, die
Idee des Theaters überhaupt. Alles kam vom
Ensemble her, das Ensemble bestand aus
großen Künstlern, die jeder ein Star ge¬
wesen, ein Solist der Seele, die in ihrer Ge¬
meinsamkeit, in der Zartheit und Kraft ihrer
Wirkungen, im Geistigen und Atmosphäri¬
schen ihres Spiels ein ideales Instrument
darstellten, auf dem Meisterregisseure virtuos
spielen konnten. Man erinnert sich der herr¬
lichen Reihe ragender Schauspieler, die im
Ensemble Otto Brahms versammelt, H. upt¬
mann, Ibsen, Schnitzler, Tolstoi mit Voll¬
endung spieltenen Rudolf Ritter, Else
Lehmann, neben Oskar Sauer, Albert Basser¬
mann, jeder einzelne eine Persönlichkeit, ein
schauspielerisches Phänomen besonderer Art.
Das Ganze ergab die Leuchtkraft einer
Schauspielertruppe, die es heute nicht mehr
geben kann, weil die technischen Erfindun¬
gen, weil Tonfilm und Radio die Einheit
solcher Künstlerschaft zertrümmert hätten,
gäbe es heute noch die Möglichkeit so vieler
glanzvoller Namen in einem Theater. Der
Ensemblegedanke hat also im Laufe der
Jahre viel verloren. Die Suggestion des En¬
sembles ist nicht mehr die gleiche und selbst
Reinhardt, dem Schauspieler-Rattenfänger,
ist es trotz glänzender Schauspieler nicht